Hoffmann kauft Contorion: Eine erste Analyse der Spree-Isar-Connection

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Berlin/München, 27. Juni 2017. Bereits Anfang Mai ging in VC-Kreisen das Gerücht umher, für Contorion liege ein Angebot über 120 Millionen Euro vor. Aus der Werkzeughandels- und MRO-Branche hörte man kurz darauf, dass wohl die Hoffmann Group aus München hinter diesem Angebot stehe. Was ich persönlich damals für relativ unwahrscheinlich hielt, ist seit heute unumstößlicher Fakt (vorausgesetzt, die Kartellbehörden stimmen der Übernahme zu). Noch Anfang April hielt ich es zudem für generell unwahrscheinlich, dass Contorion schnell verkauft werden würde.

Hoffmann hat also Nägel mit Köpfen gemacht und Contorion für die kolportierte Summe von 120.000.000 Euro von den bisherigen Anteilseignern zu 100% übernommen. Die Gründer wollen langfristig an Bord bleiben. Etwas Besseres hätte ich mir anlässlich des kurz bevorstehenden, einjährigen Jubiläums von warenausgang.com garnicht träumen lassen können. Eine Frage, die mich im letzten Jahr stark beschäftigt hat, war nämlich tatsächlich genau diese: Was passiert eigentlich, wenn ein “Stratege” wie Würth, Berner & Co. Contorion kauft? Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man sich darüber ausführlich Gedanken machen muss.

Nachdem die Mainstream-Medien heute vor allem die sorgfältig vorbereiteten Pressemitteilungen von Project A, Contorion und Hoffmann verbreiteten, möchte ich die Gelegenheit nutzen, die Akquisition aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.

Die Hoffmann-Sicht

Es ist nur schwer vorstellbar, dass Hoffmann Contorion wegen der 40-50 Millionen Euro Umsatz akquiriert hat, die Contorion wohl 2017 erwirtschaften wird. Bei 1,1 Milliarden Euro Konzernumsatz Hoffmanns ist das die zweite Nachkommastelle. Viel wahrscheinlicher ist, dass Hoffmann den Geldbeutel vordergründig wegen anderen Faktoren so weit aufgemacht hat.

Digital First Vertrieb

Der Reihe nach: wer beim Digital Commerce Day 2017 in Hamburg zu Gast war, konnte sich beim Vortrag Tobias Tschötschs selbst davon überzeugen, mit welcher Gründlichkeit Contorion im digitalen Vertrieb vorgeht. Das Unternehmen hat in den letzten drei Jahren geschafft, was viele etablierte Anbieter heute schmerzlich vermissen: Die Entwicklung eines “Digital First” Vertriebsansatzes. Was das bedeutet, ist im Kassenzone-Beitrag “So sein wie Contorion” durch Frederick Roehder wunderbar erläutert. Contorion hat es in den vergangen drei Jahren ganz gut geschafft, sich nach einigen Markplatz-Experimenten auf die Positionierung als “Digitaler Fachhändler” zu fokussieren.

“Zusammen mit Contorion werden wir unsere Innovationskraft weiter steigern”, kommentierte Dr. Christoph Steiger, Vorstand “Digital Business” und Chief Digital Officer der Hoffmann SE. “Das junge Team wird den Kern eines Innovations-Hubs bilden, mit dem wir kontinuierlich neue digitale Angebote für unsere Kunden entwickeln werden.”

Hoffmann Pressemitteilung

Hoffmann ist jetzt sehr gut beraten, die Ankündigung, Contorion als separates Tocherunternehmen weiterlaufen zu lassen, auch genau so umzusetzen. Nicht zuletzt dank offizieller Aussagen ist auszuschließen, dass Contorion mit Hoffmann  “zusammengeführt” wird. Viel mehr scheint Contorion für Hoffmann das zu sein, was About You für die Otto Gruppe ist: Die digitale Neuerfindung des tradierten Geschäfts als digitales Geschäftsmodell und Hotspot für digitale Innovationen.

If you can’t beat them, buy them

In Fachkreisen taucht zuletzt häufiger der Begriff des “Acqui-Hirings” auf. Der anglophile Leser erkennt sofort: Akquisition und Hiring. Der “Digitalkaufmann”, Nils Seebach, hat zuletzt einen schlauen Artikel dazu veröffentlicht: “Team Buying – Effektiv oder Geldverschwendung?” Auch im aktuellen Fall steht nach meiner Meinung der Nutzen der Übernahme eines ganzen Teams im Vordergrund. Auch betriebswirtschaftlich macht das durchaus Sinn. Hoffmann übernimmt ein Team von 130 Mitarbeitern. Ich unterstelle durchaus, dass das Contorion-Team intakt ist. Um ein intaktes Team dieser Größe aufzubauen muss man wohl mindestens einmal 200 Leute eingestellt haben. Rechnet man nur 50.000 EUR “Personalbeschaffungskosten” pro Person, hat Hoffmann hier die ersten 10 Millionen Euro des Kaufpreises schon wieder reingeholt.

Lösungen für den Kunden-Longtail und Reichweitensteigerung

Hoffmann hat, ähnlich wie Würth, Grainger & Co., ein sehr außendienstlastiges Vertriebsmodell. Dieses relativ teure Vertriebsmodell trägt sich zusehends nur mit einer enormen Produktivität pro Kopf. Soll heißen: Der Außendienstmitarbeiter, der selbst Kunden mit überschaubarem Umsatzpotenzial noch wöchentlich persönlich besucht, wird zunehmend unrentabel. Viel eher macht es da Sinn, die teuren, analogen Vertriebskanäle nach großen Potenzialen jagen zu lassen. Grainger hat dies in seinem Umstrukturierungsprozessin den USA schon länger erkannt. Die Graingersche Antwort für den Longtail, also kleine und kleinste Kunden, heißt Zoro. Bei Hoffmann in Zukunft wohl Contorion.

“Contorion complements our business model perfectly”

Dr. Robert Blackburn, Chairman of the Board of Executive Directors and CEO of Hoffmann SE.

Hoffmann ist seit jeher zudem eher auf Industriekunden ab mittlerer Größe fokussiert, vor allem metallbe- und verarbeitende Betriebe, im Fachjargon auch zerspanende Betriebe genannt. Die Kunden, die Contorion im Bereich Bau, KFZ, etc. anspricht, sind für Hoffmann quasi eine neue Kundengruppe. Zwar hatte Hoffmann 2011-2013 schon einmal einen Online-Shop für B2C- und kleine B2B-Kunden gelauncht, dieser war aber in den vergangenen Jahren wieder von der Bildfläche verschwunden. Die ca. 200.000 Contorion-Kunden fallen zwar, ähnlich wie der Umsatz Contorions, im Gesamtkontext Hoffmanns nicht ins Gewicht, stellen aber trotzdem ein weiteres Asset dar, das Contorion mitbringt.

Hinzu kommt der Sortimentsaspekt. Hoffmann hat in den vergangenen Jahren vor allem seine Premium-Eigenmarke “Garant” stark ausgebaut. Über Contorion macht Hoffmann sein Sortiment nun einer weitestgehend neuen bzw. bisher nur am Rande angegangenen Kundengruppe zugänglich. Das Hoffmann-Sortiment ist zwar heute auf Contorion noch nicht verfügbar, es ist aber durchaus vorstellbar, dass sich dies bald ändern wird.

Technologie-Ownership und Datenkompetenz

Bei Themen wie “granulare Produktdaten” oder “technische E-Commerce-Infrastruktur” trifft man bei allen tradierten B2B-Handelsunternehmen einen Nerv. Contorion hat diese Herausforderungen weitestgehend gut im Griff. Und das, ohne z.B. beim Thema Produktdaten über die schlechte Datenqualität mancher Hersteller zu jammern. Ein weiterer Erfolgsfaktor Contorions ist sicherlich die zugrundeliegende E-Commerce-Technologie (eine frühe Version von Spryker). Contorion konnte dank Tech-Ownership und großer eigener Entwicklungskompetenz in den letzten drei Jahren dem Markt enteilen, während die meisten anderen B2B-Marktteilnehmer noch an ihren bereits veralteten oder verbastelten Hybris- oder Intershop-Instanzen herumschraubten.

Die Contorion-Sicht

Als ich 2014 noch bei Hahn+Kolb in Ludwigsburg das mittlerweile “gesunsettete” Inhouse-Start-up betriebsausstatter24 aufbauen durfte, hatten der damalige CEO und ich einen Kennenlerntermin u.a. mit Richard Schwenke, ca. 3 Monate nach der Gründung Contorions. Nach einem möglichen Exit-Szenario gefragt, bekam ich schon damals die Antwort, die Gründer wollten so lange wie möglich dabei bleiben und hätten auch gegen einen späten Exit nichts. Nun ging es aus Contorion-Sicht sicher schneller als gedacht.

Die Gründer bleiben an Bord

Die Gründer machen am Tag der Übernahme-Verkündung nochmals klar, dass alle drei auf jeden Fall langfristig an Bord bleiben wollen:

“Aber – und das ist Contorion-Mitgründer und Geschäftsführer Frederick Roehder, wichtig, wie er dem Handelsblatt sagte – „die Gründer bleiben langfristig an Bord“. Neben Roehder sind das Richard Schwenke und Tobias Tschötsch, alle drei sind 33 Jahre alt. Contorion soll weiter in Berlin bleiben und unter eigener Marke firmieren.”

Zitat Frederick Roehder im Handelsblatt

Das hat zwei Seiten: einerseits scheinen Tschötsch, Schwenke und Roehder tatsächlich auf einer Mission zu sein, nachhaltig etwas Großes aufzubauen. Der MRO-Markt hat mit 120 Milliarden Euro Marktvolumen in Europa sicher das Zeug dazu. Andererseits ist natürlich kein strategischer Investor daran interessiert, die Gründer und hauptsächlichen Erbauer eines Unternehmens früh zu verlieren. Daher ist es normal, dass diese bei einer Übernahme sogenannte “Earn-Outs” angeboten bekommen und diese normalerweise auch annehmen. Sie bekommen also ihre Anteile nur versilbert, wenn sie sich noch eine gewisse Zeit garantiert ans Unternehmen binden und eventuell sogar nur dann, wenn sie im Business Plan vereinbarte Ziele erreichen.

Jetzt geht’s erst richtig los

Gehen wir also von dem sehr wahrscheinlichen Fall aus, dass die Übernahme Contorions durch Hoffmann für Contorion nicht nur aus Marketing-, sondern auch aus Motivationssicht tatsächlich einen Meilenstein in der Unternehmensgeschichte darstellt. Was ist denn für ein Unternehmen, seine Gründer/Gesellschafter und Mitarbeiter “unangenehmer”: einem auf den Profit durch den Verkauf des Unternehmens angewiesenen Finanzinvestor zu gehören oder einem strategischen Investor mit gut gefülltem Bankkonto und langfristigen Absichten. Aus Contorion-Sicht klingt es wie eine Liebeshochzeit.

“Wir wollen Nachhaltigkeit. Und das Ziel, dass wir etwas ganz Großes wollen, ist geblieben.“

Frederick Roehder

Zudem kann Contorion vielleicht sogar einige “Filetstücke” Hoffmanns für sich nutzen. Da wären z.B. die Erfahrung in internationalen Märkten als Türöffner für die Internationalisierung Contorions, die Logistik-Infrastruktur Hoffmanns, zusätzliche Sortimente, bessere Einkaufskonditionen, etc. Insofern ist man fast geneigt zu sagen, Contorion profitiert kurz- und mittelfristig sicher mehr von Hoffmann, als Hoffmann von Contorion.

Die Investoren-Sicht

Bei Florian Heinemann, Uwe Horstmann, Thies Sander & Co., allesamt Venture-Partner beim (Ex-) Contorion-Hauptinvestor Project A, dürfte am Montag der eine oder andere Sektkorken geknallt haben. Das bisher erfolgte Investment aller Investoren (u.a. Project A, Endeit Capital, Klöckner, Kärcher, Bauer Ventures, etc.) von ca. 20-30 Mio. EUR in den Finanzierungsrunden Series A und Series B ist auf jeden Fall gut gehebelt. Im globalen VC-Kontext mag die 120 Millionen Euro Übernahme eher wenig Wellen schlagen, für den “Operational VC” Project A ist der Verkauf Contorions jedoch ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg in den Venture Capital Olymp, zumindest den europäischen.

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Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass Project A & Co. vielleicht etwas früh verkauft haben. Contorion ist im digitalen MRO-Online-Markt Deutschlands unumstritten die Nummer 1 außerhalb von Amazon. Es gibt aktuell keine “Nummer 2”, die für einen ähnlich motivierten, strategischen oder Finanzinvestor verfügbar wäre. Es darf munter spekuliert werden, ob man Contorion nicht nächstes Jahr z.B. für 200 oder 250 Millionen Euro hätte verkaufen können. Die Türe für weitere Übernahmen ist auf jeden Fall geöffnet.

Die Markt-Sicht

Wie unterschiedlich doch die Gemütslage bei den digitalen Playern im MRO heute sein mag. Procato: war da was? Toolineo: Schon lange keine “alles total super im crazy Werkzeugonlinestart-up” Pressemitteilung des EDE mehr gesehen. Zamro: erste Schritte in Deutschland, noch nicht mal ein Jahr alt, außerdem eher Fokus auf technischen Handel. Zoro: hat im April erst 30 Leute entlassen, das Management getauscht und versucht gerade, den Reset-Knopf zu drücken. Wucato: sowieso nicht mit Contorion zu vergleichen.

Jetzt, wo der einzige Übernahmekandidat vom Markt ist, der wirklichen Landgewinn im Digital Commerce versprach, stellt sich tatsächlich die Frage, wie es wohl weiter geht. In München, bei Amazon Business, wird man derweil die Übernahme mehr oder weniger neutral zur Kenntnis genommen haben. Die Frage “Ist das der Angriff Hoffmanns auf Amazon?” kann man spätestens nach der Würthschen Aussage “Wir waren mit WUCATO ein halbes Jahr zu früh auf dem Markt.” aus dem Kontext heraus mit “Nein!” beantworten. Für finanzstarke, etablierte B2B-Händler gibt es also, bei sowieso schon überschaubaren Alternativen, wieder eine weniger, sich im Digital Commerce schnell und vielversprechend weiter zu entwickeln.

Next Level im Digital MRO

Der Kauf Contorions durch Hoffmann ist mitnichten ein Anzeichen für eine Blase. Bei genauerer, hier nicht ausführlich dargestellter, betriebswirtschaftlicher Betrachtung, lehne ich mich sogar so weit aus dem Fenster und behaupte, Contorion ist ein Schnäppchen. Für 120 Millionen Euro entwickelt sich Hoffmann vom Unsicherheitsfaktor vergangener Jahre (Führungswechsel, Ausstieg des Geschäftsführenden Gesellschafters, Spekulationen um eine Übernahme durch Grainger, etc.) dank geschicktem M&A-Verhalten über Nacht zum digitalen Spitzenreiter unter B2B-Werkzeug-&-C0.-Händlern in Deutschland. Hoffmann wird weiter Geld in Contorion investieren müssen, das Unternehmen dürfte weit von der Profitabilität entfernt sein. Ganz risikofrei ist die Übernahme für Hoffmann sicher nicht. Auch die digitalen Herausforderungen im Kerngeschäft werden für Hoffmann nur dann gelöst werden, wenn der Wissenstransfer der Spree-Isar-Connection gelingt. Ganz abgesehen vom Restrisiko, in den kommenden Jahren doch noch ein Impairment Contorions durchführen zu müssen. Aufgrund des Tirendo-Debakels aus 2013/2014 sollte man hier aber in der Due Diligence besonders aufgepasst haben.

Zum jetztigen Zeitpunkt und alles in allem aber eine echte “Münchner Watschn” für marktführende Anbieter wie Würth, Grainger oder Kingfisher, auch wenn man dort sicher noch ein wenig Zeit benötigen wird, um selbst zu dieser Überzeugung zu kommen. Über Nacht ist nämlich auch der digitale Erfolgsdruck auf diese und alle anderen Marktbegleiter gewachsen. Der digitale MRO-Markt hat am 26. Juni 2017 das nächste Level erklommen.

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17 Kommentare

  1. Hallo Lennart, ich kenne Hofmann natürlich seit Jahren und freue mich über die Übernahme. Hoffmann ist einfach eine tolle Firma, die es aber mit Contorion schwer haben wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Münchener damit leben können, dass bei solchen Umsätzen nur Geld verloren wird. Sie werden die VKPreise erhöhen, gut für alle Anbieter. Ich finde nicht, dass man Contorion unbedingt kaufen mußte, das kann man auch alleine, wenn man ein paar gute Netzmenschen hat. Ich denke auch, dass C. in 1 Jahr noch teurer gewesen wäre aber 120 Mio. sind trotzdem zu viel, denn, es ist so wie Du schreibst, damit ist es ja nicht zu Ende, H. wird noch viel mehr bezahlen müssen.
    Was kommt als nächstes? Es werden 30-50 Leute entlassen, der Versand kommt in eigene Organisationen, die drei Gründer werden in 300 Tage weg sein. Da es schwer sein wird Profite zu erwirtschaften, wird Contorion zu einer starken Marke im BtoB Online Handel, die in spätestens 2 Jahren Hoffmann heißen wird. Mir drängt sich der Gedanke auf, dass die Hoffmann Leute gelähmt von ihrem missratenen, kleinen, alten Online Ausflug nicht mehr an sich glaubten eine eigene Online Präsenz aufbauen zu können und deshalb einfach den einzigen am Markt befindlichen Player gekauft haben. Die Contoriongründer wollten nie Werkzeughändler sein, es hätten auch Matratzen sein können, sie wollten etwas aufbauen und dann verkaufen, das haben sie toll geschafft. rund 15% von 120 Mio, geteilt durch drei, nicht so schlecht für 2-3 Jahre Arbeit in denen sie auch noch ganz normal verdient haben.
    Für uns als Contorion Kleinkonkurrenten in einem Ozean voller Verkaufschancen ist die Hoffmann/Contorionübernahme gut – Festool zum EK verkaufen ist auf Dauer doof.

    Bis bald Peter

    1. Hallo Peter,
      danke für deinen Diskussionsbeitrag. Ich habe in vielen Punkten eine deutlich andere Meinung, die ich dir kurz darlegen möchte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Hoffmann in der Due Diligence gesehen hat, wie viel Geld sie mit Contorion noch “verlieren” werden in den nächsten 3-4 Jahren. Dass “ein paar gute Netzmenschen” den gleichen Effekt haben wie Contorion halte ich für sehr unwahrscheinlich. Wenn das so wäre, warum macht das dann heute nicht jeder so? Weil es a) diese Leute selten gibt und b) diese wenn dann selten Bock haben, zu einem mittelständischen Händler zu gehen.
      Dass Leute entlassen werden halte ich zumindest für die ersten 365 Tage für so gut wie ausgeschlossen. Das “Leute kaufen” ist ja der Sinn des Acqui-Hirings, was Contorion in diesem Fall für mich aus Hoffmann-Sicht darstellt. Die Gründer werden garnicht von Bord gehen können, ohne viel Geld zu verlieren, denn sowas hat sich Hoffmann als strategischer Investor natürlich in den Vertrag schreiben lassen. Ich kenne die Jungs so gut, dass ich mir zutraue zu behaupten: Wenn die sagen, sie wollen langfristig bleiben, meinen die das auch so. Ihnen zu unterstellen, ihnen ist egal, ob sie nun Matratzen oder Werkzeug verkaufen halte ich für etwas argwöhnisch. Das wäre, wie zu behaupten, Reinhold Würth wäre es egal gewesen, ob er nun Schrauben, Holz oder Südfrüchte verkauft. Und dank vorher festgeschriebener Liquiditation Preferences bei einem Exit haben die drei sicher keine 15% von 120 Mio. Euro bekommen. Und: “ganz normal verdienen” für Start-up-Gründer bedeutet, für 70k brutto pro Jahr 80h/Woche zu arbeiten. So viel zu “normal verdienen”.
      Die Leute, die für Hoffmanns “kleinen, missratenen, alten Online-Ausflug” verantwortlich sind, sind doch lange nicht mehr an Bord. Das neue Management hat einen komplett anderen Hintergrund und kommt nicht mal aus dem Werkzeughandel.

      Aber ja, Festool zum EK verkaufen ist doof – auch für Contorion.

      Viele Grüße,
      Lennart

  2. Die Übernahme durch Hoffmann überrascht in der Tat. Ich hatte in den letzen Jahren eher das gefühlt Hoffmann würde lieber alles selber machen. Allerdings hat man auch gesehen, dass Hoffmann durchaus gewillt war Geld in die Hand zu nehmen um die Onlineaktivitäten (z.B. Toolscout, simple System) auszubauen und zu verbessern.
    Auch wenn Contorion im Gesamtkonzern vom Umsatz her nur eine kleine Nummer spielt, kauft man sich Know-How, welches man in der aktuellen Hoffmann-Group so nie hätte selbst aufbauen können. Da hätte es von vielen Stellen zu viel Gegenwind gegeben, jeder hätte mitreden wollen, und so ein Zukauf macht da schon Sinn.

    Ich glaube jedoch nicht an einem langen Verbleib der Gründer. Hoffmann wird in den nächsten Monaten Änderungen vornehmen wollen, die denen nicht passen. Es wird Entlassungen geben und Kompetenzen müssen nach München abgetreten werden – Egal was jetzt in den PMs steht.

    Für Hoffmann ist das alles in allem jedoch eine gute Wahl gewesen. So positioniert man sich zumindest ansatzweise gegen Amazon Business.
    Zoro sehe ich aktuell nicht mehr als Mitbewerber. Hier werden wir sicher auch in den nächsten Monaten etwas neues hören. Gerüchte gibt es ja schon.
    Toolineo war nie ein Mitbewerber, und wird es auch nie werden. Das die Wuppertaler hier keinen sauberen Schlussstrich ziehen ist wirklich verwunderlich, und zeigt eigentlich nur wie stur man sich verhält. Die Geschäftsführung kann sich einfach nicht eingestehen den Kampf bereits verloren zu haben. Angeblich wird dort an einer Umstrukturierung des Konzepts gearbeitet, aber ich gebe dem keine Chance mehr. Mehre Teilnehmende Händler sind mehr als unzufrieden, und einige haben sich ja auch schon wieder davon distanziert. Wie man hört, machen einige Händler nur eine Handvoll Bestellungen pro Monat. So ein interner Preiskampf innerhalb einer Einkaufsgemeinschaft funktioniert einfach nicht.
    Wucato wird seinen Weg gehen, langsam aber stetig. Das Portal wird aber nicht mit Contorion in Mitbewerb stehen, sondern mit Mercateo oder Hoffmanns simply System.

    Interessant wird es noch mal, falls Hoffmann sich entscheidet auch GARANT über Contorion zu verkaufen. Ich glaube hier könnte noch einmal etwas Unruhe in der Group entstehen. Auch wenn vielleicht die Contorion Zielgruppe eine leicht andere ist. Die Eigenmarke so offen im Netz zu sehen, und in einen Preiskampf einzusteigen, das wird nicht einfach in der Gruppe zu kommunizieren.

    1. Danke für den ausführlichen Kommentar. Ich verstehe allerdings nicht, warum alle denken, dass Hoffmann Contorion gekauft hat, um Online-Wettbewerb einzuschränken. Nur so wäre nämlich zu erklären, warum da jetzt irgendwelche Sachen gemerged werden sollen. Ich bin so zuversichtlich, dass ich mich so weit aus dem Fenster lehne und sage: Da passiert erstmal garnix!

      Sowohl das Contorion-Management-Team als auch das Hoffmann-Management-Team haben gestern mehrfach bekundet, dass Contorion eigenständig bleibt und ausgebaut werden soll. Das ist in meinen Augen auch deutlich logischer und Konsequent. Das, was Würth mit WUCATO oder Grainger mit Zoro macht, geht ja in die ähnliche Richtung.

  3. Laut “Contorion Compact” wird die Logistik seit Anfang 2017 von Fiege abgewickelt. In jedem Fall ein Partner, mit dem es sich national und international “skalieren” lässt. Und das scheint ja durch den Deal nun noch einmal nachhaltig möglich zu sein.

    1. Hallo Timo,
      vielen Dank für die Info! Soweit ich weiß, handelt es sich um ein outgesourctes Lager für Topseller, ca. 5.000-10.000 Artikel, vor allem die “Stier”-Produkte. Fiege macht das sicher super, aber auch wohl teuer. Eventuell ist da perspektivisch im Münchner Lager auch noch Platz für die “paar” Artikel.

  4. Hallo Lennart,
    vielen Dank für den äußerst lesenswerten Artikel und die sehr scharfsinnige Analyse.

    In der Tat glaube ich auch, dass Contorion eine sehr clevere Akquisition war, zumindest wenn man perspektivisch davon ausgeht, dass die Fachhändlerschaft von Hoffmann zukünftig durch digitale Wettbewerber unter Druck gerät. Für diverse Fachhandelskunden haben bei angespannter Marge schon wenige % Umsatzverlust tiefgreifende betriebswirtschaftliche Folgen. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Markt einem Teilnehmer wie Hoffmann keine 5 Jahre Zeit gibt, bevor es zu einer Konsolidierungswelle im Fachhandel kommt. Die Option ein Contorion selbst zu bauen würde dann gar nicht mehr existieren.

    Einer drohenden Marktkonsolidierung frühzeitig zu begegnen und sich die Kirsche im Markt perspektivisch zu schnappen, halte ich für eine sehr gute Entscheidung seitens Hoffmann. Jetzt müssen wir abwarten ob Contorion die Freiheit gelassen wird sich zu entwickeln, oder ob Contorion durch die “Macht des Vertriebs” in ein Preis- und Angebotskorsett gezwängt wird. Ich wünsche Contorion maximale Freiheiten, dann werden die weiterhin einen herausragenden Job machen.

    Das es bei Hoffmann schwierig wird mit den Folgen der allgemeinen Margentransparenz umzugehen ist unbestritten. An dieser Transparenz ist aber Contorion nicht schuld und falls bei Contorion demnächst Werkzeug zum Mond-Listenpreis verkauft werden müsste, dann wäre dies ein Angriff auf die erreichte Marktpositionierung, ändert aber nichts an den allgemeinen Entwicklungen.

    Das Fachhändler einen Akku Schrauber zukünftig nicht mehr für 450,00 EUR verkaufen können, wenn vergleichbare Wettbewerbsprodukte oder sogar das identische Produkt für 250,00 EUR online verfügbar sind ist unbestritten.
    Auch Handwerker googeln Angebotspreis, die “sind ja nicht blöd” um einen Werbespruch aus dem Handel zu bemühen.

    Wenn ich die bisherige Vertriebspraxis als Preisoptimierung bezeichne, dann verharmlose ich damit die alte marktbestimmende Hochpreispolitik zu lasten der gewerblichen Kunden und über kartellrechtliche Fragen sprechen wir besser gar nicht.

    Im Shop von Hoffmann selbst wird scheinbar alles zu Listenpreisen angeboten, die Marktpreise im E-Commerce sind meiner Prüfung einer Stichprobe von Handwerkzeugen zu Folge rund 40-50% billiger. Vielleicht sollte Hoffmann sich noch jemanden von Adidas ins Haus holen, dann würde die Sicht auf den eigenen Shop und den dreistufigen Vertrieb sicher noch mal von einer anderen Seite beleuchtet.

    Hoffmann steht nicht aufgrund der Akquise von Contorion vor seinen Herausforderungen. Der Außendienst wird mit Sicherheit und großer Freiheit intransparente Rabattstaffeln individuell mit Händlern vereinbart haben. Darüber wurden Margen gesichert, die den teuren Vertrieb natürlich auch bezahlt haben – solche Modelle sind heute einfach nicht mehr durchsetzbar. Es wird viele Kunden geben, die den Außendienst zu recht fragen, warum er beim Direktbezug mehr bezahlt hat, als wenn er das Produkt heute im Netz kaufen würde. Es sind halt schlechte Zeiten für den Flächenvertrieb und die zukünftigen Absatzzahlen des VW Passat oder Golf Kombi.

    Beste Grüße
    Stefan

    1. Hallo Stefan,
      Hoffmann ist ja kein Hersteller im klassischen Sinn, mit “GARANT” und “Holex” als Marken sind sie maximal eine vertikale Marke, aber auch nicht so stark wie Würth, Berner oder Förch. Ich denke, dass Contorion für Hoffmann vor allem aus zwei Gründen wichtig ist: a) massive Digitalvertriebs-, Daten- und Tech-Kompetenz und b) Besserer, da perspektivisch und bei erreichen einer kritischen Kundengröße günstigerer Kundenzugang für kleine und kleinste Kunden (Longtail).

      Du hast aber natürlich damit recht, dass die Akquisition von Contorion allein Hoffmann in seinem 1,1 Mrd. EUR schweren Kerngeschäft genau kein Problem von selbst löst. Die Integration und der Transfer von Digitalkompetenz von Berlin nach München ist super, super, super hart. Da haben sich schon viele Firmen die Zähne daran ausgebissen.

      Viele Grüße,
      Lennart

  5. Erstaunlich wie leicht man heute zum Millionär wird.
    Ware unterm EK verkaufen, daher natürlich super Umsätze machen und dann den Laden an ein Unternehmen verkaufen, dass nicht rafft warum der eigene Shop keine Umsätze macht. Weil ihr damit Gewinn machen wollt und die nur eine Umsatzblase, liebe Hoffmänner. Ihr habt nur ein paar sehr teure Adressen gekauft, Glückwunsch 🙂
    Wenn man die Preise in einen gewinnbringenden Sektor anhebt, bleiben natürlich einige Stammkunden da aber ob das jetzt 120 Mio wert ist….

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