Stuttgart, 18. Juli 2017. Wer in diesen Tagen das Handelsblatt aufschlägt, der hat gute Chancen, auf großflächige Werbung der Metro AG zu stoßen. Das Düsseldorfer Handelsunternehmen gehört zu den größten deutschen Handelshäusern und hat in der vergangenen Woche seine Aufspaltung in “Metro” und “Ceconomy” vollzogen. Im Handelsblatt stellt Metro die Frage, was ein großes Unternehmen aus einer kleinen Idee machen kann und wirbt dafür, “bereit für die Börse” zu sein. Ein wenig mutet das an, als ob 1860 München im “Kicker” Werbung dafür machen würde, “bereit für die Bundesliga” zu sein.
Zur neuen Metro gehören einige Servicegesellschaften, einige im Ausland zugekaufte Food Service Distributoren, Real und das Cash & Carry (C&C) Geschäft. MediaSaturn ging in Ceconomy auf. Der Umsatz im C&C belief sich 2016 auf ca. 29 Milliarden Euro und ist somit die größte Sparte Metros. Doch seit einigen Jahren schmiert Metro der C&C-Umsatz in Deutschland und der Welt gewaltig ab. Vor allem in Deutschland verliert Metro in der Gastronomiebelieferung zunehmend Boden unter den Füßen. Auf 4,7 Milliarden Euro sank der C&C-Umsatz 2015, das waren ca. 940 Millionen Euro weniger als im Jahr 2008. Der weltweite Belieferungsumsatz wächst zwar, aber kaum schnell genug, um die stationären Verluste auszugleichen.
Die Food Service Branche ist digitales Ödland
In meiner Zeit in der MRO-, Industrie- und Werkzeugbranche bei Würth hatte ich gerade zum Ende hin das Gefühl, diese Branchen seinen digital noch weit hinten dran. Schaut man auf die digitalen Aktivitäten der etablierten Player in der Food Service Branche, also Unternehmen, die Hotels, Restaurants, Systemgastronomen und Imbisse mit “Zutaten” versorgen, tun sich neue Abgründe auf. Es ist, von außen betrachtet, ein schaurig-schönes Beispiel, was in tradierten, stationär geprägten Groß- und Fachhandelsunternehmen alles schief laufen kann. Während der Gastronomieumsatz von 45 Milliarden Euro in 2012 auf gut 59 Milliarden Euro in 2020 steigen wird, sinkt die Anzahl und der Umsatz im Cash & Carry seit 10 Jahren kontinuierlich.
Der Metro Online Katalog (nach einem richtigen Online-Shop sucht man vergebens) gibt einem permanent das Gefühl, im ICE zu sitzen. Nicht, weil dieser mit Höchstgeschwindigkeit durch die Lande fährt, sondern weil die Ladezeiten so schlecht sind, dass man sich im Zug-WLAN wähnt. Die Angebote anderer Anbieter, wie z.B. das von Marktführer Edeka C+C Großmarkt, Transgourmet oder deren Tochter Selgros lassen aus E-Commerce-Sicht mehr als zu wünschen übrig. State-of-the-Art Online-Shops? Gibt es nicht. Dafür geschlossene Bestellsysteme mit witzigen Namen, wie z.B. “Sellyorder” von Edeka oder 10 MB große pdf-Angebotskataloge zum Download. Mobile-first? Weiter weg als die Sonne von der Erde.
Egal wo man hinschaut, die E-Commerce- oder Digital Service Angebote der etablierten Anbieter wären in bestehender Form selbst 2010 schon wenig ansehnlich gewesen. Wer z.B. bei Transgourmet neugierigerweise auf Gast-Zugang klickt, bekommt die volle, transgourmetsche Gastfreundschaft zu spüren:
Um sich z.B. bei Selgros für das Online-Angebot registrieren zu können, muss man als erstes die 10-stellige Kundennummer parat haben. “Aber bitte, das kann man doch von Kunden erwarten! Sich eine einfache, 10-stellige Nummer zu merken!” So oder so ähnlich muss man damals im Anforderungsmanagement-Workshop bei Selgros argumentiert haben. Hat man keine Kundennummer und will sich reumütig online als Selgros-Kunde anmelden, muss man im ersten von fünfzehn Formular-Feldern seinen Markt aus einer Drop-Down-Liste auswählen. Mehr Unternehmensinnensicht in einem Online-Konzept habe ich selten gesehen. Würde man das nicht so unglaublich umständlich und schlecht machen, man müsste wohl nicht über dem Anmeldeformular mit bis zu 25% Neukundenrabatt werben. Wer als Neukunde, sofern man sich durch diesen mühlseligen Prozess durchquält, danach dann zum regulären Preis einkauft, erlebt direkt die nächste Enttäuschung. Der ein oder andere Kunde mag sich da fragen:
Der Markt schrumpft und viele Kunden sind weiter als die Anbieter
Laut statistischem Bundesamt gab es in Deutschland 2015 gut 220.000 Gastgewerbe. Dazu zählt alles, von Hotels über Restaurants, Cafés, Imbissstuben bis hin zu Caterern. Dabei ist die Rentabilität in der Gastronomie ein großes Thema. Die Margen sind dünn, wenn Sie einem Gastronomen einen Gefallen tun wollen, bestellen Sie nach jedem Essen einen Kaffee, darauf gibt es die höchste Marge. Im traditionellen Gastronomiesegment, denken Sie an ihr Lieblingsrestaurant um die Ecke, ist der Fixkostenanteil relativ hoch: Personal, Küchentechnik, Vorräte, Pacht – all das muss vorgehalten werden, egal ob die Gästen in Strömen kommen oder eher so dahinplätschern. Immobilieneigentum ist eher die Ausnahme denn die Regel, in manchen Lagen wechseln die Pächter halbjährlich oder jährlich.
Da wundert es nicht, dass der Markt insgesamt schrumpft. Vor allem “Schankwirtschaften” und Restaurants sind in den vergangenen Jahren statistisch gesehen verschwunden. Und doch: Es gibt sie in noch immer großer Anzahl, die Restaurantbetreiber, Gastwirte, Überzeugungstäter. Wie Jens Schütte von GastroHero im warenausgang.com Interview bestätigt, ist das Betreiben eines Restaurants für viele nach wie vor ein “Lebenstraum”, den man sich unbedingt erfüllen möchte. Beschaffungsseitig bleiben ihnen neun Optionen:
- Großmarkt – z.B. Fischgroßmarkt
- Fachhandel – z.B. Käse- oder Weinfachhandel
- Food Service Distribution – z.B. Chefs Culinar, Transgourmet
- Cash & Carry – z.B. Metro, Selgros
- Spezialitätengroßhandel – z.B. Rungis (gehört ebenfalls zu Metro)
- Kleinere Märkte – z.B. örtlicher Wochenmarkt
- Großflächenmarkt/Supermarkt/Discounter – z.B. Kaufland, Aldi & Co.
- Produzenten – z.B. Hofladen, Weingut
- Hersteller – z.B. Bäckerei, Metzgerei
Die Beschaffung unterliegt vielen Trends, z.B. der steigenden Nachfrage der Gäste nach regionalen Produkten, oder wie man in Berlin Prenzlauer Berg sagt: “Isch des regional? Also von innerhalb vom S-Bahn-Ring?”. Einer der Hauptrends hier ist jedoch, wie so oft, die steigende Nachfrage der Käufer nach Einfachheit (“Convenience”) in der Beschaffung. Kaum vorstellbar, dass viele Köche und Gastronomen Lust haben, nach einem anstregenden 14-16 h Tag am nächsten Morgen um 4 Uhr im Großmarkt aufzuschlagen. In größeren Gastronomiebetrieben, z.B. Kantinen, wird eher “disponiert” denn eingekauft.
Die Einfalltür für digitale Informations-, Inspirations-, Einkaufs- und Beschaffungslösung ist dementsprechend groß. Auch wenn, analog zu anderen Branchen, der klassische Besteller in der Gastronomie vielleicht nicht der “Digital Native ist”: Dass sich gute digitale Lösungen, die vom Kunden her gedacht sind, langfristig durchsetzen, haben schon andere Branchen gezeigt. Und bei Amazon hat, statistisch gesehen, die Mehrheit auch schon mal was bestellt.
Metro – ein Abstieg auf Raten
12 Jahre hatte es gedauert, bis 1860 München von der Bundesliga in die Regionalliga Bayern durchgereicht wurde. Der Metro möge ein ähnliches Schicksal erspart bleiben, obwohl der Abwärtsstrudel spätestens seit der Verbannung aus dem Dax-30 begonnen hat. Zuletzt folgte noch der Abstieg aus dem M-Dax. Die Zeichen, dass das Gegenteil eintritt, standen bisher nicht schlecht: +19% legte der Metro-Kurs zu, seitdem die Aufspaltung im Frühjahr 2016 verkündet wurde. In einem im Handelsblatt Online erschienenen Artikel (Hedgefonds wettet gegen die Metro-Strategie) der letzten Woche wird versucht, der Aufspaltung weitere positive Aspekte abzuringen. Doch: Alleine ändert die Aufspaltung am Geschäftsmodell erst mal herzlich wenig. Wer sich von der Aufspaltung schnellere oder gar bessere Entscheidungen erhofft, der dürfte verhältnismäßig schnell enttäuscht werden.
100 Millionen Euro kostete die Aufspaltung. Geht man durch die Investitionserläuterungen Metros der letzten Jahre, entsteht der Verdacht, dass diese Summe so bisher nicht in Maßnahmen zur besseren Digitalisierung des Kerngeschäfts, vor allem in Richtung Kunden, verwendet wurde. Der Klick auf den “METRO Online-Bestellservice” und vor allem auf den Anmeldevorgang erhärtet diesen Verdacht. In den sonst PR-schwangeren Ausführungen Metros wird man augenscheinlich hier etwas schmallippiger. Die Investitionen in Digitalmaßnahmen im Kerngeschäft scheinen so unbedeutend zu sein, dass sich nicht mal die PR- bzw. IR-Abteilung traut, diese zu erwähnen. Trotz alldem macht Metro nach Angaben von CEO Olaf Koch mittlerweile ca. 800 Millionen Euro (ca. 20%) Online-Umsatz.
Das Hauptaugenmerk scheint nach wie vor der stationären Expansion zu gelten. Immerhin tut sich außerhalb des Metro-Kerngeschäfts ein wenig. Vergangenes Jahr wurden gemeinsam mit anderen Investoren ein paar Millionen Euro in das Gastro-Software-Start-up “Orderbird” und einen weiteren Software-Anbieter für kleine Dienstleister, “Shore”, investiert. Mit dem Metro Accelerator hat man sich in Berlin ein Frühphasen-Vehikel gebaut, das in mehreren “Batches” in junge, digitale Startups investiert. Allein die Erfolgsbilanz scheint hier bisher eher mau auszufallen (man achte auf die URL in der Adresszeile):
Ähnlich wie bei 1860, bei denen in gefühlt jeder Zweitligasaison irgendwann einmal von der Bundesliga-Rückkehr oder gar den europäischen Wettbewerben zu hören war, versucht man auch bei Metro fröhlich der Zukunft zugewandt zu frohlocken. Doch angesichts des maximal durchschnittlichen, digitalen Angebots und den rückwärtslaufenden Zahlen im Cash & Carry Geschäft fragt man sich, woher dieser Optimismus kommt. Angesprochen auf den potenziellen Hauptwettbewerber der Zukunft, kommt von Olaf Koch daher die zwar für einen CEO eines börsennotierten Unternehmens politisch korrekte, jedoch inhaltlich bedenkliche Antwort:
“Amazon ist immer zu beachten und zu respektieren. Es ist ein hervorragendes Unternehmen. Aber gerade im B2B lebt das ganze Geschäft von der Beziehung, lebt von der Nähe zu den Kunden und der Gemeinschaft mit den Kunden. Und wir sind ein sehr stark verankerter Partner in ganz, ganz vielen Ländern.”
In Kundennähe und supertoller, glücklicher Kundenehe wähnten sich viele Werkzeug, Büro- oder sonstige Groß- und Fachhändler im B2B lange Zeit auch. Bis sie ihre Kunden in flagranti mit dem Amazon-Paket unter dem Arm erwischten. Für eine weitere Fehleinschätzung Kochs halte ich außerdem seine Aussage aus einem Interview mit der Süddeutschen am Montag, 17.07.2017:
“Die Kosten für Start-ups, Kunden in der Gastronomie für ihre digitalen Lösungen zu gewinnen, sind sehr hoch. Für die Metro mit ihren etablierten Kundenbeziehungen hingegen sind sie gering.”
Der etablierte Kundenzugang der Metro zu Gastronomen bezieht sich heute auf Kontakte im C&C-Bereich wie auf Außendienstbesuche durch Metro-Außendienstmitarbeiter. Diese Kontaktpunkte bzw. Verkäufer sind jedoch in der Regel alles andere als Software- und Lösungsverkäufer. Wie passt es da dazu, dass Metro auf seiner Karriere-Website damit wirbt, dass gelernte Metzger im Metro-Außendienst Karriere machen können. Das ist überhaupt nicht despektierlich gemeint. Nur ist es nunmal so, dass sich Metzger in der Regel zum Software-Lösungsverkauf genauso wenig eignen wie Software-Lösungsverkäufer zum Schlachten, Ausbahnen und Wurstmachen. Digitale Kundenlösungen über analoge Wege zu verkaufen wird Metro also auch nicht retten. Mangelnde Digitalkompetenz, sei es in der kundenzentrieren Konstruktion von Lösungen oder deren digitaler Vermarktung, kann durch keine analoge Kompetenz ersetzt werden. Und sei sie auch noch so relevant und toll ausgeprägt.
Wer kann diesen Markt challengen?
Der Food Service Markt hat hohe Einstiegsbarrieren. Es gibt eine Menge großer, etablierter Player, die Logistik kann nur bedingt outgesourced werden, die Sortimente stellen mit MHD-, Frisch- und Tiefkühlware eine große Anzahl besonderer Herausforderungen, das Geschäftsmodell ist sehr “Asset-lastig”. Von den etablierten Playern scheinen durch die Bank weg alle dieses Thema nur bedingt mit Kundenfokus anzugehen oder nicht konsequent zuende zu denken, wie Chefs Culinar. Das Kieler Unternehmen unterhält mit seiner “Chefs Culinar PLUS“-Website eine aufwändig gestaltete Rezeptwelt, in der sich Küchenchefs immer wieder neue Inspirationen und Rezepte holen können. Doch statt sich einfach die Zutaten für z.B. “Entenbrust mit Orangen Fenchel” einfach in den Warenkorb legen zu können, fehlt die Bestellfunktion gänzlich. Lediglich eine “Einkaufsliste” kann erstellt werden. Bleibt der Trost, dass man das Internet notfalls einfach vollständig ausdrucken kann.
Ob Amazon nach dem Start von Amazon Fresh bzw. Amazon Business auch Ambitionen hat, in diesen Markt einzusteigen? Infrastrukturell ist es wohl schon ein Unterschied, ob man die Privateinkäufe einiger Haushalte logistisch meistern muss, oder die meist auf Termin getrimmte Lieferung an einen Gastronomiebetrieb. Trotzdem, wenn es einen Challenger in diesem Markt geben sollte, der von außerhalb kommt, würde dies wohl am ehesten Amazon sein. Für Unternehmen wir Rocket Internet, ebenfalls auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen, gerne auch im B2B und gerne auch mit wiederkehrendem Bedarf, scheint die Marge in der Food Service Branche zu unattraktiv zu sein.
Fazit: Beim nächsten Trinkgeld daran denken!
Wenn Sie das nächste Mal in einem Restaurant zu abend essen, denken Sie an diesen Artikel und daran, welche Strapazen der arme Gastronom oder Küchenchef wohl auf sich genommen hat, um zu seinen Produkten zu kommen, aus denen er Ihnen Ihre Mahlzeit kredenzt hat. Vielleicht runden Sie dann nicht nur auf, sondern geben wirklich mal 10% Trinkgeld. Seine Lieferanten machen es ihm nämlich wirklich nicht leicht, sofern er versucht, Waren über die großen Player wie Metro, Chefs Culinar oder Transgrourmet & Co. online zu beziehen.
Diesen fehlt, trotz allen Beteuerungen, die wirkliche Kundenorientierung. Dazu kommt mangelnde Digitalkompetenz, zumindest innerhalb des Kerngeschäfts und außerhalb von fancy Frühphasen-Investment-Vehikeln in der Bundeshauptstadt. Die Marktgegebenheiten und hohen Einstiegsbarrieren tun ihr übriges. Es gibt keine wirkliche Alternative, zumindest keine digitale in Deutschland. Es bleibt spannend, ob einer der etablierten Wettbewerber sich zum digitalen Champion aufschwingen möchte. Von außen betrachtet scheint sich der Markt derweil im “Mikado-Status” befindend: Wer sich zuerst sichtbar bewegt, hat verloren.
Titelbild: Edward Franklin
Großartig. Mittlerweile freut man sich auf die Beiträge von Lennard…Man muss sich aber das Schmunzeln fast verkneifen, weil auch dieses Bespiel kein gutes Licht auf den Stand der Digitalisierung wirft…
Wieder mal ein “Must Read” für die “Digitalisierung schön und gut, aber wir sind B2B”-Wortführer. 5 Sterne!
Analytischer und authentischer Einblick zur B2B Zielgruppe Großhändler C&C. Der Platz der heimischen Großhändler wird generell durch die digitale Disruption ordentlich wackeln. Stimme voll zu: Vor allem das Vertrauen mit bestehenden Kundenbeziehungen ist ein Trugbild, s. Kommentare
https://www.welt.de/wirtschaft/article159464352/Jeder-zweite-Grosshaendler-verflucht-den-Ebay-Effekt.html anschauen:
– „Als kleiner Einzelhändler ist es schwierig vom Großhandel anständige Preise zu bekommen.“
– „Wenn es nach mir geht, würde ich bei einigen Produkten den Zwischenhandel komplett übergehen und direkt beim Hersteller kaufen.“
– „Die Zeiten der Zwischenhändler sind vorbei . Man braucht sie nicht mehr und durch Transparenz wird deutlich wie gross die Gewinnspannen teilweise waren.“
– „Wo entsteht im Großhandel ein Mehrwert für den Konsumenten bereit sein sollen zu bezahlen“
Stichwort: Imageschaden
Wenn die Unterstützung der sogenannten Experten der Digitalisierung gegenüber den Großhändlern professioneller wäre, dann sähe es heute vielleicht schon anders aus.