„Ich habe ein großes Herz für den (B2B) Handel,” sagt Dr. Adrian Seeger, mein heutiger Gast im warenausgang.com Interview. Bereits im Familienunternehmen mit B2B-Handel konfrontiert, hatte Adrian viele leitende Managementpositionen im B2B-Handel inne, von Werkstoffen über Chemie bis zum Elektrogroßhandel.
Mit Adrian spreche ich über die Zukunft des B2B-Handels. Als wachstums- und vertriebsorientierte Menschen fragen sich Adrian und ich in dieser Folge: Wo ist eigentlich noch Wachstum im B2B-Handel? Dabei schauen wir uns an:
- Der B2B-Handel im aktuellen Makrokontext
- Die Herausforderungen des B2B-Handels
- Wie gehen große und mittelständische B2B-Händler gut damit um?
- Kundennähe richtig nutzen
- Services und KI als Wachstumsinstrument
- Wie führt man in diesen Zeiten?
Der B2B-Handel im aktuellen Makrokontext
Die makroökonomische Lage ist nicht neu, sondern seit 3 Jahren gleich. Was die Lage verschärft ist, dass wir in der Phase davor, seit 2009, kontinuierliches Wachstum verspürt haben. Seit 2016 zusätzlich befeuert durch die Nullzinspolitik der EZB, bis in die Zeit nach der Corona-Pandemie künstlich durch enorme Geldmengen am Leben erhalten worden. Aus makroökonomischer Sicht, so Adrian, ist die Abwärtsbewegung der letzten Jahre eher zyklisch und normal. Doch wer solche Krisen nicht kennt, wird automatisch unruhig. Wer die Zyklen akzeptiert, so Adrian, hat einen psychologischen Vorteil.
„Viele Führungskräfte, die vor 12, 15 Jahren in die Verantwortung kamen, kannten nichts anderes außer Wachstum.“ – Dr. Adrian Seeger
Doch nicht nur Wirtschaftszyklen, auch Wettbewerbsdruck verändert die Rahmenbedingungen. Hersteller aus Fernost drücken in hiesige Märkte, vor allem mit Commodities und über den Preis. Zu einem Niveau, das hierzulande alle unter Druck setzt.
„Das ist der Lauf der Zeit und ich glaube, da müssen wir uns nichts vormachen. Das wird in der Zukunft weitergehen.“ – Dr. Adrian Seeger
Reine Produktfokussierung ist somit nicht mehr ausreichend, B2B-Händler müssen sich über die komplette Versorgungskette ihrer Kunden Gedanken machen: von der einfachsten Bestellannahme bis zur Lieferung an die Werkbank. Das ist, da ist sich Adrian sicher, aus Asien nicht so einfach machbar.
Die Herausforderungen des B2B-Handels
Nach wie vor fällt einem als Erstes die Digitalisierung ein, wenn man über die aktuellen Herausforderungen nachdenkt. Angefangen im E-Commerce muss der gesamte Order-to-Cash-Prozess betrachtet werden. Heute natürlich unter Zuhilfenahme von KI-Werkzeugen entlang der Prozesskette. Digitalisierung ist auch der Schlüssel, um sich stärker über Dienstleistungen zu differenzieren, egal ob in der Logistik, der Buchhaltung oder der Einkaufstransparenz.
Nachhaltigkeit ist, spürt Adrian, in der letzten Zeit leider wieder stärker ins Hintertreffen geraten. Einerseits neben der verpflichtenden Berichterstattung ein weiterer Differenzierungsanker, wenn man es für den Kunden erlebbar macht, andererseits natürlich nicht zuletzt eine bürokratische Bürde und Herausforderung, gerade im Mittelstand.
„Ich glaube, dass der klassische Außendienst in dieser Form schon lange nicht mehr da ist.“ – Dr. Adrian Seeger
Hyperpersonalisierung, auch auf Basis digitaler Systeme, ist eine weitere Herausforderung für den B2B-Handel, der das Thema an sich über die Außendienstarbeit der vergangenen Jahrzehnte kennt. Doch wie verkauft wird, gerade mit Außendienst, stellt für viele Firmen im B2B-Handel eine Herausforderung dar. Die Rolle des Außendienstes muss an vielen Stellen neu definiert werden, das Aufgabenfeld verändert sich.
Wie gehen große und mittelständische B2B-Händler gut damit um?
Je nach Größe des B2B-Händlers bieten sich unterschiedliche Vorteile: Große Händler sind oft in der Lage, durch mehr Ressourcen mit ruhigerer Hand Technologien, Systeme und Prozesse aufzubauen. Der Mittelstand kann dafür agiler und flexibler am Kunden agieren und opportunistischer arbeiten. Was beide eint: Unabhängig von der Größe brauchen B2B-Händler eine Strategie, eine Idee, wo sie in 10 Jahren ein wollen. Keine starren Vorgaben, sondern eine Richtung.
Geschwindigkeit wird einer der wesentlichen Wettbewerbsvorteile der Zukunft sein, legt sich Adrian fest. Einerseits, wenn es darum geht, aus KPIs schnell Schlüsse und Handlungen abzuleiten, andererseits, um Dinge auszuprobieren und zu testen, bevor sie skaliert werden.
„Geschwindigkeit wird einer der wesentlichen Wettbewerbsfaktoren sein, und das hat nichts mit Geld zu tun.“ – Dr. Adrian Seeger
Eine Frage der Einstellung und des Mindsets also, dass das permanente Neuerfinden zu den Geschäftsmodellen der Zukunft dazugehört.
Kundennähe im B2B-Handel
Kundennähe ist im Mittelstand ein entscheidender Verteidigungsgraben, doch heute kein echtes Differenzierungsmerkmal mehr. Vor allem, wenn sie nicht richtig gelebt und genutzt, sondern durch geografische Nähe als gottgegeben angenommen wird.
„Die Segmentierung nach Postleitzahlen ist heute nicht mehr opportun.” – Dr. Adrian Seeger
Kundenzentrierung sei im Mittelstand zwar ausgeprägter als bei großen B2B-Händlern, aber hat sich trotzdem noch nicht überall wirklich durchgesetzt, konstatiert Adrian. Über ein gutes Verhältnis zum Kunden und geografische Nähe hinaus entsteht Kundennähe nur dann, wenn ich neben dem Vertrieb auch Buchhaltung, Logistik und / oder IT die Bedürfnisse des Kunden kennen und ihr Handeln danach ausrichten.
Versteht man den B2B-Kunden gut, wird man als B2B-Händler automatisch Teil seiner Wertschöpfung. Zu erkennen, warum der Kunde ein Produkt braucht, ist die Basis, um mitzugestalten und echten Mehrwert zu schaffen, egal ob durch Services, Daten oder digitale Lösungen.
Services und KI als Wachstumsinstrumente
In unserem Gespräch wird klar, dass es bei Wachstum im B2B-Handel über Services längst nicht mehr nur um einzelne, punktuelle Dienstleistungen geht, sondern um die spürbare Unterstützung des Kunden in seiner eigenen Wertschöpfung. Der Schmerzpunkt des Kunden ist nicht, dass er Ware bekommt, sondern dass er sie möglichst schnell in seine Wertschöpfung integrieren kann.
Differenzierung entsteht also dort, wo B2B-Händler zum Teil der Kundenwertschöpfung werden. In Zukunft werden hier intelligente Services, digital und datenbasiert, unterstützen. Bedarfe voraussehen, Lieferungen exakt aussteuern, den Kunden dabei zu unterstützen, Prozesskosten und Total Costs of Ownership zu optimieren und zu reduzieren. Services gehen greifbar über Einkaufspreisverhandlungen hinaus.
Dabei spielt KI eine zentrale Rolle, auch wenn Adrian heute mit dem Reflex zur Nutzung von KI im B2B-Handel hadert:
„Wenn wir uns ausschließlich mit den Themen Effizienzsteigerung oder Kostensenkung beschäftigen, wenn wir über Digitalisierung und KI reden, dann geht das in die falsche Richtung.”- Dr. Adrian Seeger
Wer KI nutzt, um das Verhalten der Kunden zu analysieren, Bedarfe zu ermitteln und Bestellungen automatisiert verarbeiten kann, setzt die Hilfe an der richtigen Stelle an, meint Adrian. Neue Kundenerkenntnisse gewinnen und auf dieser Basis Services schaffen, die echten Mehrwert bieten. So hilft KI bei der Integration in die Kundenwertschöpfung: Sie erhöht das Verständnis für den Kunden.
Kostenbetrachtung ist nicht unwichtig. Im Falle von KI und insbesondere in Verbindung mit Services greift diese Betrachtung tatsächlich jedoch zu kurz. Sich erfolgreich oder wachsend sparen wird nicht möglich sein und auch nicht die Zukunft des B2B-Handels, da sind sich Adrian und ich einig.
Wie führt man in diesen Zeiten?
Haltung ist der Schlüssel zur erfolgreichen Führung, vor allem in diesen Zeiten. Adrian ist eine sehr erfahrene Führungskraft und weiß: Es geht nicht um Methoden oder Tools. Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Entscheidungsfähigkeit sind vielen Unternehmen abhandengekommen, z.B. durch Zentralisierung oder das grundsätzliche Gefühl, sich als Führungskraft absichern zu müssen.
„Führung kommt gerade in solchen Zeiten wie heute natürlich eine riesige Bedeutung zu und ich glaube, wir müssen uns wieder darauf besinnen, was uns früher erfolgreich gemacht hat.“ – Dr. Adrian Seeger
Klarheit schaffen über die Strategie ist die Basis, dass Entscheidungen wieder dort getroffen werden können, wo sie richtig sind: möglichst nahe am Kunden. Entscheidungen, die permanent von unten nach oben delegiert werden, weil sie unterwegs von keinem getroffen werden wollen, werden nicht unbedingt besser. An der Basis Verantwortung zu verspüren, sorgt dafür, dass echte Stärke beim B2B-Händler ensteht, so Adrian.
Besonders einig sind wir uns darüber, dass in Vertrieb und Marketing ein Großteil des Erfolgs entschieden wird. Marketing funktioniert im B2B oft besonders schlecht, weil es verpasst, den Kundennutzen zu transportieren. Ein Umdenken, weg vom Produkt und hin zur Lösung muss stattfinden, auch hier wieder möglichst über den Weg der Kundennähe. Im Vertrieb geht die Orientierung weg von der Masse, hin zur Klasse und Qualität. Auch in den KPIs: Weniger in Umsatz, mehr in Ertrag denken.
Führung heißt, Orientierung geben, wenn ich auf Makro- und Mikroebene alles verändert.
„Ich glaube, jeder muss sich darüber klar sein, dass Veränderung uns die nächsten Jahre begleiten wird.“ – Dr. Adrian Seeger
Fazit und Ausblick
Am Ende traut sich Adrian nicht, sich auf ein von mir gefordertes Best Practice aus dem B2B-Handel festzulegen. Doch wahrscheinlich hat er damit sogar recht, denn die Bewältigung der Herausforderungen auf der Suche nach Wachstum sind individueller denn je.
Trotzdem, das können wir beide festhalten: B2B-Händler müssen nicht aus mangelnden Wachstumsperspektiven den Kopf in den Sand stecken. Es ist genügend Wachstumspotenzial da. Die Frage ist eher, wie konsequent man die Themen angeht, die es Bedarf, um die Potenziale zu heben.
