Stuttgart, 12.07.2017. In der letzen Zeit bin ich jedoch immer öfter mit der “Digitalisierung des Handwerks” in Berührung gekommen. Sowohl in Projekten, die ich begleiten darf, als auch auf Veranstaltungen der MRO-, Bau- und Industriebranchen beschäftigt man sich zunehmend mit dem Thema. Logisch, betrifft es doch die Kunden vieler B2B Marken, Hersteller, Händler und Direktvertriebsunternehmen. Sich intensiv mit den Kunden zu beschäftigen, so viel sollte nach einem Jahr des warenausgang.com Konsumierens herübergekommen sein, ist immer eine gute Idee.
Ein digitaler Schwelbrand
Dem Handwerk geht es im Jahr 2017 so gut wie schon lange nicht mehr. Volle Auftragsbücher sind die Regel, noch im Mai 2017 schrieb die Deusche Handwerks Zeitung: “Das Handwerk boomt!” und sprach von einem Allzeithoch des hauseigenen Stimmungsbarometers im Handwerk. Schon im August 2016 ermittelte Spiegel Online eine Auslastung im Bauhandwerk von 9,4 Wochen. Das bedeutet, Kunden warten im Schnitt 66 (!) Tage, bis der jeweilige Handwerksbetrieb Zeit findet, sich des Falles anzunehmen. Ein Schelm, wer jetzt schon die Korrelation zur Absatzkurve eines gewissen Stuttgarter Sterne-Autobauers sieht.
Doch ich will nicht anfangen zu meckern, schließlich beschäftigt allein das deutsche Bauhandwerk über 1,1 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Da sollte zunächst die Freude über neue Umsatzrekorde der Branche 2016 von gut 155 Milliarden Euro überwiegen (Bauhaupt- und Ausbaugewerbe, Quellen: Statista). Dazu tragen nicht nur ausufernde öffentliche Bauprojekte wie der BER, die Elbphilharmonie oder Stuttgart21 bei. In Zeiten niedriger Zinsen, billigen Geldes und steigender Immobilienpreise sucht auch der moderne Deutsche Michel sein Glück in “Betongold”.
Angesichts dieser Zahlen und der anhaltenden Entwicklung fragt man sich schon, warum es im Handwerk tendenziell immer weniger Auszubildende gibt. Der Fachkräftemangel trifft, glaubt man der ermittelten Anzahl offener Stellen, das Handwerk mit am härtesten. Zudem steht das Handwerk vor einem Generationenwechsel: Wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks im vergangenen Jahr ermittelte, sind 55% aller Betriebsinhaber im Handwerk älter als 50 Jahre, ganze 8% sogar älter als 65 Jahre. Aus Digitalisierungssicht gesprochen: ca. 60% der Betriebsinhaber in Handwerk überlegen sich gerade, wie sie es wohl über die Ruhestands-Ziellinie schaffen, ohne sich mit den Mühen der “Digitalisierung” herumplagen zu müssen. Völlig menschlich und irgendwie auch legitim.
Das alte Lied der fragmentierten und intransparenten Märkte
Da wundert es nicht, dass im Handwerk, in diesem Fall speziell im Bauhandwerk, Tür und Tor für neue, digitale Wettbewerber weit offen stehen. MyHammer versucht bereits seit 2005, sich diese Marktbedingungen zunutze zu machen und online den Bedarf an und das Angebot von Handwerksdienstleistungen zu konsolidieren. Obwohl zwischendrin das Geschäftsmodell der adversen Selektion (= der günstigste Anbieter bekommt den Auftrag) krachend an die Wand fuhr, wuchs MyHammer 2016 um ganze 17% auf 9,5 Millionen Euro Umsatz und ist mittlerweile sehr profitabel (14,8% EBIT). Doch als reiner Vermittler von Dienstleistungen ist MyHammer auch nach der Übernahme durch die InterActiveCorp bzw. HomeAdvisor, ein Internet-Unternehmenskonsortium, jedoch nie wirklich aus dem “Internet-Mittelstands-Dasein” herausgekommen.
Das liegt auch daran, dass “Internet-Dinosaurier” wie MyHammer langsam aber sicher im darwinistischen Digitalgeschäft von Unternehmen wie AskCharlie, DeineHelfer24, Blauarbeit.de oder Homebell attackiert werden. Vor allem letzteres ist eines dieser Unternehmen, das einem mit Steroiden (Venture Capital) aufgeputschten T-Rex (Startup) vor gut zwei Jahren angetreten ist, den Handwerksmarkt aufzufressen (zu “disrupten”). Im Vergleich zu MyHammer oder AskCharlie versucht Homebell direkt zu Beginn, die angefragten Aufträge größtenteils mit eigenen, bei Homebell angestellten Handwerkern auszuführen.
Dass im Homebell-Geschäftsmodell durchaus Potenzial steckt, sieht man, wenn man sich den Investorenkreis der 10 Millionen Euro schweren, im April 2016 durchgeführten “Series A” Finanzierungsrunde ansieht. Homebell hat mittlerweile eine Bewertung von ca. 27 Millionen Euro. Mit Index Ventures, Lakestar und mehreren Investment-Vehikeln der Samwer-Brüder haben sich gleich drei Gesellschafter im Handelsregister eingetragen, die zumindest in der deutschen VC-Szene einen exzellenten Ruf haben. Anders ausgedrückt: wäre Homebell ein U19-Fußballer, Bayern, Leipzig und Dortmund hätten schon mal Vorverträge auf den Tisch gelegt. Dass beim Aufbau des Geschäftsmodells zumindest marketingseitig gelegentlich auch mal Foul gespielt wird, weiß der Verbraucherschutz-Blog Toptestsieger zu berichten. Darwinistisch halt.
Wie lange halten die fetten Jahre noch?
Die passiv-aggressive Freude der traditionellen Wettbewerber über die lange Leidensgeschichte MyHammers oder über die Aufdeckung zweifelhafter Marketingmethoden bei Homebell ist jedoch fehl am Platz. In Zeiten der Hochkonjunktur lässt es sich zwar gut mit prall gefüllten Auftragsbüchern auf den digitalen Wettbewerb herabschauen, doch sich in Zeichen des wirtschaftlichen Erfolgs mit dem Status Quo zufrieden zu geben, hat schon einige Geschäftsmodelle das Leben gekostet. Dieser “Kodak-Moment” könnte in den nächsten Jahren auch das Handwerk ereilen. Die mobilen Webseiten zweier etablierter Branchengrößen, der Heinrich Schmid GmbH & Co. KG und der Philip Mecklenburg Handwerksgruppe sind ein guter Beweis dafür, was passiert, wenn “online” als Kanal vernachlässigt wird.


Aus Kundensicht werden verikale Anbieter wie Homebell dank digitaler, kundenfreundlicher sowie transparenter Prozesse und transparenter (Fest-) Preise immer attraktiver. Statt (Achtung Klischee!) Angebote und Kostenvoranschläge in Abhängigkeit von der Tagesform des Handwerkers mit erhöhten Aufwänden und Wartezeit einzuholen, bieten Anbieter wie Homebell Algorithmus-basierte Festpreisangebote in Ferndiagnose per Website, Telefon, WhatsApp und E-Mail.
Ich habe mir von Homebell im Selbstversuch ein Angebot über Malerarbeiten erstellen lassen und muss sagen, dass der Angebotsprozess eine deutlich bessere Erfahrung war als alle bisher erlebten Handwerkerleistungen. Es besteht offensichtlich ein großer Unterschied in der Auffassung und Nutzung des digitalen Kundenzugangs, im Einsatz digitaler Technologien und der Art der Preisfindung. Während Homebell & Co. online Sichtbarkeit und Kunden gewinnen, bleiben etablierte Anbieter wie Schmid, Mecklenburg & Co. im Internet weitestgehend auf der Strecke.
Thermondo – Deutschlands größter Heizungsbauer
Während man sich über den Erfolg und die Bewertung von Homebell durchaus kontrovers Unterhalten kann, gibt es weitaus eindeutigere Beispiele. Das Paradeexemplar ist Thermondo. Innerhalb von vier Jahren (2012-2016) hat sich das Berliner Startup, ebenfalls u.a. von Global Founders Capital (Rocket Internet) finanziert, zum größten Heizungsbauer Deutschlands gemausert. Auch Institutionen wie E.on haben in Thermondo investiert. Allein von 2013 bis 2015 hat sich die Unternehmensgröße fast versiebenfacht. Damals hatte das Unternehmen ca. 200 Mitarbeiter, heute nahezu 300. Darunter Softwareentwickler und Online Marketer, aber auch gut 130 Planer, Heizungsbaugesellen und -meister.

Auch bei Thermondo setzt man auf den Online-Vertrieb, insbesondere Online-Angebote in Echtzeit. Diese macht der digitale Heizungsbauer und Algorithmus “Manfred” möglich. Dieser ist dank hunderter Datenpunkte in der Lage, die Angebote direkt zu erstellen. Die Abwicklung der Aufträge erfolgt in Thermondo-Eigenregie. Zwei bis vier Wochen dauert der Prozess von Angebot bis Einbau laut Thermondo. Viele etablierte Anbieter haben in dieser Zeit nicht mal ein Angebot erstellt.
Thermondo bildet die gesamte Heizungsbau-Wertschöpfungskette ab und ist vertikal integriert. Vom Online-Angebot über die Planung vor Ort, die Umsetzung und den Service. Selbst Thermondo-Heizanlagen werden mittlerweile produziert, das Unternehmen setzt zudem auf die Entwicklung von Smart-Home-Lösungen.
Und während dies geschieht, beschwert sich der alteingesessene Sanitärbetrieb über die Preistransparenz bei Reuter Badshop, beschwört alte Weisheiten und verweist auf seine Fachkompetenz. Oder er verklagt Thermondo ganz einfach, wie es die DESD GmbH & Co. KG aus Würzburg (leider ohne eigene, verlinkbare Website), Ende 2016 getan hat. Mimimimi.
Disruption durch Kundenservice
Klar, wer volle Auftragsbücher und Allzeithochs in der Konjunkturlage auf seiner Seite hat, wird über die obigen Ausführungen nur müde lächeln können. Möge die Konjunktur immer so bleiben, dem deutschen Handwerk wäre es zu wünschen. Allein: Es wird Veränderungen im Markt geben, getrieben durch:
- Generationenwechsel und fehlende Nachfolge
- Verändertes Kundenverhalten und gestiegene Anforderungen
- Markttransparenz
- Neue digitale Wettbewerber, die den Markt aufmischen
Neue Unternehmen scheinen mit dieser Herausforderung besser klar zu kommen. Auch wenn Homebell, Thermondo & Co. noch einiges von der Perfektion des Gesamtangebots entfernt sind, in puncto Kundenservice, Kundenorientierung, Entwicklungs- und Innovationsgeschwindigkeit sind sie den Etablierten um Längen voraus.
„Die große Gefahr besteht darin, dass die Rolle des Fachhandwerks auf die reine Installationsarbeit reduziert wird“
Elmar Esser, Geschäftsführer des Zentralverbandes Sanitär, Heizung Klima
Vor vielen Veränderungen konnte sich das Handwerk dank starker Lobby in der Vergangenheit schützen. Doch auf dieses Pferd allein können etablierte Anbieter in Zukunft nicht mehr setzen. Zu stark sind mittlerweile die Digitallobby, im Fall von Thermondo erhält sie zudem prominente Unterstützung durch die Energielobby. Deren Stakeholder erhoffen sich ebenfalls eine tiefere Integration in die Heiz- und Energie-Wertschöpfungskette ihrer Kunden. Während sich das Handwerk in ländlichen Gegenden vielleicht noch länger auf Empfehlungsmarketing und lokale Angebotsoligopole stützen kann, wird vor allem in Ballungszentren der Markt härter werden. Und dort leben immerhin > 75% der deutschen Bevölkerung.