In vielen Branchen steht der Fachhandel vor massiven Herausforderungen und offenen Zukunftsfragen. Bei vielen B2B-Herstellern und -Marken wird daher offen die Frage diskutiert, ob und wie man näher an den Endkunden rücken kann. Das Umgehen des gelobten, mehrstufigen Vertriebs bringt jedoch viele Herausforderungen für die jeweilige Organisation mit sich und führt zu harten Konsequenzen auf verschiedenen Ebenen, sofern man seine Sache gut und richtig machen will. Im Folgenden schauen wir uns fünf Aspekte an, auf die sich jeder einstellen sollte, der die Herausforderung Endkundengeschäft wagen möchte.
Über Manuel Siskowski
Manuel ist Gründer und Geschäftsführer von THE FABELHAFT GROUP. Mit der Direct-to-Customer Marke WIESEMANN 1893 versucht er, die erste signifikante digitale Werkzeugmarke zu bauen. Mit Fokus auf Marktplätze gestartet, konzentriert er sich aktuell auf die Internationalisierung der Marke und die Diversifizierung der Verkaufskanäle.
1. Der Händlerkonflikt
Die größte Herausforderung für Marken und Hersteller, die an den Endnutzer verkaufen wollen, ist der unumgängliche Konflikt mit den heutigen Primärkunden, den Händlern. Abhängig von der Anzahl der Vertriebsstufen wird man hier direkt mehrere Parteien gegen sich aufbringen. Dies ist aber auch vollkommen verständlich, warum sollte ich bei einem Dritten ein Produkt erwerben, wenn ich es direkt zu gleichen Konditionen beim Hersteller bekomme. Besonders wenn das Produkt über Plattformen verkauft wird, stellt sich die Berechtigungsfrage des Händlers.
Für den Hersteller oder die Marke ergibt sich hieraus jedoch das Dilemma. Bevor ich direkt verkaufe ist das indirekte Geschäft nun mal eben 100% meiner Umsätze. Damit muss ich das heutige Gesamtgeschäft riskieren, wenn ich den Schritt Richtung Direct-to-Customer machen möchte. Bei Firmen mit sehr vielen kleinen Händlern ist dies noch leichter durch zu ziehen. Wenn ich aber ein den Großteil meines Umsatzes mit zwei bis drei Großkunden mache, ist das schon ein gewagterer Schritt.
Natürlich muss sich jeder Händler die Frage stellen, welche Rolle man in fünf Jahren bei einem Hersteller ausfüllen kann, der heute beginnt mit mir in direkte Konkurrenz zu treten. Ein Preiswettbewerb wird nicht möglich sein. Der Konflikt zwischen beiden Parteien ist damit vorprogrammiert. Der häufige Schritt der letzten Jahre, dass der Hersteller im Vendor Modell an Amazon verkauft, wurde häufig noch akzeptiert. Wenn der Hersteller jedoch nun selbst direkt, sei es im Seller Modell auf Amazon oder über eigene Kanäle, verkauft, wird die Beziehung auf die Probe gestellt. Diese Entscheidung kennt zwar am Anfang vielleicht Landesgrenzen, jedoch kann sich jeder Händler in internationalen Märkten denken, wie die Entwicklung in der Zukunft ist. Daher kommt man hier auch kaum um eine ganz-oder-gar-nicht Strategie herum.
Mit unserer Direct-to-Customer Werkzeugmarke WIESEMANN 1893 haben wir uns entschieden gänzlich ohne Händler, Distributoren oder stationäre Partner zu arbeiten. Hierdurch entgehen einem natürlich anfangs extrem viele Wachstumsmöglichkeiten. Jedoch glaube ich, dass ein hybrides Modell (Händlerstrukturen und Direktvertrieb) über kurz oder lang, wenn überhaupt nur für absolute A-Marken möglich sein wird.
2. Neue Pricing Strategien
Das Pricing von Marken und Herstellern mit mehreren Vertriebsstufen basiert noch häufig auf Bruttopreislisten, Rabattstaffeln und UVPs. Ab dem Moment in dem man jedoch selber direkt den Artikel anbietet verlieren die vorher genannten Instrumente ihre Gültigkeit. Denn jeder Händler, Großkunde und Wiederverkäufer hat natürlich jetzt einen neuen Preisanker. Wenn man ernsthaft und in attraktiven Volumina die eigenen Produkte verkaufen möchte, muss man selber eben auch zum echten Marktpreis anbieten. Das beinhaltet unter anderem auch eigene Rabattaktionen und Angebote. Durch den öffentlich einsehbaren Preis, der wahrscheinlich deutlich unterhalb meiner stets gepriesenen Preislisten liegt, werden zukünftige Preisverhandlungen nicht unbedingt angenehmer. Natürlich wird jeder bisherige Kunde penibel meine Preise beobachten und diese zu seinem Vorteil nutzen.
In der Schlussfolgerung bedeutet dies, dass das alte Vorgehen so nicht mehr haltbar ist. Der eigene Verkaufspreis muss vorsichtig und behutsam geplant werden und mit den Händler- und Großkundenpreisen abgestimmt werden. In vielen Fällen wird man wohl nicht umhin kommen, einige bisher sehr attraktive Kundenpreise korrigieren zu müssen. Das bedeutet dementsprechend auch, dass die Positionierung und das Pricing intern deutlich an Bedeutung gewinnen müssen.
Mit unserer Direct-to-Customer Marke WIESEMANN 1893 kommunizieren wir daher einen globalen Preis. Auf unseren eigenen Kanälen, als auch auf Marktplätzen sind unsere Preise stets harmonisiert. Das gibt dem Kunden eine gewisse Sicherheit, nicht jedes Mal den Preisvergleich zu bemühen. Da wir nicht mit Händlern und Wiederverkäufern arbeiten, funktioniert dieses Model dementsprechend einfacher. Bei Großkunden gilt dieser Endkundenpreis dann als Ausgangslage für mengenbasierte Nachlässe.
3. Langsame Geografische Expansion
Das klassische Geschäft mit einem Distributor für einen neuen Markt fernab der eigenen Standorte ist ein sehr angenehmer Deal. Mit relativ wenig Aufwand erschließt der lokale Partner das neue Land oder die neue Region. Im besten Fall kennt der die lokalen Besonderheiten, hat bereits Abnehmer und weiß wie die Geschäfte vor Ort laufen.
Wenn man jetzt das Geschäft direkt abwickeln will, ist diese Arbeit natürlich ungleich schwerer. Angefangen von der Supply Chain, über die Verkaufskanäle bis hin zur lokalen Sprache und Fachtermini muss jetzt natürlich alles selbst erledigt werden. Natürlich fällt die Marge des Distributors weg, was das Ganze wahrscheinlich finanzierbar macht. Mit Hilfe von Übersetzungsbüros, lokalen Experten und internem Know-how werden die meisten Märkte wahrscheinlich auch machbar sein. Die Konsequenz des Modells ist eher eine verminderte Geschwindigkeit was neue Märkte angeht. Wenn man zuvor mehrere Distributoren parallel mit Ware und Information versorgen konnte, wird für die meisten mittelständischen Organisationen jeder lokale Launch eine eigene Herausforderung und Ressourcen binden. Im Rahmen dieses Modells muss man eine verminderte Skalierbarkeit in Kauf nehmen.
So haben wir bei WIESEMANN 1893 die letzten 12 Monate gebraucht um einzig die USA vorzubereiten. Neben den steuerlichen Herausforderungen (siehe 4.) fielen hier Fragen von Versicherungen, über gesellschaftsrechtliche Strukturen bis hin zur Sortimentsauswahl an. Das Ganze endete dann in einer weitreichenden Umstellung aller Verpackungen. Natürlich ist dieser Weg deutlich aufwändiger. Allerdings hat man dann den neuen Markt deutlich besser unter Kontrolle und ist unabhängiger von lokalen Partnern.
4. Herausforderung Tax Compliance
Die vielleicht unterschätzteste Konsequenz im internationalen Direktkundengeschäft sind die Anforderungen im Steuerbereich. Jedes einzelne zusätzliche Land bringt hier eine Vielzahl von Fragestellungen. Der mit Abstand jedoch größte Themenblock wird die Umsatzsteuer. Innerhalb Europas wird jede erfolgreiche Marke schnell über die Lieferschwellen kommen und lokal Umsatzsteuern abführen müssen. Wer seriös als Seller auf Amazon arbeiten möchte mit seiner Marke (um direkt an den Kunden zu verkaufen), wird um das PAN-EU Programm Amazons nur schwer herumkommen und schnell in fünf oder sieben Ländern Umsatzsteuer abführen müssen. Hier muss in jeder betroffenen Organisation massiv Know-how aufgebaut werden, weil auch der deutsche externe Steuerberater im wahrsten Sinne des Wortes an seine Grenzen kommt.
Wer dann auch das Geschäft außerhalb Europas selber abbilden möchte, merkt schnell, dass man hier wirklich vor einer organisatorischen Veränderung steht. Für Firmen mit bereits existenten Auslandsgesellschaften wird der Schritt zum Teil mit Sicherheit einfacher, als sehr zentralistische Firmen mit primär internationalen Handelspartnern. Auch auf der Accounting Seite muss man sich natürlich jetzt an die massiv gestiegene Transaktionsanzahl mit deutlich niedrigeren Durchschnittswerten anpassen. Insgesamt bedarf es besonders hier viel Automatisierung, um preislich kompetitiv zu arbeiten. Man muss natürlich auch hier verstehen, dass das Umgehen des lokalen Händlers bedeutet, dass ich die lokalen Verpflichtungen eben selber abbilden muss.
In unserem Geschäft haben wir unsere Prozesse innerhalb Europas mittlerweile gut unter Kontrolle. Allerdings merkt man schnell, dass es gerade für kleine Firmen schon extrem aufwendig ist. Der aktuell größte Knackpunkt ist auch hier die USA. Da die dortige Sales-Tax auf State Ebene abgeführt wird, sieht man sich schnell mit über 20 Staaten konfrontiert, welche monatlich reportet und bezahlt werden wollen. Bei uns ist das Thema Tax Compliance die wahrscheinlich größte Herausforderung im Rahmen des Geschäftsmodells.
5. Ein neuer Vertrieb muss her
Ein klassischer Vertrieb, der Händler und Großkunden akquiriert, auf das persönliche Gespräch und Verhandlungen baut, ist nicht von Hilfe beim Aufbau eines erfolgreichen Direct-to-Customer Players. Statt Messen, Vertriebsgebieten und Kundenkontakt zählen hier nur die Vertriebskanäle, Werbeformate und Daten. Das ist neben dem rein technischen Knowhow eben auch eine Kulturfrage.
An erster Stelle stehen auf jeden Fall die Produktdaten. Statt leidige Pflichtaufgabe müssen die Produktdaten als ein echtes Asset verstanden und dementsprechend auch aufgebaut werden. Nur mit guten Produktdaten und hochwertigem Content wird man eine Chance haben. Das was früher Händler zum Teil einem noch abgenommen haben, muss jetzt spätestens selbst gemacht werden und als Wertschöpfung verstanden werden.
Neben den Daten müssen auch die Kanäle definiert und getestet werden, auf denen diese ausgespielt werden. Abhängig von Segment und Strategie muss entschieden werden, wie man Marktplätze nutzt, ob ein eigener Shop Sinn macht und ob Dachlatten in fünf Jahren auf TikTok verkauft werden. Man muss verstehen, dass ein Direktkundengeschäftsmodell sich fundamental von dem bisherigen Geschäft der meisten B2B Player unterscheidet. Dort wo der Kunde die meiste Screen Time verbringt, werden in Zukunft eben auch Umsätze getätigt.
Um auf den Kanälen erfolgreich zu sein, braucht es keine Messen, sondern Online- und primär Performance Marketing. Besonders im Bereich Performance Marketing hat man als Hersteller häufig erheblichen Aufholbedarf. Die Produktdaten müssen auf den Kanälen eben auffindbar sein und hier wird es nicht ohne Marketing gehen, vor allem, wenn man erst heute startet. Vieles wird am Anfang wahrscheinlich über Agenturen leichter anzufangen sein. Jedoch muss man verstehen, dass es sich hier um das neue Kerngeschäft handelt und dementsprechend intern beherrscht werden muss.
Wie man den Wandel einer bereits existenten Struktur gestaltet, kann ich nicht beantworten. Bei WIESEMANN 1893 versuchen wir stark innerhalb der Kanäle zu strukturieren. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen der eigenen Shop-Plattform und dem Marktplatzgeschäft. Zusätzlich erfordert dann jeder Kanal in jedem Land sein eigenes Onlinemarketing Setup.
Und wie geht es jetzt weiter?
Wie man mit diesen Folgen umgeht und was die beste Strategie ist, muss jeder Entscheider für sich selbst erarbeiten. Allerdings gibt es auch hier viele unterschiedliche Wege ans Ziel. Wenn man sich entschieden hat, dass die eigene Organisation direkt vertreiben möchte, gibt es zahlreiche Optionen zur Umsetzung. Neben dem hybriden Weg, gleichzeitig an Händler und selbst zu verkaufen, kann man natürlich auch dedizierte Submarken launchen, Player in dem Bereich übernehmen oder auch ganz bewusst ausschließlich auf die Handelspartner setzen.
Weitere Lektüre
https://services.amazon.de/programme/versand-durch-amazon/pan-europa.html
https://warenausgang.com/b2b-digital-commerce-willkommen-in-der-plattformoekonomie/
https://wiesemann1893.com/