Offene Plattformen statt geschlossener Systeme: von General Electric lernen

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Davos, 24. Januar 2017. Das im Schatten der US-Inauguration etwas untergegangene Weltwirtschaftsforum in Davos ist unbestritten die schwergewichtigste Wirtschaftskonferenz der Welt. Längst ist auch das Thema der “Digitalisierung” in der Mitte der Diskussion angekommen. So wundert es nicht, dass auch die Crème de la Crème der Weltdigitalwirtschaft auf diesem Event eine wichtige Rolle spielt (z.B. Sheryl Sandberg, COO Facebook, oder Sergey Brin, legendärer Co-Founder von Google).

Ich habe bisher trotzdem nicht bemerkt, dass das WEF im richtigen Leben allzu große Spuren hinterlassen hat. Den meisten wird es ähnlich gegangen sein. Doch dank eines Zufalls bin ich vergangene Woche auf ein Video mit Steve Bolze, President und CEO von GE Power, aufmerksam geworden. Er plauderte vergangenen Dienstag in lockerer Runde, u.a. mit SAPs CEO Bill McDermott davon, wie es GE schafft, sein Geschäftsmodell im digitalen Zeitalter weiterzuentwickeln. Selbst mit 50% Rabatt auf die Aussagen Bolzes verfestigt sich der Eindruck, dass es auch bald in maßgeblichen Industriezweigen “America First” heißen könnte. Unter dem Video habe ich die wesentlichen Punkte Steve Bolzes und Learnings für die deutsche Industrie zusammengefasst.

“I did not talk a lot about software in the last 20 years”

GE hat erst vor fünf Jahren so richtig mit der digitalen Transformation begonnen. Lange Zeit war GE ein Hardware-getriebenes Unternehmen: Gasturbinen, Windturbinen, Wärmerückgewinnung, etc. GE Power erzeugt nach der Übernahme von Alstom Power vor über einem Jahr nach eigenen Berechnungen ca. 1/3 der Weltenergie. Aus z.B. einer Gasturbine werden pro Tag 2 Terabyte Daten generiert. Doch nur 2% dieser Daten werden bis dahin produktiv genutzt. Eine Menge Potenzial also, um die Leistung zu optimieren.

“The digital transformation is the single biggest thing.” – Steve Bolze

“We thought we could get the value through enhancing our services”

So einfach stellte man sich bei GE am Anfang die Vergrößerung der Wertschöpfung für die Kunden vor: einfach ein paar digitale Services hinklatschen, dann wird das schon. Das wäre der Moment, in der in der Sparkassen-Werbung einer “Fähnchen” ruft. Doch GE hat früh gemerkt, dass dies nicht ausreicht. Digitale Services sind in einer von Hardware getriebenen Herstellerwelt nicht genug. Es ging im Anschluss schnell darum, eine neue Software Plattform zu konzipieren.

“This is about a new software platform”

Predix heißt GEs Software Platform. Cloudbasiert und mit offener Architektur. Wovor viele Ingenieure – gefühlt vor allem in Deutschland – noch zurückschrecken, beschreibt Bolze so: “So when we designed our platform to be number one, it has to work on everybody else’s equipment”. Um GEs Anspruch auf die digitale Marktführerschaft im Energieerzeugungssegment erreichen zu können, geht man bei GE also konsequent den Weg der offenen Plattform. So wird man den Kunden gerecht, die einen heterogenen Maschinenpark haben und teilweise eigene Anwendungen schreiben wollen. Von den 20.000 Entwicklern, die heute an Predix arbeiten, kommen einige nicht von GE, sondern von GEs Kunden. Open Innovation in der Industrie 4.0.

“As they get into a pilot, they want to expand it. They want to use it at their whole asset base. They want to do their own development work. I think that is something that is different in the B2B world. You have to enable the customers to generate their own creativity.” – Steve Bolze

GE folgt so einem extrem modernen Ansatz, den es in dieser Form noch nicht so oft in der B2B-Industrie-Welt gibt: offene Systeme, die die Wirklichkeit miteinbeziehen, dass nicht alle Maschinen zum eigenen “legacy equipment”, also dem “geerbten Maschinenpark” gehören.

“People now understand the importance of the digital transition and the power of data”

Das besondere an einem Geschäftsmodell wie dem von GE ist, dass Kundenbeziehungen aufgrund langer Technologie- und Produktlebenszyklen sehr lange halten. Teilweise werden diese über Generationen von Entschiedern “vererbt”, wie Bolze bestätigt. Die Besonderheit dabei ist jedoch auch, sich als Anbieter nicht auf dieser gewachsenen Beziehung auszuruhen, die Gefahr neuer Anforderungen zu unterschätzen. Lange Zeit ging es “nur” darum, Informationen in Echtzeit über die Maschinen auszulesen, um die Genaugikeit von Vorhersagen zu erhöhen.

GEs Kunden wollen heute jedoch schnellen zusätzlichen Nutzen aus den Daten generieren. So kommt es, dass Airlines GE ihre Daten für Pilotprojekte regelrecht “aufdrängen”. Weniger Downtimes und Optimierung von Maintenanceintervallen sind gerade im dünnmargigen Airlingegeschäft willkommene Produktivitätsbooster. Jedoch bleibt bis dato die Frage der Cyber Security unbeantwortet. Die Ausgaben für IT- und Datensicherheit haben sich bei GE Power in den letzten paar Jahren verdreifacht. Doch GEs Erfahrung aus dem Alltag sendet klare Signale:

“Nobody says because of that risk: I’m not going. I am going on this digital transformation.” – Steve Bolze

“So we had to bring in some new talent.”

Bolze sagt über sich selbst, dass er als Elektroingenieur in seinen 23 Jahren GE sehr selten über Software gesprochen hat. Das ist ein Teil der Erkenntnis. Der weitaus wichtigere Teil ist jedoch, dass GE Erkenntnisse dieser Art nutzt, um frisches Talent ins Unternehmen zu holen. Im Falle GEs dürften das weniger die “Business-Weisen”, also Betriebswirtschaftler mit guten Strategie- aber mediokrem Technologieverständis, sein, sondern Entwickler, IT-Architekten und Datenspezialisten. GE stand vor der Aufgabe, dass sich das gesamte Geschäftsmodell in hoher Geschwindigkeit mit hohem Software-Impact ändert.

Auf Executive Breakouts, an denen bei GE immerhin noch 600 der knapp 300.000 Mitarbeiter beteiligt sind, wird Programmierung in der Praxis geschult. Bolze musste dabei der sehr harten Realität ins Auge sehen, dass das, was er vor über 20 Jahren am College über Programmieren gelernt hat, mit dem heutigen Programmieren wenig bis nichts mehr zu tun hat. Auf jeden Fall gibt es heute keine Lochkarten mehr. In diesen Workshop werden natürlich aus den Executives keine Full-Stack-Developer gemacht. Trotzdem befähigen diese Übungen dazu, in Strategiemeetings nicht nur die richtigen Fragen nach Finanzkennzahlen, sondern auch besser Fragen nach Plattformstrategie und Schnittstellen stellen zu können.

Zudem hat man das getan, was mittlerweile fast zum guten Ton gehört: für alle GE Geschäftseinheiten gibt es mittlerweile Chief Digital Officers. In Bolzes Ausführungen nehmen diese jedoch keine tragende Rolle ein.

Was lernt der Otto Normalsterbliche, deutsche Maschinenbauer daraus?

Sicher, es ist schwierig, sich mit einem der größten und finanzstärksten Industrieunternehmen der Welt messen zu wollen. Nur wenige haben die Möglichkeiten, die GE heute hat. Auch habe ich gelernt, bei Aussagen in derart öffentlichem Kontext immer eine gehörige Portion Rabatt zu geben. Schon gleich bei CEOs amerikanischer Public Companies. Trotzdem gibt es ein paar Punkte, die der CEO eines deutschen Industriemittelständlers mit in die nächste Vorstandssitzung nehmen kann:

  • Offene Plattformen statt geschlossene Systeme: Wer in Zukunft digitale Technologien in seiner Sparte führend sein will, muss offene Plattformen anbieten, mit denen sich möglichst viele andere – Kunden und Wettbewerber –  integrieren können.
  • Execution schlägt Revolution: “You will mess a few things up as you go, but you have to go.” Vielleicht haben die Amerikaner einen kulturellen Vorteil, was die Akzeptanz von Trial-and-Error-Ansätzen angeht. Doch die Digitalisierung scheint im weiteren und engeren Sinne ein Thema zu sein, an dem Ausprobieren und schnell scheitern über Planen und spät scheitern geht.
  • Tiefere Integration in die Wertschöpfung des Kunden: Klar, stelle ich einer Region ein Kraftwerk zur Verfügung, dass die komplette Elektrizität in dieser Gegend produziert, ist der systemische Lock-In-Effekt naturgemäß sehr hoch. Trotzdem zeigt GE, wie man es schafft, sich dank IoT und Digitalisierung noch tiefer in die Wertschöpfung des Kunden zu integrieren. Nicht Software um der Software Willen, sondern die Kombination aus Hard- und Software generiert in diesem Fall exponentiellen Nutzen für den Kunden.
  • Keine Startup-Spielchen: Sicher, wenn man tief genug gräbt, wird man auch bei GE eine Venture-Fund, Accelerator oder irgendwelche superdisruptiven Grüne-Wiese-Projekte finden. Beachtlich jedoch, dass Bolze im Interview nicht ein mal dergleichen in den Mund nimmt. Anscheinend schafft man es durch strikte Umsetzung und Anpassung des Kerngeschäftsmodells, dass aus einem Hardware- ein Hard-/Softwareunternehmen wird.
  • Neue Talente: Dass selbst ein Unternehmen wie GE es nicht schafft, aus rein organischer Entwicklung heraus ein Thema wie die Digitale Transformation auf Produkt- und somit auch Geschäftsmodellebene zu stemmen, wird im Interview mit Bolze klar. Es kommt auf die richtige Mischung interner, aber eben auch externer Kräfte an.
  • Big Data muss raus aus der Buzzword-Schmuddelecke: GE zeigt im Interview eindrucksvoll auf, dass man ein relativ gutes Verständnis dafür entwickelt hat, was man mit den Daten, die die eigenen Produkte oder die Kunden generieren, machen kann, nachdem man ein gesichertes “Verarbeitungsumfeld” geschaffen hat. In deutschen Industrieunternehmen schlummern heute Produkt-, Performance- und Transaktionsdaten einen tiefen Schlaf. Dabei wäre es relativ einfach, mit hilfe von Algorithmen aus diesem Rohmaterial schöne Diamanten zu formen.

Fazit

Wie sich schon öfter in den Recherchen und Berichten über Grainger angedeutet hat: In puncto Umsetzung und Konsequenz sind börsennotierte amerikanische Unternehmen den Deutschen meist etwas voraus. Andererseits hat zuletzt der von vielen schon abgeschriebene Daimler-Konzern mit der Generation EQ gezeigt, das “German Engineering” vielleicht etwas länger Anlauf braucht, dann aber “mit Macht” kommt.

Bleibt zu hoffen, dass dies den deutschen Äquivalenten zu GE, Voith, MAN, ZF & Co. ebenfalls gelingt. Bosch arbeitet mit GE Digital bereits an einer gemeinsamen Plattform für IoT Anwendungen. Nachdem der Markt an IoT-Plattformen 2016 implodiert ist, sagen Experten für 2017 das große Jahr der Plattform-Ökosysteme voraus.

Auch Plattformen wie Axoom, ein von Trumpf gegründetes Startup aus Karlsruhe, das sich die Digitalisierung der Wertschöpfungskette, vor allem im Mittelstand, auf die Fahnen geschrieben hat, geben Anlass und Argumente, eine Gegenthese zum vorangegangene Artikel aufzustellen. Die Analysten der Experton Group sehen Axoom immerhin schon als Challenger der etablierten Player.

Was in der Industrie und im industriellen Internet of Things gilt, das kann man fast 1:1 auf den E-Commerce anwenden: Plattformen sind die neuen Ökosysteme der digitalen Wirtschaft. Das gilt sowohl softwareseitig (z.B. Spryker), als auch marktplatzseitig (z.B. ebay, Amazon, mercateo). Den Einfluss der richtigen Software auf digital Geschäftsmodelle habe ich erst kürzlich (B2C Software bringt’s nicht (Teil 1)) beleuchtet. Businessseitig kommt es vor allem für kleinere und mittlere Player nicht darauf an, selbst die beste Plattform bauen zu können, sondern vor allem an Plattformen zu partizipieren, die aus Kundensicht die relevantesten sind.

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