Podcast #76 mit Jürgen Effner, Gründer und Geschäftsführer TOPREGAL

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Jürgen Effner der Inbegriff von Bodenständigkeit und Unaufgeregtheit. Und das, obwohl bei ihm viel Angriffsfläche für Abheben und Aufregen gegeben gewesen wäre. Schließlich haben er und sein Team in den letzten 15 Jahren aus dem Nichts einen Marktführer für Regal- und Lagertechnik aufgebaut. Topregal mit Sitz in Filderstadt, in unmittelbarer Nähe zum Stuttgarter Flughafen, ist ein Hidden Champion der Neuzeit.

2009 hat Jürgen begonnen, online Industrieregale zu vertreiben. Im lange überfälligen warenausgang.com Interview hat er mir erzählt, wie er das angestellt hat, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten es braucht und warum eine hohe Wertschöpfungstiefe in allen Unternehmensteilen dabei eine große Rolle spielt.

Die Entstehung von Topregal

Bevor Jürgen Pionier des B2B-Onlinehandes wurde, kaufte und verkaufte er Insolvenzbestände. Zu der Zeit gab ihm die Digitalisierung zwei scharfe Waffen an die Hand: Digitalfotografie und die Blütephase von ebay. Doch das Geschäft hatte Lücken, war zu unstetig. Auf der Suche nach einem weiteren Standbein wird Jürgen bei Regalen fündig.

„In jeder Firma gibt es Regale. Ob Anwalt, Metzgerei oder Maschinenbauer, jeder braucht Regale.“

– Jürgen Effner

Doch der bestehende Regal-Markt war verteilt: wenige etablierte Hersteller, etablierte Handelsbeziehungen, kein Direktvertrieb. Jürgen fängt an, selbstständig online in China nach Regalherstellern zu sourcen und wird fündig. 28.000 EUR, ein Kurzbesuch beim Hersteller in China und ein paar Wochen auf den ersten Container warten später fängt Jürgen an, die Regale über seine selbst gebaute Website mit Google Adwords online zu verkaufen.

„Obwohl mir alle abgeraten haben, ging das durch die Decke. Die haben gesagt: Sowas kann man nicht im Internet verkaufen.“ – Jürgen Effner

Das Geschäft, online Regale zu verkaufen, funktioniert. Im ersten Jahr macht Jürgens neue Firma 440.000 EUR Umsatz, 100 % online, profitabel. „Abgesoffen“ sei man im ersten Jahr. Aus dem Nebenprojekt wird ein Hype.

Fokussiertes Wachstum

Von 2009 bis 2019 konzentriert sich Topregal getreu dem Firmennamen ausschließlich auf Regale: Schwerlast-, Kragarm-, Palettenregale. Jürgen hat kein Interesse an einem „Komplettsortiment“ und ist bei der Erweiterung vorsichtig. Auch widersteht er der Versuchung, sich für B2C-Kunden zu öffnen.

Das Herz für die Sortimentserweiterung wird erst durch die Kunden erweicht:

„Viele Kunden haben gesagt, wenn ich so ein Palettenregal bei euch kaufe, muss ich ja irgendwie die Paletten da rein.”

– Jürgen Effner

Die Öffnung auf Hubgeräte und weitere, komplementäre Lager- und Betriebseinrichtungsartikel gibt einen weiteren Wachstumsschub. Auch heute noch setzt Topregal auf eine vorsichtige Sortimentserweiterung. Jürgen hebt das „ALDI-Prinzip“ bei Topregal hervor. Dies besteht bekanntlich aus:

  • Eigenmarken
  • Schlanke Prozesse
  • Gebündelte Einkaufsvolumen
  • Reduktion auf das Wesentliche

Jürgen kann mit Mitbewerbern, die sich über ihre mehrere 100.000 Artikel schweren Sortimente definieren, nichts anfangen. Über die Sortimentsgröße definiert sich Topregal definitiv nicht.

„Die haben dann 400 Varianten und benötigen dann für 400 Varianten Ersatzteile und Mechaniker. Wir haben 2 Varianten, die dann auf 80 % passen.“

– Jürgen Effner

Vertikal integriertes Geschäftsmodell

Topregal ist kein reiner Händler, auch wenn Jürgen einst so begonnen hat. Das Unternehmen ist Hersteller bzw. Inverkehrbringer/Importeur, Händler und Handwerksbetrieb in einem. Letzteres insbesondere, weil Regalaufbau, Reparatur und Wartung längst zum Kerngeschäft gehören und allein siebenstellige Umsätze erzielen.

Als China-Importeur schlägt Topregal der Argwohn des Wettbewerbs entgegen. Billige China-Regale können nichts taugen, so die einhellige Meinung. Um dem entgegenzuwirken, lässt Topregal seine Produkte vom TÜV zertifizieren. Heute werden Produkte teilweise selbst entwickelt, Sondermaße selbst gefertigt.

Auch in der Logistik überlässt Topregal mittlerweile nur ungern anderen Spediteuren die eigenen Produkte. Zu unzuverlässig waren die Anlieferungen. Heute rollen 12 40t-Hänger- und Sattelzüge mit Topregal-Logo auf der Plane durch Europa. Kunden schätzen den Service und die Extrameile. Eigene Fahrer kommen zudem netter und hilfsbereiter bei den Kunden an.

Der Vertrieb von Topregal war schon immer zu 100 % online. Regale so einfach kaufen wie Schuhe, und genauso schnell geliefert bekommen, das ist die Idee hinter Topregal. Um diese Idee umzusetzen, entsteht der Regal-Konfigurator. Statt Tabellen und Excel-Kalkulation macht Topregal die Planung End-to-End digital:

  • Ein Konfigurator dient Kunden als Schnellkonfigurator
  • Ein Konfigurator lässt Profis komplexere Anlagen planen

„Der Konfigurator war die größte Herausforderung und ist der Gamechanger bis heute.“
– Jürgen Effner

Beratung gibt es telefonisch oder digital, aber bis heute ohne Außendienst. So kommt Topregal auf eine Quote von 70 % automatisierten Bestellungen. Komplexere Konfigurationen laufen über einen mehrstufigen Angebotsprozess. Auch der ist, natürlich, digital.

„Online ist nicht gleich online. Wir bekommen alle Anfragen online rein, natürlich haben wir aber auch viel telefonische Beratung oder erstellen Angebote.“ – Jürgen Effner

Marktplätze spielen übrigens eine sehr kleine Rolle im Topregal-Channel-Mix. Mit Amazon, Mercateo & Co. wurden einige Kanäle ausprobiert, heute sind diese Aktivitäten jedoch wieder eingestellt. Direktvertrieb bedeutet für Topregal Freiheit.

Der höhere Eigenaufwand hat sich als Teil der Strategie bewährt. Bis 2025 wächst Topregal so auf beeindruckende Fakten:

  • 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
  • Drei Standorte in Deutschland: Filderstadt, Pasewalk, Wesel
  • Niederlassungen in den USA und Großbritannien
  • 85 Mio. EUR Jahresumsatz

Next stop: 100.000.000 EUR Jahresumsatz.

Technologische Eigenständigkeit und Freiheit

Das technologische Rückgrat des Unternehmens ist das eigene ERP-System auf Basis von Odoo, einem Open Source ERP / CRM System. Mit eigenen Softwareentwicklern und über 20 Leuten, die sich um den Webshop kümmern, macht Topregal alles Inhouse: Content, 2D/3D Konfiguratoren, Programmierung.

Technologische Eigenständigkeit und Unabhängigkeit ist Jürgen wichtig, von Agenturen hat er sich und B2B nie richtig verstanden gefühlt. Heute ist die Tech-Ownership Teil der Topregal-DNA. Somit ist Topregal eines der erfolgreichsten E-Commerce-Unternehmen im B2B, die meine Hypothese wieder einmal bestätigen:

Nur mit Ownership über Daten, Prozesse und Plattform spielt man im B2B Digital Commerce wirklich ganz vorne mit.

Learnings aus 16 Jahren Topregal

Ich habe Jürgen im Podcast gefragt, was seine Top-Erfahrungen und Erkenntnisse aus seiner unternehmerischen und persönlichen Topregal-Reise sind. Hier die Top 3:

  1. Man kann alles verkaufen, wenn man sich damit beschäftigt. Jürgen hatte keine Ahnung von Regalen und ist heute Marktführer. Wichtig dafür: mit dem Produkt beschäftigen, zuhören, lernen, dranbleiben.
  2. Vertrauen und Struktur, ohne die Seele zu verkaufen. Jürgen lässt sich mit seinen 67 Jahren auch gerne von jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwas sagen. Führungskräfte werden intern ausgebildet. So entsteht Loyalität und Verantwortung. Und: eine hohe Frauenquote, ganz ohne Quotenregelung.
  3. Unternehmen ohne Investoren: Topregal ist ganz ohne externe Investoren gewachsen, obwohl viele gerne bei Jürgen investiert hätten. Lieber langsamer wachsen, dafür besser schlafen, so das Motto der letzten Jahre.

„Wir sind eigentlich eine Projektrgruppe und sehen uns gar nicht so als Firma. Mit unseren bescheidenen Mitteln wollen wir einfach mal versuchen, wie weit wir es bringen können.“

– Jürgen Effner

Was können wir von Topregal lernen?

Kurz: eine ganze Menge. Das Unternehmen ist eigentlich eine große Case Study wert. In den letzten Jahren wurde ich immer skeptischer, ob im B2B Online-Pure-Play funktioniert. Die Antwort, die ich nach dem Podcast mit Jürgen geben kann: Ja, das tut es.

Voraussetzung dafür ist jedoch immer hoher Unternehmergeist und radikaler Fokus auf den Kundennutzen. Und: Der klassische Kunde ist so nicht 1:1 im Internet zu finden. B2B online ist, so Jürgen, „anders“: schneller, einfacher, transparenter.

Danke, Jürgen, für die tiefen Einblicke. Hoffentlich lernen viele etwas aus eurer beeindruckenden Geschichte!

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