Simple system ist einer der ältesten B2B-Marktplätze in Deutschland. Ursprünglich wurde simple system als Joint Venture von Hoffmann Werkzeuge, Kaiser+Kraft, Hagemeyer und Keller & Kalmbach im Jahr 2000 als geschlossene Beschaffungsplattform gegründet. Mittlerweile gehört simple system vollständig zur Hoffmann SE, die seit einigen Jahren wiederum zur Schweizer SFS Group gehört.
Doch trotz der reichen Historie und den prominenten Gründungsunternehmen ist der Marktplatz alles andere als ein angestaubter Digitalisierungsveteran im B2B-Einkauf. Im Jahr 2021 ist Michael Petri aus dem Digitalteam von Hoffmann zu simple system gewechselt. Seit 2024 führt der das Unternehmen als CEO. Die Pro-Kopf-Produktivität kann sich sehen lassen: 3,75 Millionen Euro Handelsvolumen pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter dreht die Plattform heute und kommt auf 150.000.000 Millionen Euro Jahresumsatz und über 23.000 monatliche Nutzer.
Marktplatz und Software-as-a-Service: Das Geschäftsmodell im Wandel
Die Kernidee von simple system: Jeden Mitarbeiter im Unternehmen zum Einkäufer zu machen. Was für CFOs zunächst wie ein Alptraum klingt, ist ernst gemeint. Ziel ist, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der simple system Kunden eigenständig über ein zentrales System bestellen können, und zwar ohne 1.000 verschiedene Kreditkarten und Amazon-Accounts, aber mit vollständiger Einhaltung interner Einkaufsregeln.
Dazu kombiniert simple system seinen Kern, einen B2B-Beschaffungsmarktplatz, seit 2021 mit einer selbst entwickelten SaaS-Beschaffungslösung. Im Jahr 2021 wurde begonnen, die eigene Software und teils 20 Jahre alte Codebase neu zu entwickeln, um modernen Anforderungen an digitale B2B-Beschaffung gerecht zu werden. Der alte Code wurde ersetzt und eine vollständige SaaS Procurement Suite geschaffen. Diese wird zunehmend stärker in die zentralen Beschaffungsprozesse der Kunden integriert, in denen meist das eigene ERP-System führend ist.
Obwohl viele Einkäufer dachten, ihre Prozesse seien etwas ganz Besonderes, beobachtet Michael den Trend, dass weniger aufwendige Individualsoftware und mehr Standardlösungen Einzug halten in die indirekten Beschaffungsprozesse der Kunden.
„Wir merken, dass häufig nach gescheiterten oder schwierigen Einführungsprojekten von Individualsoftware der Weg zurück Richtung Standard geht” – Michael Petri
Simple system profitiert dabei davon, dass vor allem die mittelständischen Zielgruppen auf konfigurierbare Lösungen setzen. Sich im indirekten Einkauf als Einkaufsorganisation mit eigener Individualsoftware zu differenzieren? Schwierig. Möglichst effiziente, funktionale und günstige Lösungen zu nutzen? Die wohl einzig vernünftige Chance.
Diese Weiterentwicklung des Geschäftsmodells macht sich auch in der Teamkonstellation bemerkbar: von den 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten 50 % an der Weiterentwicklung der Plattform- und Procurment-Software.
Lieferantenvielfalt und -konsolidierung
Der Marktplatz war bis 2016 ein geschlossener Club, wurde aber 2017 geöffnet. Kunden sind seither in der Lage, eigene Lieferanten mitzubringen. Dieser Schritt hat simple system sehr gut getan, was die Wahrnehmung als „neutral“ angeht. Über 850 Lieferanten bieten heute 85 Millionen Artikel an, allesamt aus dem Bereich des indirekten Materials bzw. überwiegend C-Teile aller Art. Jede Woche integriert simple system einen neuen Lieferanten, in der Regel auf Basis einer Kundenanforderung. Grundsätzlich können sich neue Lieferanten aber auf der Plattform registrieren, Kataloge hochladen und anfangen zu verkaufen.
„Für unsere Lieferanten ist es extrem wichtig und in letzten Jahren noch wichtiger geworden, den direkten Austausch mit ihren Kunden zu haben.“ – Michael Petri
Aus Preisen und Einkaufskonditionen halten sich Michael Petri und simple system heraus. Verhandelt wird zwischen Kunden und Lieferant direkt. Das schätzen Lieferanten und Kunden gleichermaßen. Simple system ist die Infrastruktur, die für digitale Prozessabwicklung im Einkauf zwischen Kunde und Lieferant sorgt. Der „Mehrfachstecker“, wie es Michael Petri ausdrückt. Somit ist auch der „Direct to Consumer“ Trend, den es im B2B in den letzten Jahren auch verstärkt gab, eher ein Vorteil für simple system.
„Kein Einkäufer möchte in 20 verschiedenen Shops bestellen.“ – Michael Petri
Im Wettbewerb mit anderen B2B-Marketplaces, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, konnte simple system laut Michael Petri auch gut bestehen. Aus Michaels Sicht vor allem, weil simple system reiner Marktplatz, kein hybrider Händler ist:
„Meine Einschätzung hat sich nicht verändert, dass aus Kundensicht die Zentralisierung der Beschaffung über den Marktplatz absolut sinnvoll ist. Wenn man aus Lieferantensicht versucht, Marktplatz und Händler parallel zu sein, sitzt man strategisch zwischen zwei Stühlen und geht ein hohes Risiko ein.“ – Michael Petri
Somit gibt es auch keinerlei Bestrebungen, das zu ändern. Simple system Industriereiniger in Eigenmarke? Wird es nach Michael Petri niemals geben. Der Fokus auf den Kern-Kern, die Beschaffung indirekter Materialien schlanker zu machen, ist und bleibt der einzige Fokus.
Dabei trotz simple system auch „gefürchteten“ Anbietern wie Amazon Business.
„Wir haben ein Feature entwickelt, dass es Nutzern ermöglicht, Ihre Warenkörbe von Amazon Business über Simple System zu bestellen.“ – Michael Petri
Amazon Business wird für simple system so vom Damoklesschwert vorerst einmal zur „Ergänzung“, wie Michael das ausdrückt. Das verdeutlicht zwei Dinge: Der Longtail-Bedarf wird im B2B wohl zukünftig prozessual über Marktplätze abgedeckt. Die direkte Kundenbeziehung zwischen Lieferant und Kunde spielt dabei trotzdem noch eine wichtige Rolle. Genauso, wie digitale und effiziente Beschaffungsprozesse.
Automatisierung von Nachschubprozessen
In der indirekten Beschaffung geht viel in Richtung End-to-End-Automatisierung. Bedarfe möglichst automatisiert erkennen, dort wo sie entstehen: am Schreibtisch, in der Produktion, im Lager. Den Bestellimpuls zu erfassen und den Nachschub zu automatisieren, daran arbeitet auch simple system. Als 25 Jahre altes Unternehmen hat simple system hier seinen Platz unter vielen jungen, hippen Start-ups gefunden, die sich vor allem im Zuge der Covid-Auswirkungen dem Thema Lieferkette gewidmet haben.
„Es gibt viele smarte Ideen, in denen wir mit Partnern zusammenarbeiten. Wettbewerb macht das ganze ein bisschen sportlich und spannend. Es ist schön zu sehen, dass da ein bisschen Dynamik reinkommt“ – Michael Petri
In der Digitalisierung der Supply Chain und des Einkaufs ist KI der neue Horizont, um noch effizienter, schneller, flexibler und günstiger zu werden. Doch obwohl Michael Petri nicht an den großen KI-Hype glaubt, sieht er in der B2B-Beschaffung handfeste, konkrete Anwendungsfälle. Etwa, wenn es darum geht, pdf-Angebote automatisch einzulesen und vergleichbar zu machen. Doch auch neben diesen Basisszenarien sieht Michael das wirkliche Potenzial von KI noch etwas weiter in der Zukunft:
„Viele relevante Einkaufsentscheidungen wird KI zukünftig lange vor dem Check-out treffen.“ – Michael Petri
KI wird Entscheidungen im Beschaffungsprozess besser vorbereiten und vorziehen können, wodurch höhere Beschaffungssicherheit entsteht. Dazu müssten aber mehr Informationen über Unternehmensgrenzen hinweg zum Training der KI nutzbar werden. Heute besteht das Problem wohl noch öfter darin, dass nur die nötigsten Informationen innerhalb der Lieferkette geteilt werden und so nur im eigenen Silo trainiert werden kann.
„Es wird deutlich wertvoller, wenn wir unsere Daten, die Daten unserer Kunden und unsere Intelligenz zusammenlegen.“ – Michael Petri
Daher investiert simple system auch in die Vernetzung mit smarten Lagersystemen und Produktionssystemen. Intelligenz fängt laut Michael Petri in der Beschaffung nicht hinten im Prozess an, sondern schon ganz vorne. Dazu muss Verknüpfung und Vernetzung stattfinden.
Wachstum im Vordergrund
Doch neben KI-Hoffnungen ist in der heutigen Realität der Fokus klar: Wachstum. Nach Plattform-Neubau gibt es nun vor allem auf drei Ebenen Potenzial:
- Mehr Lieferanten onboarden
- Mehr Nutzer je Kunde und höhere Durchdringung von Bestandskunden
- Mehr Neukunden akquirieren in allen relevanten Branchen von 50 bis 5.000 Mitarbeitern
Dabei spielt auch eine Rolle, dass Lieferanten ihre Kunden auf die simple-system-Infrastruktur bringen können. Entscheidend bleibt für Michael Petri die Balance zwischen Innovation und Bodenhaftung:
„Wir müssen Dinge bauen, die heute Mehrwert beim Kunden und beim Lieferanten bringen.“ – Michael Petri
Eines sollte gesichert sein: Auch mit 25 Jahren Marktpräsenz ist simple system nicht in die Jahre gekommen. Vielleicht hat das Unternehmen gerade die schwere Phase des „sich-neu-Erfindens“ schon durchgemacht und kann nun voll ins Wachstum gehen. Der CEO und seine Organisation sind motiviert:
„Ich glaube, den Innovationsdrang und den Drang, jetzt neue Technologien wie KI einzusetzen, den haben wir ziemlich stark in der Mannschaft verankert.“ – Michael Petri