3 Jahre Festool digitaler Direktvertrieb mit Michael Magnussen von Festool

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Dass sich die Wertschöpfung im dreistufigen Fachhandel bzw. Produktionsverbindungshandel seit mindestens 15 Jahren verändert, ist mittlerweile im Markt angekommen. Doch angeKOMMEN heißt nicht automatisch angeNOMMEN. Festool hat sich dieser Entwicklung konsequent gestellt und ist ein guter Praxisfall, sich die Konsequenzen daraus anzuschauen. Als B2B „Love Brand“ und im emotionalen Produktsegment Elektrowerkzeuge sicherlich mit sehr guten Voraussetzungen bedacht, gingen die Wendlinger 2022 mit einem eigenen Onlineshop live.

Seither sind drei Jahre vergangen und es ist nun ein guter Zeitpunkt, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wichtig ist das nicht nur für Festool, sondern für den ganzen Markt und seine sich verändernden Strukturen. Michael Magnussen ist der Head of D2C E-Commerce, Web, App, Marketplace. In unserem einstündigen Podcast-Gespräch hat er mir verraten:

  • Wie sich der Online Direktvertrieb seither generell für Festool entwickelt hat
  • Welche Auswirkungen das auf die Fachhandelsbeziehungen hatte
  • Welche neuen Geschäftsmodelle und Services dadurch für Festool möglich wurden
  • Welche Voraussetzungen vor dem Launch 2022 erfüllt sein mussten
  • Was Festool in Zukunft noch online vorhat

Unpopuläre Entscheidungen

Direct-to-Consumer im B2B? Für viele Traditionshersteller klingt das immer noch wie ein gefährlicher Tabubruch. Zu groß die Angst, bestehende Handelsstrukturen zu beschädigen, zu komplex die internen Voraussetzungen, zu unklar der tatsächliche Nutzen. Festool jedoch hat 2022 das gemacht, was bis dahin kaum ein etablierter Markenhersteller seiner Größe in der Power-Tool-Branche gewagt hatte: den Einstieg in den eigenen Online-Direktvertrieb.

„Mir persönlich ist es tatsächlich egal, wo der Kunde kauft, Hauptsache, er kauft Festool.“

Michael Magnussen

Drei Jahre später fasst Michael zusammen: Der Schritt war kein Bruch mit der Vergangenheit, sondern konsequente Weiterentwicklung einer seit Jahren verfolgten Digitalstrategie, einst initiiert von René Kruk, der immer einen konsequenten Blick für die Veränderung der Kanäle hatte. Was sich mittlerweile auch herauskristallisiert: Der Fachhandel wurde alles andere als verprellt.

Die Bilanz nach 3 Jahren Online Direktvertrieb / D2C

Der Impuls kam nicht über Nacht. Bereits in den 2010er-Jahren begann Festool mit ersten Überlegungen zum eigenen Direktvertrieb. Damals noch ohne klaren Startzeitpunkt, aber mit der festen Absicht, näher an den Anwender zu rücken. Der Launch fiel zeitlich zwar in die Post-Corona-Zeit, hatte aber nichts mit Pandemie-Notwendigkeiten zu tun.

Der Wunsch nach noch mehr Kundennähe, unabdingbar für starke Marken auch im B2B, ließen Festool im positiven Sinne über die D2C-Klippe springen:

  • Ein blinder Fleck bei Kundendaten, vor allem bei Zubehör und Verbrauchsmaterial.
  • Ein klar artikulierter Kundenwunsch, direkt beim Hersteller kaufen zu können.

Über Jahre hinweg zeigten Umfragen: Festool-Kunden wollten den direkten Draht – aus Gewohnheit aus anderen Branchen, aber auch aufgrund der starken Markenbindung. Die Motivation entstand bei Festool zum absolut überwiegenden Teil intern, es war kein großangelegtes Beratungsprojekt mit viel externer Unterstützung. Auch das: Konsequent und bemerkenswert.

„Der Power-Tool-Markt ist fünf bis zehn Jahre hinter anderen Branchen hinterher.“

– Michael Magnussen

Frühe Einbindung des Handels

D2C ohne Händler? Keine Option.
Drei bis vier Monate vor dem Start ging Festool aktiv auf die Handelspartner zu: transparent, dialogorientiert und argumentativ sauber.
So waren mögliche Konflikte bereits vor dem Go-Live entschärft – mit Erfolg: Der befürchtete „Benzintank-Moment“ blieb aus.

Welche Voraussetzungen Festool für D2C geschaffen hat

Michael beschreibt mehrere harte und weiche Kriterien, die für Festool erfüllt waren:

Weiche Faktoren:

  • klarer Kundennutzen
  • starke Marke
  • relevante, nicht austauschbare Produkte

Harte Faktoren:

  • sauberes Preis- und Konditionsmodell
  • klare Sortimentslogik für den Shop
  • definierte Value Proposition
  • zuverlässige Logistik, schnelle Lieferprozesse
  • interne Organisationsfähigkeit
  • offene Kommunikation gegenüber dem Fachhandel

„Wir haben 2019 den großen Schritt gewagt, ein europaweit einheitliches Preis- und Konditionsmodell für den Handel einzuführen.“

– Michael Magnussen

Was heute im D2C-Geschäft passiert

Der Shop ist mittlerweile ein vollwertiger Vertriebskanal. Verkauf zum UVP, keine Sonderrabatte, keine exklusiven Sortimente, nur ein sehr guter E-Commerce „Standard“:

  • rund 2.700 Artikel plus 14.000–15.000 Ersatzteile
  • alles in einem Warenkorb kombinierbar
  • automatische Garantieverlängerung bei Maschinen
  • schneller Versand
  • direkter Herstellerkontakt

Von kleinen Warenkörben bis zu fünfstelligen Großbestellungen ist laut Michael am Ende alles dabei. Kommerziell funktioniert der Onlineshop also.

Neue Geschäftsmodelle, die erst durch D2C möglich wurden

Ein neues, spannendes Feld, das Festool nun dank eigenem Kundenkontakt bearbeiten kann, ist der Handel mit Festool Refurbished Maschinen.

„Wir haben Maschinen im Service, die 20, 30, 35 Jahre alt sind – und wir reparieren die immer noch.“

– Michael Magnussen

Festool bereitet ältere Maschinen auf, bewertet sie, gibt dem Kunden einen Gutschein dafür, der wiederum auch beim Händler eingelöst werden kann. Damit bleibt der Fachhandel Teil des Zyklus, während Festool neue Kundensegmente erschließt.

Learnings für andere B2B-Marken und Fachhändler:

1. Eine starke Marke ist ein sehr guter Absprungspunkt für D2C

D2C ergibt vor allem dann Sinn, wenn Kunden eine emotionale Bindung zur Marke haben und sie aktiv suchen. Starke Marken und Produktkategorien wie Power Tools haben hier einen klaren Vorteil. Die Relevanz der Produkte für den Anwender spielt eine große Rolle.

2. Kundenzugang ist die wertvollste Währung

Wer keine direkte Kundenbeziehung hat, kann sie nicht über Nacht aufbauen. Registrierungen, Services, Apps, Garantien schaffen Touchpoints und Daten, die später im D2C unverzichtbar sind. Sie müssen aber auch beherrscht werden.

3. D2C muss tief in die Organisation integriert sein

Spin-Offs, Satelliten oder externe Projektfirmen führen zur Entkopplung. Festool zeigt: Wenn D2C Teil der Kernorganisation ist, entstehen Verständnis, Ownership und langfristige Stabilität.

4. Handel ist kein Gegner – sondern bleibt der wichtigste Kanal

Festool sieht klar: Der Fachhandel bleibt dominanter Absatzkanal, D2C ist Ergänzung, nicht Ersatz.
Nur B2B-Marken, die diese Haltung glaubhaft kommunizieren können, werden langfristig in allen Kanälen relevant sein.

„Ich wurde nicht für D2C-Ziele bonifiziert. Es geht um die Marke, nicht um den Kanal.“

– Michael Magnussen

5. Transparenz entschärft Konflikte, bevor sie entstehen

Der direkte Austausch mit den Händlern vor dem Go-Live war einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Keine Überraschungen, keine Hinterzimmerentscheidungen.

6. D2C schafft Innovationsräume, die über den Handel hinausgehen

Beispiele:

  • Refurbished
  • Paketlogiken zwischen Zubehör und Maschinen
  • schnellere Serviceprozesse
  • direktere Produktfeedbacks

Diese Felder wären allein über den Handel kaum steuerbar und umsetzbar gewesen.

Ausblick: D2C im B2B wird sich nicht zurückdrehen lassen

Festool hat gezeigt, dass D2C im B2B nicht das Ende des Handels bedeutet, sondern neue Optionen eröffnet, für Hersteller, Handel und Kunden gleichermaßen. Der Weg dorthin erfordert Mut, Klarheit und eine starke interne Vorbereitung. Doch wenn Marke, Prozesse, Kultur und Umsetzung zusammenpassen, wird D2C zum Katalysator für Innovation und Kundennähe.

Die nächsten Jahre versprechen spannend zu werden, mit Refurbished, App-basierte Services, datengetriebene Sortimente, kanalübergreifende Customer Journeys. Alles Felder, die mit einem stabilen D2C-Setup erst möglich werden und noch stärker wachsen können.

Und eins wird besonders deutlich: Festool ist kein Hersteller, der D2C als kurzfristigen Trend nutzt. Es geht um Kundennähe, Kundenzugang und D2C als Baustein der Markenstrategie, gekommen, um zu bleiben.

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