Wien, 23. Januar 2018. Nicht nur die Handelsmodelle im B2B ändern sich. Auch die Produkte an sich werden weiterentwickelt. Dabei geht es nicht immer nur darum, mehr Features oder Leistung in Produkte zu packen. Im Elektrowerkzeug- und Maschinenmarkt spielt das Thema Konnektivität eine große Rolle. In jeder Millisekunde produziert ein Elektrowerkzeug oder eine Maschine Daten. Bisher war es schwierig, diese Daten vernünftig zu verwerten, nicht zuletzt, weil gerade bei mittelständischen Herstellern das Know-how für die Entwicklung fehlte.
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ToolSense ist ein Start-up aus Wien, das dies nun ändert. Ich konnte die Co-Founder Stefan Öttl (CEO) und Alexander Manafi (COO) zum Interview treffen und mich mit Ihnen über Ihr Unternehmen und die vernetzte Zukunft auf der Baustelle, im Elektrowerkzeug- und Maschinenmarkt unterhalten. Stefan und Alex wissen, wovon sie sprechen. Stefan, BWLer, war früher bei Hilti, Alex hat technische Informatik studiert und bei Siemens in der Digital Factory gearbeitet. Beste Voraussetzungen also, ToolSense zu DER Schnittstelle für Powertools auf der vernetzten Baustelle zu machen.
ToolSense über…
…das Toolsense Geschäftsmodell:
Connectivity an sich ist nichts neues. Auch nicht auf der Baustelle. Große Baufahrzeuge, wie z.B. ein Bagger, haben diese Funktionalität schon seit einiger Zeit. Für kleiner Werkzeuge, wie z.B. Standkreissägen oder Bohrhämmer steht diese Entwicklung jedoch noch am Anfang. ToolSense hat ein kleines Hardware-Modul mit eigener Software entwickelt, das als Serieneinbauteil in Maschinen aller Art eingebaut werden kann. Auf diesem Modul laufen lokal Machine Learning Algorithmen. Mit diesen Algorithmen können die Sensordaten, die z.B. ein Bohrhammer auf der Baustelle generiert, direkt ausgewertet und klassifiziert werden. Das ist entscheidend, da es die Vernetzung von Powertools erst möglich macht. Ein Bohrhammer erzeugt im Einsatz in wenigen Stunden mehrere hunderte Megabyte Daten. Diese 1:1 via Breitband in die Cloud und somit zum Hersteller zu schicken, würde extrem viel Energie und Datenvolumen verbrauchen. Das ToolSense-Modul generiert daher auf der Maschine aus den 400-500 MB Daten aus 1-2h Einsatz kleine Datensätze mit 400-500 Kilobyte. Diese können energiesparend mit der Narrowband-Funktechnologie übertragen werden, auf dem Modul befindet sich eine SIM-Karte.
Was als Datensatz beim Hersteller ankommt sind Informationen, aus denen z.B. herausgelesen werden kann, ob gestemmt oder gebohrt wurde, mit welcher Intensität gearbeitet wird oder welchen Durchmesser das Verbrauchsmaterial (z.B. der Bohrer) hat. Zum ToolSense-Modul gehört eine Cloud, eine browserbasierte Applikation sowie eine Smartphone App. Somit kann nicht nur der Hersteller, sondern auch der Kunde, die Händler oder Vermieter auf die Daten zugreifen. Jeder Teil der Wertschöpfungskette bekommt dabei idealerweise die Daten, die ihn interessieren.
Die Hardware verteilt ToolSense zu Selbstkosten. Sie ist für ToolSense “nur” ein Enabler, die man am liebsten im Markt verteilen möchte. Dadurch, dass ToolSense mit so vielen Anbietern wie möglich gleichzeitig Projekte umsetzt, setzen Stefan und Alex hier auch auf die Skalierungsvorteile auf der eigenen Seite. Einmal im Gerät verbaut, kosten die aktiven, datenschickenden Module eine jährliche Gebühr, die alles umfasst: Algorithmen, Apps, Frontend, Cloud, etc.
Mit ToolSense wird also die Maschinenkomponente abstrahiert. ToolSense will DIE Schnittstelle für Daten in einer vernetzten Maschinen- und Werkzeugwelt sein.
…den Markteintritt und die Marktbearbeitung:
ToolSense hat trotz des jungen Unternehmensalters bereits Kontakt zu über vierzig Maschinenherstellern. Diese stehen in dem Thema “Connected Tools” zumeist noch am Anfang der Entwicklung, in der Evaluierungsphase. Bei den Herstellern ist noch nicht so richtig klar, wie sich die Daten später wirklich monetarisieren lassen.
“Heute im Büro die perfekte Lösung entwickeln, das wird nicht passieren.”
Stefan Öttl, CEO ToolSense
ToolSense hilft den Herstellern dabei, diese Frage besser beantworten zu können. Ein viermonatiges Umsetzungsprojekt mit ToolSense kostet schlappe 5.000 EUR. Das Ziel des Projekts ist die Validierung der Technologie auf Herstellerseite und die Erreichung des “Product-Market-Fits”. Schnell und schlank Ergebnisse generieren und die Möglichkeiten der Technologie aufzeigen, zu der Erkenntnis gelangen, dass sich mit den Daten, die das ToolSense Modul generiert, wirklich etwas anfangen lässt. Die Projekte erfordern einerseits, wie so viele Digitalprojekte, das Top Management Commitment, andererseits müssen aus allen beteiligten Unternehmensbereichen die Kolleginnen und Kollegen an den Tisch. Sicher ein größeres Unterfangen, als das überschaubare monetäre Investment.
ToolSense hat für die einzelnen Phasen über die vier Monate ein eigenes Framework entwickelt, geht in den Projekten in den Lead und versucht, mit den Herstellern über Workshops und Beratungsleistung so schnell wie möglich an einen Punkt zu kommen, an dem man den Besprechungsraum und das Entwicklungslabor verlassen kann, um die gesamte Wertschöpfungskette einzubinden und mit Händlern oder Vermietern und echten Kunden die vernetzten Powertools in der Praxis zu testen.
In Zeiten, in denen oft gefragt wird, wie Mittelstand und Start-ups kooperieren können, ist ToolSense ein sehr guter Case, wie man die PS zumindest mal auf die Straße bringt.
„Wir wissen, dass das spottbillig ist. Es ist aber unser Investment in die Hersteller. Wir sind auch bereit, gemeinsam das Risiko zu tragen“
Stefan Öttl, CEO ToolSense
…die Entwicklung des Powertool-Marktes:
Große Anbieter, wie Bosch Powertools, Hilti oder Milwaukee haben bereits eigene Lösungen für vernetzte Werkzeuge am Start und entwickeln die direkte Konnektivität gezielt weiter. Dazu sind große Anbieter wie Hilti mit Themen wie dem Flottenmanagement bereits sehr erfolgreich. Mittelständische Hersteller haben Rückstand, den es wettzumachen gilt. Bisher war die Vernetzung der Maschinen eher featurebasiert, zukünftig, da ist sich ToolSense sicher, geht es eher um die Daten und neue Geschäftsmodelle.
Das wird auch bitter nötig sein. Die Anbieterdichte in Europa erhöht sich, die digitalen Absatzwege über Amazon & Co. lassen die Handelsmargen weiter erodieren. Grundfunktionen des Handels, wie die Logistikfunktion, werden von Amazon mit Services wie der 2h-Belieferung in deutschen Ballungszentren immer stärker unterlaufen. Die Qualitätsunterschiede in den einzelnen Segmenten und zwischen Top-Marken und Produkten asiatischer Hersteller werden immer geringer, die Preisspirale dreht abwärts.
“Die Differenzierung wird zukünftig über Value Added Services erfolgen,” sind sich die Co-Founder von ToolSense sicher. Diese Services brauchen Futter, das Futter sind die Daten aus den Maschinen. Für Premiumhersteller also eine große Chance, sich weiter zu differenzieren und sich tiefer in die Wertschöpfung bei den Kunden zu integrieren, z.B. über Produktivitätsconsulting. Um diese Leistungen zu verkaufen brauchen jedoch Hersteller und Händler gut ausgebildete Vertriebsmitarbeiter, die Mehrwerte auch transportieren können.
…die Vertriebsoptionen in einer Welt mit steigender Komplexität:
Im Interview stelle ich die These auf, dass der Handel in der Regel die immer komplexeren Modelle der vernetzten Maschinen und deren Mehrwerte nicht verkaufen können wird und sich eher zu einem Hilti (oder Würth) entwickeln werden muss, also in den Direktvertrieb geht. Alex und Stefan halten dagegen: Natürlich haben es Direktvertriebsunternehmen leichter. Andererseits kann nicht jeder Hersteller einen Direktvertrieb aufbauen. Prinzipiell braucht es eben gutes Personal, das in der Lage ist, die neuen Mehrwerte zum Kunden zu transportieren. Hersteller sollten daher den Handel von Beginn an in das Thema und die Entwicklung einbinden. Während bei großen Playern wie Bosch oder Hilti andere Vertriebsmögliichkeiten herrschen, haben die Anbieter im mittleren Marktsegment eher weniger Möglichkeiten. Stefan sieht zudem im Generationswechsel in den Kunden-Chefetagen auch die Vorteile für Direktvertriebsmannschaften (z.B. hohe Besuchsfrequenz) schwinden:
“Wenn ich die Zeit des Kunden in Anspruch nehmen will, muss ich auch mit Themen mit Business Impact kommen.”
Stefan Öttl, CEO ToolSense
Auf der anderen Seite bedeutet es natürlich, dass sich auch der Handel bewegen muss. Nicht nur Maschinen verkaufen, sondern auch bedienen und reparieren können. Das stellt viele Händler vor große Herausforderungen. Die neue Wertschöpfungskette vernetzter Maschinen muss einfach nutzbar sein können, auch für Händler, mit klaren Call-To-Actions über einfach anzuwendende Frontends.
“Die Hersteller und Händler müssen offen miteinander reden und die Karten auf den Tisch legen.”
Stefan Öttl, CEO ToolSense
…mögliche Hersteller-/Händler Use Cases mit Daten aus Maschinen:
Anders als z.B. im Baumaschinenbereich sind in vielen Anwendungsfällen, z.B. beim Elektrowerkzeug, die Daten nicht für predictive Maintenance oder ähnliche Applikationen relevant. Beim Bagger kostet jede Minute Standzeit Geld und er hat eine hohe Wartungsintensität. Elektrowerkzeug kann in der Regel schnell ausgetauscht werden. Viel eher sieht ToolSense daher die Relevanz der Daten im Aufbau und der Optimierung der Sales Intelligence. Elektrowerkzeuge und große Maschinen andere Use Cases
Wie genau die Daten für Hersteller und Händler nutzbar sind, um mehr Up- und Crosssell betreiben zu können, und zur richtigen Zeit mit dem richtigen Produkt am richtigen Ort zu sein, das ist die Secret Sauce von ToolSense, aber auch für jeden Hersteller und Händler. So viel sei aber verraten: Aus den Sensordaten lassen sich über die Zeit Datenmodelle und -muster herausrechnen, z.B. wiederum dem Vertrieb Hinweise geben können, wo demnächst welches Verbrauchsmaterial fällig ist. Es geht nicht unbedingt darum, alles auf den Millimeter genau zu bestimmen, sondern die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen.
Hersteller von vor- und nachgelagerten Produkten sollten daher frühzeitig auf die Hersteller der Maschinen zugehen. Sie sind am Ende die Owner der Daten und, ähnlich wie Google, Facebook, Apple & Amazon, daher am oberen Ende der Nahrungskette. Auch für Versicherungen und sonstige Beteiligte an der Wertschöpfungskette “Bau” sind die Daten zukünftig interessant & relevant.
…connected Tools in anderen Bereichen:
Die Business Cases und viele der Services und Annahmen, die darüber getroffen werden, beruhen in der Regel auf den Anforderungen von Großabnehmern. Neben ihnen gibt es aber noch zwei weitere Hauptnutzergruppen: DIY und das klassische Handwerk. Hier ist es eher so, dass Produktivität eine untergeordnete Rolle spielt. Im DIY können sich Hersteller vielleicht, ähnlich wie im Smartphone-Markt, mit dem x-ten Feature noch weiter vom Wettbewerb differenzieren. Im klassischen Handwerk kommt hinzu, dass Pay-per-Use Modelle heute eher noch unter dem Radar laufen. Der klassische Handwerker kauft gerne. Doch auch hier könnte der Generationenshift für einen Wandel sorgen. Grundsätzlich ist die Kaufmentalität eher ein DACH-Phänomen, in UK oder Frankreich ist die Anmietung der Maschinen weiter verbreitet. Ein Faktor, der jedoch auch hier ausschlaggebend sein könnte, sind die steigenden Anforderungen am Bau, getrieben durch Generalunternehmer. Diese achten immer stärker auf die Produktivität ihrer Großbaustellen, monitoren Kennzahlen und üben ggf. Druck auf ihre Sub-Unternehmer aus.
Fazit
ToolSense steht am Anfang einer Entwicklung, die einen Markt nachhaltig verändern wird. Wie einst der Wechsel vom Stromkabel auf immer stärkere Akkus, wird auch das Thema “vernetzte Werkzeuge” für einen neuen Schub sorgen. Spannend wird sein, zu beobachten, welche Hersteller & Händler mutig genug sind, die First Mover zu sein.
Mehr über ToolSense erfährt man unter www.toolsense.io oder auf LinkedIn. Hier haben Stefan Öttl und Alexander Manafi bereits einige spannende Thesen über den Connected Tools Markt in Artikeln zusammengefasst:
- Role of Retail in Digitalization of the Powertool Industry – Manufacturers at Risk?
- Connected Tools: The Pay-per-Use Opportunity for Premium OEMs
Treffen kann man die Jungs im Februar auf dem Mobile World Congress in Barcelona, im März auf der Eisenwarenmesse in Köln und im April auf der Hannover Messe.
Aus meiner Sicht ein interessanter und wichtiger Beitrag. Mit diesen “Bewegungsdaten” lassen sich gänzlich neue Geschäftsmodelle entwickeln. Große Auswirkungen wird es auf die Dienstleistungen, so wie wir sie heute begreifen und erleben, haben. Die Chinesen dürften auch hier marktbestimmend werden, da sie ja schon aktuell über “social tracking” viel Erfahrung sammeln werden. Wir sollten hier zumindest konzeptionell stärker engagieren