Recap DCDnet Special: Hoffmann kauft Contorion

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Hamburg, 27. Juni 2017. 22 Teilnehmer, überwiegend aus Norddeutschland, hatten sich am vergangenen Montag zu unserer DCDnet Auftaktveranstaltung zur Contorion-Akquisition durch Hoffmann in Hamburg versammelt. Die Erkenntnisse in diesem ersten Meeting möchte ich den warenausgang.com Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten. Wer allerdings richtig tief in das Thema eintauchen möchte, der sollte sich schnell noch Tickets für das Event in Berlin am 17.08.2017 sichern! Noch gibt es ca. 10 Tickets, die Events in Stuttgart und Hamburg sind bzw. waren ausverkauft.

Gemeinsam mit Nils Seebach, meinem Partner in Crime, der auf Digitalkaufmann.de regelmäßig über Digitalstrategien, digitale Geschäftsmodelle und Entwicklungsmöglichkeiten etablierter Unternehmen bloggt, konnten wir gute drei Stunden mit den Teilnehmern zu Sinnhaftigkeit, Auswirkungen und strategischen Ableitungen durch die Akquisition diskutieren. Zu Beginn haben wir dabei einen Blick auf Nils’ Thesen aus seinem Artikel “Was hätte ich nur machen sollen? Contorion und andere Handlungsoptionen …” geworfen. Nils hatte vor allem festgestellt, dass:

  • Die Differenzierung von Contorion zu anderen Online-Playern im MRO im Team und in der Technologie liegen
  • Die Akquisition Hoffmann nicht nur digital stark nach vorne bringt, sondern auch ungelöste Probleme bereitet
  • Eigentlich mehrere kleine Investments nötig sind, bevor ein Deal der Marke Contorion für ein Unternehmen sinnvoll ist
  • Man als aktiver Limited Partner (=Investor) eines Investmentsfonds sicherlich gute Erfahrungen sammeln kann, ohne gleich (mutmaßlich) 120 Mio. EUR auszugeben
  • Risikoverteilung durch eine breite Streuung des Investmentportfolios sinnvoller ist, als die Hälfte seiner Chips auf “Rot” zu setzen (meine Interpretation)

>>> Live dabei sein beim Kassenzone.de/warenausgang.com Podcast-Crossover! Am Donnerstag, 27. Juli ab ca. 12:45 Uhr auf facebook.com/warenausgang! <<<

Was Contorion kann, kann doch eigentlich fast jeder!

Ganz im Sinne eines DCDnet-Treffens regten diese Thesen schon zu kontroversen Diskussionen an. Die breite Erfahrung im Publikum, bestehend aus B2B Händlern, Herstellern und Marken, war eine super Basis, diese Thesen von allen Seiten abzuklopfen. Eine der kontroversen Thesen aus dem Publikum war “Was Contorion kann, kann doch eigentlich fast jeder”. Dazu bräuchte man einfach ein paar gute, junge Leute und einen Standard-Onlineshop. Hier schieden sich die Geister. Die Leute zu bekommen ist nämlich, außerhalb Berlins, garnicht so einfach. Selbst innerhalb Berlins (wortwörtlich: innerhalb des S-Bahn-Rings) ist der Kampf um gute Leute (sprich: Entwickler) sehr hart. Ganz egal, ob man Würth, Hilti, Hoffmann, Daimler oder Bosch heißt, oft schreckt das eher ab, als es anzieht.

Das Kerngeschäft in einem Digitalhub zu digitalisieren ist sehr schwierig.

Im weiteren Verlauf der Diskussion kamen wir darauf zu sprechen, dass eben genau dieser “Greenfield” Ansatz eher schlecht funktioniert. Es gibt kaum erfolgreiche Beispiele, dass es ein Unternehmen bislang geschafft hätte, in einem ausgegliederten Digitalhub im schicken Altbau-Loft, sein Kerngeschäft zu digitalisieren bzw. zu “disrupten” (wie ich diesen Begriff mitterweile hasse). Es ist also eigentlich der Beweis bzw. die Anti-These zur vorigen Überschrift “Was Contorion kann…” Eines darf man, das zeigte auch unsere Diskussion, jedoch nicht verwechseln. Natürlich macht es Sinn für etablierte Unternehmen, in digitale Teams, digitale Kompetenzen, Know-How und Agilität zu investieren.

Was alle, die nicht dabei waren, bisher verpasst haben:

  • Kauft Hoffmann tatsächlich auch Procato und macht das Sinn?
  • Wird Contorion jetzt seine Preise erhöhen?
  • Welche Strategie verfolgt Hoffmann wohl?
  • Wie schlau ist Contorions Eigenmarkenstrategie?
  • Wie macht Contorion eigentlich Digitalmarketing?
  • Was macht Contorion im Detail so besonders?

Neugierig? Dann schnell noch für Berlin anmelden!

Die Summen, die Unternehmen heute dafür bezahlen müssen, sind vergleichsweise überschaubar, wenn man sonst Maschinen, Gebäude oder sonstige Investitionen in die Infrastruktur durchschiebt. Natürlich sind diese Investitionen mit weniger Risiko behaftet, als in ein paar kluge, digitale Köpfe zu investieren, die mit etwas Pech recht schnell wieder weg sind, z.B. nach der Earn-Out-Periode. Die Lernkurven sind aber schön steil und, wie gesagt, verhältnismäßig günstig. Man muss dafür nicht gleich 120.000.000 EUR auf den Tisch legen.

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“Der Digitalmarkt ist völlig überhitzt”

Angesichts des kolportierten Kaufpreises für Contorion und der steigenden Preise für Digital-, Tech- und Datenkompetenz kamen einige Teilnehmer zu dem Schluss, dass der Markt aktuell enorm überhitzt sei. Angesichts der Tatsachen ist dem auch erstmal wenig entgegenzusetzen. Doch wie gesagt

Allerdings, diese These hatte ich bereits in meinem Artikel direkt nach der Fusion (Hoffmann kauft Contorion: Eine erste Analyse der Spree-Isar-Connection) vertreten, bin ich mir nach wie vor sicher: die mutmaßlichen 120 Millionen Euro werden sich wahrscheinlich in ein, zwei oder drei Jahren als großes Schnäppchen erweisen. Nachdem z.B. Zoro noch immer versucht, sich aufzurappeln und andere Alternativen im Markt fehlen (Amazon Business mal ausgenommen), ist der steigenden Nachfrage nach Digitalunternehmen im MRO und Technischen Handel ein absolut limitiertes Angebot entgegengesetzt.

Contorion – Interpretation der Bilanz

Mein Kollege und Finanzexperte Nils hatte noch die Freundlichkeit besessen, sich im Vorfeld des Events die am 11.07.2017 im Bundesanzeiger veröffentlichte Bilanz Contorions von 2016 anzusehen und zu interpretieren. Diese Erkenntisse möchte ich ebenfalls mit allen Lesern teilen:

  • Das Unternehmen hat hohe Verluste, mehr als EUR 9,3 Millionen in 2016 und geschätzten monatlichen Verlusten in 2017 von EUR 1 Million pro Monat.
  • Die Ausgaben sind operativer Natur und erklären sich nur zum Teil durch Personal, d.h. größter Ausgabenposten wird Online Marketing sein.
  • Forderungen gegen Kunden sind von ca. EUR 300.000 (2015) auf EUR 2,3 Millionen (2016) gestiegen was auf rapides Wachstum hindeutet. –> (Anmerkung Lennart: Das Umsatzwachstum Contorions zeigt auch nahezu exponenzielle Züge)
  • Massiver Aufbau von Lagerbestand von EUR 270.000 (2015) auf EUR 4,7 Millionen (2016)
  • Bei einem geschätzten Verlust von ca. EUR 1 Million pro Monat hatte das Unternehmen Ende 2016 einen geschätzten Cash Reach von 6 Monaten (=noch Cash für 6 Monate).

Zwischenfazit nach Hamburg: Unentschieden

Ein Ergebnis, mit dem jeder HSV-Fan zufrieden gewesen wäre. Spaß beiseite, denn eine kleine Mehrheit hatte sich bei der Umfrage “Hättet ihr Contorion zu gleichen Bedingungen gekauft?” dagegen entschieden: 12 Teilnehmer hätten Contorion nicht gekauft, 10 schon. Einer der Teilnehmer mit der Anmerkung: “Unter der Bedingung, dass ich Contorion für 120.000.000 EUR kaufe, aber dann nochmal nachschauen muss, ob das Geld schon abgebucht wurde, weil ich es sonst nicht merke.” Heute (27.07.2017) sind Alex Graf von kassenzone.de und ich in Stuttgart, um uns mit 26 Teilnehmern über das gleiche Thema zu unterhalten. Das wird bestimmt wieder lustig!

Um ca. 12:45 Uhr nehmen Alex und ich am Donnerstag, 27.07.2017, einen Kassenzone-Podcast zum Thema B2B Digital Commerce auf. Die Aufnahme werden wir auch live auf Facebook (www.facebook.com/warenausgang) streamen. Wer bei diesem Experiment dabei sein will ist sehr herzlich eingeladen! Alle Teilnehmer, die mir nach der Teilnahme am Livestream einen Screenshot schicken, bekommen noch einen Rabattcode für den Digital Commerce Day “B2B Special” am 02. und 03. November in Stuttgart!

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4 Kommentare

  1. Hallo Herr Paul,

    vielen Dank für den spannenden Einblick in die Diskussion, die Sie in Hamburg geführt haben. Ich fühle mich in dem bestätigt, was ich aus dem Vortrag von Tobias Tschötsch beim ibi-Forum “B2B-E-Commerce” am 4. Mai 2017 in Frankfurt herausgehört habe: massiver Aufbau von Lagerbestand, stark steigende Außenstände, sehr hohe operative Kosten und hohe Verluste. Dazu kamen nach meiner Interpretation Spannungen mit einigen Lieferanten über strategische und wohl auch finanzielle Aspekte. Insgesamt wurde bei Contorion nach meiner Einschätzung ein höchst toxisches Gemisch zusammengebraut, was schon vor einiger Zeit die berechtigte Frage aufwarf, wie lange das noch “gut” gehen kann. Für die Beobachter aus dem Wettbewerb stellt sich nunmehr die Frage, ob Hoffmann die agressive Preispolitik unter dem eigenständigen Label “Contorion” fortsetzen wird, was aufgrund der deutlich besseren Einkaufskonditionen und der daraus resultierenden guten Margen von Hoffmann durchaus möglich wäre. Ich bin gespannt, zu welchen Erkenntnisse Sie durch die noch ausstehenden Gesprächsrunden kommen.

    Viele Grüße
    Thomas Vierhaus

    1. Moin Herr Vierhaus,
      ich glaube, wenn man sich den Cash-Reach anschaut, dann hätte Contorion dieses Jahr sicherlich eine weitere Finanzierungsrunde gemacht. Dass da dann nochmal die Rubel gerollt wären, davon ist auszugehen. Somit ist Hoffmann einer noch höheren Bewertung zuvorgekommen. Ein toxisches Gemisch sehe ich hingegen nicht. Ein sich zusammenbrauendes, toxisches Gemisch sehe ich bei all jenen, die nun denken, das Thema Verschiebung analog – digital hätte sich gelegt. Ich glaube eher, um mich der Worte Ralf Klebers zu bedienen, dass dies erst der Gruß aus der Küche eines sehr oppulenten Mahles ist.
      Viele Grüße,
      Lennart A. Paul

  2. Hallo Herr Paul,

    das “toxisches Gemisch”, von dem ich schrieb, bezieht sich auf die finanzielle Lage von Contorion zum Ende des Jahres 2016. Monatliche Verluste von 1 Mio. € (siehe oben) würden im “normalen” Großhandel das sofortige Aus bedeuten. Unsere zumeist inhabergeführten Mitglieder können nämlich nicht mal so eben eine “neue Finanzierungsrunde” machen und das Geld von der Straße aufsammeln. Aber damit wird es ja bei den Startups irgendwann einmal Schluss sein, spätestens wenn die Vernunft wieder Oberhand gewinnt.

    Ich gebe Ihnen absolut Recht, das die “Verschieberitis” gegenüber der notwendigen Evolution im Zuge der Digitalisierung (v.a. das Datenmanagement und die Beschleunigung von Prozessen von der Auftragsannahme bis zum Warenversand) sich ebenso als tödliches Gift herausstellen wird, zumindest für diejenigen Großhändler, die nicht in eine abolute Nische abtauchen können und sich dort weiter analog und erfolgreich tummeln.

    Viele Grüße
    Thomas Vierhaus

  3. Au weia! Da wird heftig mein XING-Profil angeklickt. Damit ich um Gottes Willen nicht missverstanden werde: Herr Tschötsch hat das, was ich in seine Worte hinein interpretiere, natürlich so nicht beim ibi-Forum „B2B-E-Commerce“ gesagt. Das wäre ja auch töricht bzw. blöd gewesen. Aber als “alter Fuchs” und “Kenner der Szene” – ich hoffe, dass ich mich nach 26 Jahren Technischer Handel so bezeichnen darf – habe ich seine Worte dahingehend “gedeutet”. Mir fiel bei einigen Bemerkungen auf, dass die Lernkurve bereits ihre Spuren hinterlassen hat. Mein Kommentar soll auch kein Verdikt sein. Ich stelle lediglich fest, dass es bestimmte marktstrategische und betriebswirtschaftliche Regeln gibt, die “digital” wie “analog” gelten. Und im B2B-Business gelten diese Gesetze im Besonderen. Es reicht eben nicht aus, ein tolles, motiviertes Digitalteam zu haben. Profunde Marktkenntnisse und eine “blutige Nase” gehören auch zum erfolgreichen Überleben.

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