Stuttgart, 12.12.2016. Was die Spatzen seit Frühjahr bereits von den Dächern pfiffen, wurde am 01.12.2016 durch eine E-Mail eines Procato-Gesellschafters Realität: Procato, der Online Marktplatz “von der Industrie für den Fachhandel” wird zum 28.02.2017 vom Netz gehen. Der Grund: “Die Marktakzeptanz entsprach bei weitem nicht den Erwartungen aller Beteiligten.” Eine klare Aussage. Somit wird Procato nur knapp 2,5 Jahren nach Gründung und 1,5 Jahre nach Launch “gesunsetted“.
Welchem Zweck diente Procato wirklich?
Der Gedanke, Procato sei nur ein politisches Spielchen bzw. ein Strategie-Projekt der Hersteller gewesen, um heute alternative Handlungsweisen im digitalen Handel zu legitimieren, muss erlaubt sein:
- Kärcher beteiligt sich im Oktober an Contorion, schon das war eine deutliche Absage an das eigene Projekt Procato.
- Bosch Power Tools geht mit seinen Professional-Produkten in die Fläche, d.h. verzichtet auf die Exklusivität des Fachhandels und verkauft z.B. über Baumärkte
- Bosch Power Tools leistet sich auf Amazon A+ Content. Eine Möglichkeit, der Amazon eine enge Partnerschaft voraussetzt.
Die Liste könnte mit weiteren Beispielen fortgesetzt werden. “Konsequenter Weise haben sich die Gesellschafter entschlossen, ihre Aktivitäten auf andere handelsunterstützende Maßnahmen im Online-Bereich zu lenken und damit den Fachhandel bei der digitalen Transformation zu unterstützen.” Zumindest der erste Teil dieses Satzes, ebenfalls aus der Gesellschafter-Mail, dürfte stimmen.

Vielleicht ist es aber auch vermessen, den Herstellern solch großen Weitblick zu unterstellen. 2013/2014 waren Jahre, geprägt von noch planloserer Digitalisierungsunruhe als 2016. In dieser Zeit gründete Contorion, Grainger kam mit Zoro in Europa an den Start. Selbst der EDE setzte mit Toolineo ebenfalls eine Ente auf den Teich. So gesehen können die Hersteller Procato heute wieder einigermaßen ohne Gesichtsverlust einstampfen. Sie haben es ja versucht, dem Fachhandel digital auf die Sprünge zu helfen. Der hat jedoch nur sehr spärlich mitgemacht. Dann kommt man wieder an den Punkt, an dem man als Hersteller sagt: “Jetzt müssen wir es eben anders versuchen.” Oder wie ein Vertriebsleiter eines Procato-Gesellschafters Anfang 2016 sagte: “Wir werden es nicht schaffen, den Fachhandel zu digitalisieren.”

“Lean” war Procato jedenfalls
Für das Teamfoto von Procato benötigte man kein Weitwinkelobjektiv. Lediglich drei Personen sind darauf zu erkennen: Der Gründer, die Marketingverantwortliche und der Key Account Manager. In weiteren Teamaufbau wurde nie wirklich investiert, lediglich die obligatorischen Werkstudentenstellen wurden geschaltet.
Weder in Technologie, Marketing oder Category-Management wurden eigene Kompetenzen aufgebaut. Umgesetzt wurde das Projekt fast ausschließlich über externe Dienstleister, allen voran UDG als Lead-Agentur. Wenn man aber gegen die Zoros und Contorions dieser Welt in den Krieg ziehen möchte, braucht es schon etwas mehr als ein paar “Dienstleistungs-Söldner”, so kompetent sie auch sein mögen. Selbst Unternehmen wie Würth betreiben eigene IT-Unternehmen, die Ihren IT-Stack managen und teilweise selbst weiterentwickeln.
Contorion behauptet z.B. von sich selbst, ein IT- und datengetriebenes Unternehmen zu sein. Hier arbeiten gut 1/3 der Mitarbeiter in der Entwicklung oder IT-nahen Bereichen. Agilität & IT sind Kernkompetenzen. Deutlich wird dies, wenn man z.B. das Kassenzone-Interview von Frederick Roehder, Gründer und Geschäftsführer Contorions, mit dem Interview des Procato-Gründers und CEOs Stefan-Maria Creutz in der “markt intern” vergleicht: während Roehder fundiert auf die Entwicklung und Feinheiten des digitalen Geschäftsmodells Contorions eingeht, wirkt das markt intern-Interview dank der Übertragung althergebrachter Handelsweisheiten (“Marken schaffen Vertrauen”) auf das Online Business klischeehaft.
Eine nennenswerte Nachfinanzierung des Konzepts scheint es nie gegeben zu haben. Diese wäre jedoch dringend notwendig gewesen, wenn man gegen Companies wie Contorion oder Zoro antritt, die einerseits ordentlich Kapital, andererseits eigenes Expertenwissen zum erfolgreichen Aufbau eines digitalen Geschäftsmodells im Rücken haben – und sich vor allem im Falle Contorions bewusst sind, das “digitales Geschäftsmodell” auch immer “IT-Ownership” bedeutet.
Sell-Side: Schleierhaftes Geschäftsmodell ohne Mehrwert für Händler
Von Anfang an war die Funktionsweise und der Nutzen von Procato nicht ganz ersichtlich. Einerseits sollten Hersteller den Content und die Produkte steuern, andererseits sollten Händler sich auf die Plattform aufschalten und dann die Preise und Verfügbarkeiten beisteuern können. Im Endeffekt das, was Amazon heute mit den Vendoren (Hersteller, Marken die Amazon direkt beliefern) und den Händlern macht: der Vendor verantwortet das Produkt, den Content und die Rezensionen, der Händler packt seinen Preis und die Lieferzeit dazu. Auf der Sell-Side, der Sicht der Händler und Hersteller, somit kein USP erkennbar.

Procato sollte den gesamten Traffic von Herstellerwebsites einsammeln und selbst SEO- und SEA-Kampagnen fahren. Zudem, so die Vorstellung, können die Hersteller zusätzlich SEA-Kampagnen auf das Portal schalten, um so ihre Produkte zu pushen. Der Verkauf findet dann bei irgendeinem Händler statt. An und für sich ein logisches Konzept, doch warum wurden diese Hypothesen nicht vorher einmal z.B. mit einem MVP getestet? Wenn man schon Startup spielt, dann richtig.
Folgt man den Zahlen aus Online-Marketing-Analysetools wie Sistrix oder SEM-Rush, hatte Procato monatlich unter 1.000 Besucher über alle Marketingkanäle.
So ist Procato unter dem Strich aus Fachhandels-Sicht nur die Umdistribution von Werbekostenzuschüssen (WKZs). Statt jedem Fachhändler ein bisschen Geld zuzuschießen, bündelt der Hersteller den WKZ auf Procato, indem er dann den ganzen Batzen Geld an Google für AdWords überweist.
Buy-Side: warum sollte man hier kaufen wollen?
Aus Kundensicht ist das Procato-Geschäftsmodell grundsätzlich schwer nachzuvollziehen. Ausgeschlossen davon ist natürlich die Kunden-Randgruppe, die selbst im Internet gerne noch regional kauft. Die Verbindung mit den stationären Läden der Händler ist das einzige Feature, das Procato von anderen unterscheidet. Doch der Click&Collect-Case ist im B2B bisher nicht das Mittel, um aus einem mangelhaften digitalen Geschäftsmodells ein durchschnittliches zu machen und wird es wohl auch nie mehr werden.
Die mit Abstand wichtigsten Zahlart im B2B, Rechnungskauf, sucht man auf Procato vergebens. Auch Kreditkarten werden nicht akzeptiert. Lediglich PayPal und Sofortüberweisung stehen zur Verfügung. Wenn man denn aber schon C&C anbietet, warum können Kunden dann nicht bei Abholung der Ware beim Lieferanten bar bezahlen?
So wirkt das, was unter “Ihre Vorteile” dem Kunden angepriesen wird, sehr hilflos:
- Online beim Fachhandel kaufen: ist das wirklich ein Vorteil, wenn ich die Produkte auch bei Ebay und Amazon bekomme?
- Flexible Versandarten: Was ist die Alternative? Unflexible Versandarten?
- Komplette Herstellersortimente: Gewagter USP für eine selektive Plattform mit 60.000 Produkten, deren Gesellschafterlogik z.B. die Integration relevanter Marken einer Kategorie de facto ausschließt.
- Maximaler Service: “Umfangreiche Produktinformationen” sind nunmal die Grundlage für E-Commerce und sicherlich kein USP.
Viel Marketing-Bla, nahezu keinen wirklichen Vorteil für die breite Masse der Kunden. Obwohl es Procato durchaus bewusst war, wie z.B. durch Zitate wie „Der Online-Kunde zeigt ein gelerntes eCommerce-Einkaufsverhalten, welches er auf neue Angebote überträgt.“ deutlich wird. Der USP “Vollsortiment” hat eine extrem geringe Halbwertszeit. Allgemein wird viel über Produkte, Sortimente, etc. gesprochen. Das Beispiel Amazon zeigt: in Zeiten datenbasierter Sortimentssteuerung kommt das von ganz allein. Procato war gefangen im Fachhandelsdenken.
Amazon Procato macht die Preise kaputt
Stefan Maria Creutz im markt intern Interview
Im markt intern Interview äußert der Interviewer die Hoffnung, Procato könnte so etwas wie der Anti-Amazon werden. Aus Fachhandelssicht bedeutet das wohl so viel wie “Kann Procato die gängigen Mechanismen eines transparenten Marktplatzes aushebeln” bzw. “bitte kein Preiskampf”. Doch auch Procato bekommt die volle Breitseite des spieltheoretische Ansatzes des Gefangenendilemmas ab: wenn keine Produkte aus einer beliebigen Kategorie online gehandelt würden, blieben die Preise stabil. Sobald jedoch auch nur ein Hersteller/Händler damit anfängt, sahnt er die gesamte Nachfrage ab.
Eine Analyse basierend auf Crawler-Daten, die warenausgang.com schon früher im Laufe des Jahres erhielt, zeigt das Ergebnis des Preiskampfes auf Procato:
Anteil der Markenprodukte, die auf Procato günstiger waren als bei anderen Onlineportalen:

Anzahl Artikel mit Bestpreis nach Onlineportalen:

Aus Herstellersicht muss man somit keine Angst mehr vor Amazon haben. Diese Angst haben viele Hersteller mittlerweile sogar abgelegt. Für viele Hersteller überwiegen die Chancen der einst so gemiedenen Digitalplattformen und -Marktplätzen. If you can’t beat them – join them.
Was hat Procato unterm Strich gebracht?
Seitens der Hersteller hat man gemerkt, dass man es nicht schaffen wird, das Internet auf sein Geschäftsmodell anzupassen, sondern sich eher andersrum bewegen muss. Die Versuche, digitalen Wettbewerb künstlich zu unterbinden, sind gescheitert. Der Versuch, den Wettbewerb wenigstens als Oberschiedsrichter zu regeln, wird mit der Einstellung von Procato ebenfalls zu Grabe getragen.
Die Hersteller, die sich deutlich mehr bewegen als der Fachhandel, haben erkannt, dass es nichts bringt, in Bekanntheit zu investieren, wenn das Geschäftsmodell am Markt vorbei geht. Da kann man dann auch Marketing-Stunts wie Rakuten, die ab nächstem Jahr Trikotsponsor des FC Barcelona werden, unternehmen. Gewinnen wird man trotzdem nicht mehr. Geschäftsmodelle, die fliegen, können über die Zeit sogar ihren Marketingetat reduzieren und wachsen trotzdem weiter.
Es bleibt die Einsicht der Hersteller, dass man keine kruden Thesen über die Funktionsweise von Marktplätzen aufstellen kann, diese dann umsetzt und damit Erfolg hat. In den nächsten zwei Jahren, 2017 und 2018, werden wir wohl mehr Hersteller sehen, die in den digitalen Direktvertrieb einsteigen, als wir es uns heute vorstellen können. Somit hat Procato ein großes Stück zur Willensbildung in Herstellerkreisen beigetragen. Auch wenn der Satz “In dieser Realität müssen sich ein gedachtes Konzept und seine Mechanismen beweisen” wohl anders gemeint war.
Hallo Lennart,
vielen Dank für diesen Artikel!
Das Gefangenen Dilemma in Verbindung mit diesem Absatz bringen es einfach auf den Punkt:
Seitens der Hersteller hat man gemerkt, dass man es nicht schaffen wird, das Internet auf sein Geschäftsmodell anzupassen, sondern sich eher andersrum bewegen muss. Die Versuche, digitalen Wettbewerb künstlich zu unterbinden, sind gescheitert.
Wir hatten ja gemeinsam einmal beim ECC in einer Präsentation von Procato gesessen und identische kritische Fragen zum Geschäftsmodell gestellt.
Zur Ehrenrettung – Procato hätte von “DEM FACHHANDEL” zu einer deutlich attraktiveren Plattform gestaltet werden können, wenn denn – eben der Fachhandel (alle in einen Sack und Schloss dran) Interesse an einer digitalen Erneuerung und Teilhabe am neuen Markt gehabt hätte.
Hallo Stefan,
danke für deinen Kommentar! Ich glaube, so viel Ehre muss man PROCATO gar nicht retten, denn es gehört ja definitiv schon Mut dazu, etwas auszuprobieren, wohlwissend dass das Umfeld nicht gerade der beste Nährboden für digitalen Erfolg ist. Es ist schon verrückt mit dem Fachhandel: Unternehmen wie Blumenbecker, eines der größten EDE-Mitglieder, ist gleichzeitig einer der größten Händler in der Amazon Kategorie “Gewerbe, Industrie und Wissenschaft” und geht somit im Digitalvertrieb in die vollen. Die anderen Fachhändler haben so wenig Bock auf das ganze Thema, dass sie einfach nichts bis viel zu wenig machen.
Hallo Lennart und Stefan,
na ganz so hart würde ich das nicht sehen. Es gibt schon eine Menge EDE-Händler die bei Amazon signifikante Umsätze machen. Es ist eigentlich fast kein Problem für einen Händler dort einen 7-stelligen Umsatz zu generieren. Stimme Euch aber zu, dass die meisten Händler pennen und dann so Rohrkrepierern wie Procato oder Toolino von der EDE auf den Leim gehen und damit dann eigentlich die Chance verpassen an dem Markt teilzunehmen. Eine lustige Facette dieses Wahnsinns ist z.B. , dass die Eigenmarken von der EDE (die eigentlich nur für die EDE-Händler sind) sehr umfangreich auf Amazon angeboten werden. Achtung jetzt kommt´s: Von z.B. Contorion, aber auch von Amazon selbst (nicht FBA, sondern wirklich von Amazon selbst). Wer sich so an der Nase herumführen lässt hat´s auch wirklich nicht besser verdient.
Ich hatte Procato schon 2015 tot gesagt 😉 http://dietmar.de/2015/10/06/recap-des-ecc-forum-b2b-vom-01-10-2015-in-koeln/
Wäre Procato eine Aktie hätte ich sie wohl auch früh geshortet bzw. nie gekauft.
… die Sache war dich tot, bevor sie geboren war. Mit Stefan Maria Creutz hatte man einen Dampfplauderer ohne Ahnung als Geschäftsführer der vorher schon ein Unternehmen an die Wand gefahren hat… Um die Reputation der TTS nicht zu ruinieren wurde eine leere Hülle an Bertsch Innovation verkauft.