Produktdatenliebe #3: Mit Automatisierten Texten Daten sprechen lassen – mit Saim Alkan, Gründer von AX Semantics

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In diesem Podcast sprechen wir mit Saim Alkan, Gründer und Geschäftsführer von AX Semantics. AX Semantics ist ein Stuttgarter Unternehmen, dass eine KI-getriebene Lösung zur automatisierten Textgenerierung entwickelt hat. Die Engine von AX Semantics ist eine SaaS-Plattform, die Kunden sowohl im B2B als auch im B2C vorwiegend dafür nutzen, Produkttexte automatisch zu erstellen. Spannend genug, um einmal im Rahmen unserer Reihe Produktdatenliebe den technologischen Ansatz und seine Anwendungsgebiete näher zu beleuchten.

Mit Text kennt sich Saim Alkan sehr gut aus. Wem Saim ein wenig aus seinem Werdegang erzählt, merkt sofort, warum gerade er ein Unternehmen gründen musste, dass sich mit automatischer Texterstellung befasst. Saim Alkan ist ehemaliger Werbetexter, der früher alles mögliche von Imagebroschüren bis zu Werbespots unter anderem für deutsche Premium-Autohersteller, Radiosender oder gar den guten alten Mannesmann Mobilfunk geschrieben hat.

Saim kennt das Leid eines jeden Texters, weil er es am eigenen Leib erfahren hat: Wenn es um Text geht, hat jeder eine Meinung. Ein wenig mehr “Pfiff” oder “mehr Emotionen”? Damit will Saim aufräumen mit Hilfe einer technologischen Lösung, die Text zu einer formbaren Masse macht, sodass sie in Echtzeit anpassbar, optimiertbar, veränderbar wird. Und vor allem: weniger Gefühlssache, dafür mehr datengetrieben und analytisch.

“Beim Text haben leider immer alle das Gefühl, sie können mitreden. Ich war dieses Thema einfach leid und hab gesagt: „Wisst ihr was? Ich mach jetzt eine Software, die das automatisiert macht. Und damit ich mich gar nicht mehr damit beschäftigen muss, wie es klingt, mache ich das auch noch so, dass es im Self-Service funktioniert.”

Gerade im Zuge der Digitalisierung des Handels ist die Menge an “Gebrauchstexten” explodiert, also solche Texte, die einzig dazu da sind, schnell Informationen an potenzielle Käufer zu vermitteln. Bedenkt man die Fülle an Produkttexten auf allen Marktplätzen und Plattformen weltweit, dann wird der Bedarf für mehr Automatisierung schnell erkennbar.

Was steckt technologisch dahinter?

Hinter der Lösung von AX Semantics stecken neuronale Netze, also, wenn man so will: künstliche Intelligenz. Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ist dabei allerdings entscheidend. Menschliche Texter trainieren die Maschine so, dass sie zu texten lernen, wie sie es selbst tun würden. Dafür ist das Fachwissen des Texters beim Texttraining essenziell. Schreibt die Texterin über Autos, so bringt sie Wissen, Verständnis und Erfahrung mit, die sie dem System zunächst weitergeben muss: Was bedeutet aktive Fahrsicherheit, was heißt CO2-Ausstoß für die Umwelt, was ist ein Hybrid- oder Elektroantrieb?

Grundlage für automatisierte Texterstellung sind natürliche gute Produktdaten – je mehr Datenpunkte vorhanden sind, desto mehr lässt sich in einem Text über ein Produkt erzählen. Dazu zählt zum einen das Standard-Repertoire: Bei einer schwarzen Herrensocke sind Hersteller, Material oder vorhandene Größen ganz normal. Spannend wird es allerdings, wenn es darüber hinausgeht, man also Produkteigenschaften einbezieht, die stärker auf das Produkterlebnis einzahlen: Garnstärke, Maschenanzahl beim maschinellen Strick, wie fein sich die Socke anfühlt oder der Ursprungsort der Baumwolle. Auch hier wird deutlich, wie wichtig das Domänenwissen des Texters ist –und dass er es in das System überträgt.

“Fakt ist, wenn mir nicht klar ist, was die Beschriftung ‘8.8’ auf dem Kopf einer Schraube bedeutet, für welche Qualitätsgüte das steht, was ich damit verschrauben kann, was der Unterschied zwischen einer Edelstahl- und einer Stahlschraube ist, warum die an bestimmten Stellen sinnvoll ist und an bestimmten Stellen eher nicht eingesetzt werden soll – dann kommen am Ende auch nur Schrotttexte heraus.”

Dem System wird zwar die Verantwortung für die Grammatik und die Generierungsleistung in verschiedene Sprachen übergeben, das Betexten von Features im Kundennutzen aber nicht. Das muss weiterhin vom Texter kommen.

Die neuronalen Netze des Systems sind aktuell in der Lage, 112 Grammatiken zu automatisieren. Ist der Ausgangstext also deutsch, kann das System alle Texte in verschiedenen Fremdsprachen selbst generieren – keine reine Wortübersetzung also. Außerdem lernt das System selbst mit, Stichwort Machine Learning. Lädt ein Kunde seine Produktdaten hoch, dann erkennt das System automatisch, was die einzelnen Komponenten bedeuten und kann sie nutzen, um Text zu generieren. “Wenn ich den Text schreibe ‘der Stuhl von der Firma XY’, dann erkennt die Maschine automatisch, XY ist ein Hersteller – den habe ich in der Datenbank hier gefunden–, Stuhl ist eine Kategorie – die habe ich hier gefunden, gehört zu Sitzmöbeln. Es erkennt solche Dinge automatisiert.”

Die Selbstoptimierung des Systems geht so weit, dass es Conversion-relevante Elemente automatisch erkennt und anpasst. Steigt etwa bei dem Produkttext zu einem Bürostuhl die Conversion-Rate, wenn der Hersteller in der Überschrift genannt ist, dann fragt das System den Autoren aktiv, ob es vermehrt solche Texte generieren soll.

Vorteile automatisierter Texterstellung

Die hohe Geschwindigkeit, die eine solche Automatisierung in die Texterstellung bringt, liegt auf der Hand. In kürzerer Zeit lassen sich mehr Texte produzieren, die dann auch noch qualitativ hochwertiger sind, weil sie ihre Zielgruppen besser ansprechen. In der Automatisierung steckt also ein deutlich effizienterer Weg zum Ziel.

Saim sieht jedoch den eigentlich größten Vorteil in der Conversion-Optimierung. Da das System laufend lernt und sich selbst optimiert, wird es immer besser darin zu erkennen, welche Texte auch tatsächlich verkaufsfördernd sind.

“Wenn ein guter Texter unsere Maschine nutzt, kann er aus den vielen Features, die so ein Stuhl hat oder ein Tisch oder ein Bürostuhl, die tatsächlichen Nutzen formulieren.”

Und das eben nicht nur für ein Dutzend Texte am Stück, sondern gleich für tausende. Erkenntnisse aus A/B-Testing oder Multivaraiblentests können sofort in das System eingespielt und innerhalb weniger Stunden auf alle passenden Produkte ausgerollt werden. Zudem werden die Texte auch adaptionsfähig. Sie können viel schneller an situative Veränderungen angepasst werden, die früher bedeutet hätten, ganz von vorne anfangen zu müssen. Saim spricht hier von Optimierung, die skaliert.

“Und das ist, glaube ich, das Neue, was stattfindet. Dieses Umdenken, dass Text eben nicht mehr ein künstlerisch monolithisches Gebilde ist, sondern dass Text ein optimierbares Gut geworden ist, ein Asset.”

Ein weiterer, praxisnaher Vorteil ist außerdem das Thema Retourenreduktion. “Je präziser das Produkt beschrieben ist, umso geringer sind hoffentlich die Retouren”, sagt Saim. Schreibt man etwa bei allen Produkten mit Hochglanzoberfläche automatisiert in die Beschreibung, dass man auf ihnen die Staubentwicklung besser sieht, dann werden sie auch seltener aus diesem Grund retourniert. Was früher manuellen Aufwand bedeutet hätte – oder deshalb gar nicht erst passiert wäre–, ist jetzt regelbasiert auf das komplette Sortiment anwendbar.

Das gilt auch für das sämtliche Informationen, die Kunden sonst beim Kundenservice angefordert hätten. Werden Produkttexte automatisiert um Hinweise erweitert, die dem Kunden nutzen könnten, dann muss der Kunde auch nicht mehr beim Support nachfragen.

Text als iteratives Projekt

Auch automatisierte Texterstellung ist immer individuell. In einem früheren Ansatz hatte AX Semantics probiert, aktuelle, standardisierte Produktbeschreibungen für Handys zum Download anzubieten. Die Abnehmer hatten allerdings so viele Individualisierungswünsche, dass schnell klar wurde: Standard funktioniert nicht.

“Was wir als Lösung sehen, ist: Der Kunde muss sich seinen Text selbst einstellen können, damit er ihn wirklich nutzt, dass er zufrieden ist.” Für Saim ist klar, dass automatisierte Texterstellung als Self Service funktionieren muss. Kunden benötigen eine relativ niedrige Einstiegshürde , um schnell selbst loslegen zu können. Bei AX Semantics ist das ein dreistündiges Online-Training. Danach können Nutzer die ersten Texte selbst automatisieren. “Der klingt dann auch so, wie er ihn da eingestellt hat. Ich muss mich nicht mehr streiten, ob das Ding genügend Emotionen hat, ob das technisch richtig oder falsch ist, sondern das hat der Kunde selbst verbrochen.”

Die Texterstellung begreift AX Semantics nicht als reine – mal mehr, mal weniger kreative – Marketingaufgabe, sondern als iteratives Softwareprojekt. Der Nutzer startet mit einem Text aus drei oder vier Produktfakten und schaut, wie sich die drei automatisch erzeugten Sätze lesen. Erst dann kann er beurteilen, ob das den Erwartungen an Usability und Textqualität entspricht – und ob bzw. wie er weitermachen muss. Kurz: Text als MVP-Projekt, bei dem klein angefangen wird und die Ergebnisse immer wieder nachgebessert werden.

Die menschlichen Barrieren kennt Saim dennoch nur zu gut. “Wir treffen, gelinde gesagt, immer noch auf Texter, die der festen Überzeugung sind, so etwas muss von Hand sein.” Hinzukommt eine gewisse Angst vor der Technologie und wenig Verständnis davon, was sie zu leisten im Stande ist.

Anwendungen im Digital Commerce – und weit darüber hinaus

Gerade für Hersteller dürfte interessant sein: Die automatisierten Texte lassen sich für unterschiedliche Marktplätze und Plattformen zuschneiden. Bekanntlich hat jeder Marktplatz eigene Regeln für optimale Produkttexte in unterschiedlichen Sprachen. Das System kann Texte für Amazon auf eine bestimmte Weise schreiben und für dasselbe Produkt bei OTTO auf eine andere. Der Nutzer legt dafür lediglich die Parameter fest.

“Ich bin es wirklich aus meiner eigenen Texterausbildung leid, mit Kunden über Qualität von Texten zu sprechen. […]Deswegen sind mir datengetriebene Ansätze oder Daten als Basis für die Bewertung eines Textes das liebste Element.”

Spannend wird es, wenn man über weitere Anwendungsfälle spricht. So nutzen Kunden von AX Semantics das System, um Recommendation-Nachrichten an wiederum ihre Kunden auszusteuern. Hat ein Kunde gerade Gartenmöbel bestellt, werden lokale Wetterdaten genutzt, um eine personalisierte Produktempfehlung zu verfassen und zu versenden – zum Beispiel für den passenden Sonnenschirm oder eine Regenhaube. Saim sagt: „Big Data braucht Big Answers. […] Wir wissen so viel über Kunden, unsere Produkte oder Kaufentscheidungen, sind aber [bisher] gar nicht in der Lage, über ein Cluster von zwei, drei, vier Personas zu arbeiten , die wir uns als Zielgruppe vorgenommen haben.” Das will er ändern.

Für das Finanzwesen hat AX Semantics einen anderen Use Case umsetzt. Banken sind verpflichtet, alle sechs Monate eine Kreditbewertung von Firmenkunden zu verfassen, die Mitarbeiter persönlich unterschreiben müssen. Diese Texte werden nun aus vorhandenen Daten automatisch generiert.

Dehnt man den Begriff “Text” etwas weiter, wird die schiere Fülle an Anwedungsgebieten ersichtlich. Laut Saim wäre das System auch zum Beispiel in der Lage, Steuerdateien für Videoschnitt zu generieren. Das sind XML-Dateien, die einer strengen Syntax folgen – Code, also, der einer bestimmten Grammatik folgt. Wird er automatisch erzeugt, müsste niemand mehr manuelle Videobeiträge schneiden.

“Also ich glaube, dass wir das Thema Kundendialog ganz neu denken können. Dass wir wirklich viel granularer kommunizieren können mit den Kunden der Kunden sozusagen. Dass wir viel näher an deren Anwendungsfelder kommen.”

Wo die Reise hingeht

Mittelfristig sieht Saim seine Aufgabe darin, Kunden zu vermitteln, dass die Software auch Veränderungen für die Organisationsstruktur mit sich bringt. Automatisiert und optimiert man Texte für Kundenanschreiben, Versicherungsanschreiben, Tariferhöhungen und so weiter, dann muss das in der Organisation abgebildet werden – gerade weil sich Aufgabengebiete verändern.

Außerdem arbeitet AX Semantics an der Verbesserung der Plattform. So soll sie künftig etwa Textvarianten von alleine vorschlagen. Schreibt der Kunde: “Das Wetter wird heute gut”, dann soll das System andere Formulierungen anbieten, z.B. “Wir erwarten heute gutes Wetter.” Der Nutzer kann dann entscheiden, womit er weiterarbeiten möchte.

Saims Vision geht aber weit darüber hinaus: Er sieht die Aufgabe von AX Semantics darin, das Feld künstliche Intelligenz und ihre Anwendung zu demokratisieren. “Die USA stehen für einen großen Vorsprung zumindest beim Thema autonomem Fahren. In China ist das Thema Gesichtserkennung als KI weit fortgeschritten Wenn wir sagen, Europa muss im KI-Wettbewerb aufholen, dann ist die Frage: Wo holt Europa da auf? Was ist diese große Idee?”

Die Lösung sieht er darin, dass ganz viele Anbieter entstehen, deren Angebote mit möglichst geringem Aufwand auch von vielen genutzt werden können. Statt zu warten, bis der eine Zug losfährt, müssten viele kleine Regionalzüge an verschiedenen Bahnhöfen losfahren.

“Und aus einem dieser kleinen Regionalzüge wird dieser ICE, der diese große Idee darstellt, die aus Europa kommt – wo man sagt, das ist eine europäische Lösung, die das treibt. Und das ist meine Vision.”

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