Für das erste warenausgang.com Interview habe ich mich mit Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. (bevh) in Berlin unterhalten.
Er redet Klartext über die Unterschiede von B2C und B2B E-Commerce, warum er sich über das Verschwinden von Teilen des Außendienstes freut und wie groß der zukünftige Einfluss von Amazon Business auf den B2B E-Commerce Markt in Deutschland sein wird.
warenausgang.com: Herzlich willkommen zur Premierenausgabe des warenausgang.com Podcasts – heute beim bevh mit Martin Groß-Albenhausen, dem stellvertretenden Geschäftsführer des bevh. Martin, vielen Dank für deine Zeit und dass wir uns heute über Obst – und zwar über Äpfel und Birnen – unterhalten können.
Martin Groß-Albenhausen: Ja, sehr schön. Ich freue mich auch, dass ich hier bei der Premiere dabei sein darf.
warenausgang.com: Martin, für alle, die nicht wissen, was der bevh macht und was genau deine Rolle dabei ist: Kannst du dich und den bevh ganz kurz vorstellen?
Martin Groß-Albenhausen: Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel in Deutschland wurde 1947 gegründet und ist die offizielle Vertretung der Versandhändler in Deutschland. Wir haben uns vor fünf Jahren umbenannt in den Bundesverband E-Commerce und Versandhandel, weil heute über 90 Prozent des Umsatzes im Distanzhandel via E-Commerce abgehandelt wird. Da ist, wenn man sich die einzelnen Branchen anschaut, B2B und B2C vergleicht, der Katalog noch ein sehr starkes Element drin, vor allem im B2B. Auch dort ist das Thema E-Commerce sehr wichtig geworden, wenn nicht sogar das Wachstumsfeld schlechthin.
Wir vertreten die Interessen dieser Branche bei der Politik und gegenüber anderen Wirtschaftsinstitutionen. Letztlich stehen wir auch ein bisschen in der Öffentlichkeit und vertreten dort vor der Presse diese Meinung unserer Mitglieder. Für unsere Mitglieder selbst sind wir als Berater aktiv, sei es in Rechtsfragen oder in strategischen Fragen.
Ich selbst bin online seit 1996, damals noch richtig schön mit analogem, pfeifendem Modem. Ich habe mein erstes E-Commerce Seminar 1998 oder 1999 gegeben. Im Verband bin ich seit 2011. Als stellvertretender Hauptgeschäftsführer bin ich unter anderem für das Thema B2B, für Marketingthemen sowie Fortbildung und Ausbildung, z.B. unseren neuen kaufmännischen Ausbildungsberuf E-Commerce-Kaufmann, zuständig.
warenausgang.com: Du bist schon fast 20 Jahre im Thema E-Commerce mit dabei. Wann hat denn deiner Meinung nach das Thema B2B E-Commerce so richtig Fahrt aufgenommen?
Martin Groß-Albenhausen: Naja, die Fragestellung ist so, dass man dann meinen könnte, es hätte schon richtig Fahrt aufgenommen. Ich glaube, dass E-Commerce und B2B, wenn man sich in die einzelnen Branchen des B2B begibt, teilweise noch gar nicht Fahrt aufgenommen hat. Es gibt da noch extrem analoge Branchen. Das ist gar kein Wunder und nicht weiter schlimm. Das zeigt einfach nur, dass das Potential riesig ist.
Ich glaube, dass E-Commerce und B2B, wenn man sich in die einzelnen Branchen des B2B begibt, teilweise noch gar nicht Fahrt aufgenommen hat.
Auf der anderen Seite waren große Unternehmen, die Mitglied bei uns sind, fast so früh wie ein Otto Ende 90er Jahre dabei. Die haben ihre gesamten Daten digitalisiert und ihren Katalogen CDs beigelegt, die dann transaktionsfähig geworden sind. Das heißt, es gab da einen Sprung zu einem Warenkorbsystem, ich konnte den Warenkorb übertragen. Da sieht man, dass einfach die Grundlagen bei vielen Betrieben, die an gewerbliche Kunden – gerade große Kunden – ausliefern, sehr gut sind.
Es gab immer schon eine Art Sourcing, dieses ganze Thema EDI, elektronische Datenübertragung und Beschaffung bis hin zu elektronischen Katalogen und Katalogstandards, die sehr gut sind. Das heißt, wir haben da eine prima Grundlage. Das Einzige, was viele nicht verstanden haben ist, aus diesem Datenverständnis ein E-Commerce Verständnis, Digitalverständnis und Geschäftsmodell zu entwickeln. Insofern kann man sagen es hat sehr früh schon einen Start gegeben – aber irgendwann ist der Motor ins Stottern geraten bzw. hat man den Fuß ein bisschen vom Gas genommen.
warenausgang.com: Die Rolle des B2B E-Commerce Bereich im Verband ist sicherlich nicht zu unterschätzen. Kannst du vielleicht da etwas sagen, wie ihr eure Mitglieder hier bestmöglich versucht zu unterstützen?
Martin Groß-Albenhausen: Wir haben 2012 unseren Arbeitskreis B2B gegründet, weil wir gesagt haben „Der B2B Bereich, der hat ganz andere Anforderungen.“ Das ist tatsächlich ein Vergleich von Äpfeln und Birnen, wenn wir uns B2B und B2C anschauen. In manchen Bereichen ist es ein Vergleich von Äpfeln und Äpfeln, weil der Kunde dahinter letztlich nicht teilbar ist. Ob er tagsüber im Büro ist und abends auf der Couch sitzt – er ist immer der gleiche Mensch. Deswegen sind das Äpfel und Äpfel, was die digitale Customer Experience angeht.
Das ist tatsächlich ein Vergleich von Äpfeln und Birnen, wenn wir uns B2B und B2C anschauen.
Auf der anderen Seite sind die Prozesse doch deutlich unterschiedlich. Wir haben gesagt, wir brauchen einen eigenen Arbeitskreis, der sich den spezifischen B2B Themen annimmt. Was wir schon ein bisschen länger machen ist eine Jahresstudie, in der wir versuchen, den B2B E-Commerce zu erfassen. Das war bis jetzt eine sehr intensive Befragung von B2B Unternehmen, wo wir dann z. B. abgefragt haben, wie sich das Suchverhalten entwickelt, wie sich der Wettbewerb durchs Internet entwickelt.
Wir werden das dieses Jahr umstellen – wir machen diese Studie gemeinsam mit Creditreform – und werden erstmals eine sehr grundlegende Erfassung auf Grundlage der Webshops an sich vornehmen. Das heißt, wir crawlen im Moment die Webshops, schauen uns an “Welche Webshops sind eindeutig als hybride oder B2B Unternehmen erkennbar?” So dass wir einen Überblick darüber bekommen, was das für Unternehmen dahinter sind. Wir können uns die genau anschauen und stellen dann fest, welche B2B Branche wie viele online aktive Unternehmen hat. Das ist ein Projekt, wo wir versuchen, eine Marktübersicht herzustellen, die es so nicht gibt.
Wir gehen relativ weit. In diesem Jahr starten wir ein Projekt, indem wir uns sehr intensiv mit Produktdaten im Bereich der Betriebsausstattung beschäftigen. Wir wollen nach einem Best Practice Prozess schauen, um möglichst rasch Daten, die wir aus der mittelständischen Industrie zu Betriebsausstattungsprodukten bekommen, in E-Commerce-fähige Daten umzuwandeln. Es wird sehr mühsam, einen Standard durchzusetzen, der dann von allen Lieferanten geteilt wird. Time to market: Wir versuchen, einen Dienstleistungsaspekt oder einen Golden Record zu definieren, der dann in einer eleganten Form allen zur Verfügung gestellt werden kann. So kann dann sehr viel unproduktive Arbeit an Produktdaten schlanker gestaltet werden.
warenausgang.com: Wenn man heute in die Branche rein schaut, dann sieht man oft, dass B2B und B2C oft im E-Commerce in einen Topf geworfen und verallgemeinert werden. Ich persönlich glaube, dass es ein ganz großer Fehler ist und dass die Unterschiede vor allem unter der Motorhaube recht groß sind. Was denkst du denn darüber? Was hältst du von der Gleichmacherei im E-Commerce?
Martin Groß-Albenhausen: Ich bin generell kein Freund von Gleichmacherei. Ich habe schon gesagt, dass ich glaube, dass von Seiten der Kunden gedacht – und das sollten alle machen – bestimmte Standards an ein digitales Kundenerlebnis künftig erwartet werden. Das, was man häufig noch findet, eher listenmäßig aufgebaute Beschaffungssystemen, die dann webfähig gemacht werden, das ist kein gutes digitales Kundenerlebnis und hier müsste man wirklich Äpfel mit Äpfeln vergleichen. Da muss man den guten B2C Beispielen folgen.
Vor allem wenn man weiß, dass der Plankauf am Anfang des E-Commerce stand, nicht dieses Impulskaufen, was man heute darunter versteht. Dieses sehr Listenmäßige, Kategorienzugeordnete, was man in klassischen Onlineshops hat, war ein dem B2B Ansatz entsprechendes Paradigma im E-Commerce. Hier sollte man nicht im Jahr 1995 oder 2000 stehen bleiben, sondern schauen, wie man hier eine Best-in-Class Customer Experience hinkriegt, die sich durchaus B2C Standards nähert.
Aber dahinter ist einfach ein viel tieferes und breiteres Produktsortiment, das nicht unbedingt “sexy” ist, wo es auf exakte Matches ankommt. Außerdem ist die Beschaffung natürlich etwas anderes ist als ein Impulskauf. Ich bin dort nicht geneigt, einem Angebot „Kauf zwei und bekomme das Dritte umsonst“ zu folgen. Das sind reine marketingorientierte Geschichten. Ich habe bestimmte Vorgänge, die anders sind. Häufig werde ich mir ein erst mal ein Angebot machen lassen wollen – das heißt, ich brauche eine Angebotsfunktion im Shop. Oder ich habe ein Problem, weil es nicht “den Preis” gibt. Es gibt Millionen von Preisen für ein Produkt. All das muss so ein Shop abbilden. Und das sind sicherlich andere Herausforderungen.
Ich glaube insofern schon, dass das doch Äpfel und Birnen sind und dass für einen Kunden, der aus dem B2B kommt, andere Aspekte eines digitalen Kundenerlebnisses wichtiger sind, als ein schönes, buntes Bild.
warenausgang.com: Es gibt gerade im B2B Bereich eine Menge Unternehmen, die sich in E-Commerce heute schon für sehr gut aufgestellt halten – wenn man dann genauer hinsieht, dann sieht man, dass sie zum Teil doch erschreckend schlecht aufgestellt sind. Welchen “Sanity-Check” kann ich als Unternehmen machen, um meinen Status quo richtig einordnen zu können?
Martin Groß-Albenhausen: Es gibt sicherlich einige der typischen KPIs, die ich mir anschauen kann. Eine ganz banale Kennzahl ist, dass ich mir anschaue, wie viel Anteil an meinen Kosten die IT hat und wie viel ich bereit bin, in die IT zu investieren, z.B. im Vergleich mit dem analogen Vertrieb, den ich habe. Wenn ich feststelle, dass da ein deutliches Missverhältnis ist, dann muss ich mich fragen, ob ich die Weichen richtig stelle.
Ich müsste mir anschauen, was meine Produktdatenbasis ist. Sind für mich Produktdaten rein die Daten, die in meinem ERP drin stecken? Oder sind es Daten, die stärker darauf ausgerichtet sind, wie der Kunde sucht? Ich muss ihn kennen. Und ihn kennen heißt natürlich, ich muss ihn in irgendeiner Form hinterlegen. Das heißt, ich muss mir meine Produktdaten anschauen und schauen “Welche Felder habe ich da? Und habe ich da Felder, die mir erlauben, die Sprache meiner Kunden automatisiert abzubilden?” Da sehe ich doch noch deutliche Lücken. Ich würde das generell, diesen ganzen Bereich der uniquen Daten, der Marketingdaten oder E-Commerce-Daten, als einen der wichtigsten Bereiche anschauen, wo man den Sanity-Check machen muss und sich fragen muss, ob man gut genug ist.
warenausgang.com: Wenn du ab morgen Geschäftsführer eines derartigen B2B Mittelständlers wärst und die E-Commerce Struktur nur sehr dürftig entwickelt ist – was würdest du denn dann unternehmen, um das Thema richtig und konsequent im Unternehmen auf die Straße zu bringen?
Martin Groß-Albenhausen: Ich kann verschiedene Punkte durchgehen. Ich habe schon angefangen damit, dass ich gesagt habe „Wo stehen wir als Unternehmen?“ Ich würde mir angucken ob ich eine IT-Abteilung habe und ob es in der IT-Abteilung gute Leute gibt. Gibt es jemanden, der sich dezidiert nur mit dem Thema E-Commerce auseinandersetzt? Wenn ich das habe, ist es schon gut. Dann muss ich mir anschauen, ob es genügt, was der macht.
“Habe ich jemanden, der eine konsequente Strategie zum Beispiel für E-Mail Kommunikation aufbaut?“ Die wird vielleicht anders aussehen, als sie im B2C aussehen würde, aber ich muss jemanden haben, der tatsächlich sich damit beschäftigt. Ich muss jemanden haben, der sich mit Search beschäftigt. Ich muss jemanden haben – egal wie wichtig das im ersten Moment zu sein scheint – der auf dem Laufenden bleibt, was Social Media angeht. Es gibt da viele Funktionen, die heute in einem guten E-Commerce Unternehmen ganz selbstverständlich dazu gehören, die häufig in B2B Unternehmen überhaupt nicht gefüllt sind. Also hier ist ganz klar eine Sache: Ich muss Menpower reinstecken.
Ich muss mir anschauen „Wie ist meine IT-Struktur? Habe ich ein vernünftiges CRM? Habe ich ein vernünftiges PIM und MAM?“ Das sind häufig die Sachen, wo es wirklich hakt. CRM ist gar nicht das Problem, da sind die B2B Unternehmen extrem gut aufgestellt, weil sie häufig einen Außendienst haben. Dieses CRM ist häufig gekapselt und gar nicht verbunden mit irgendwelchen Shopsystemen. Das heißt ich habe gar keine Möglichkeit, die Daten, die ich im CRM habe, für eine E-Commerce Strategie aufzusetzen. Ich muss mir die IT Struktur anschauen und sagen „Habe ich hier eine wirklich durchgehende IT Strategie, die E-Commerce voll einbezieht?“
Das Thema PIM, MAM ist natürlich extrem wichtig. Ich muss ein PIM-System haben, das mir erlaubt, weit über das, was das klassische ERP hergibt, Daten für den E-Commerce in Felder einzufügen. Ich muss entsprechend die häufiger in einem einzigen Feld eingegebenen Produkttexte noch ergänzen, muss sie aufrastern, muss Bullets machen – muss also eine klassische E-Commerce Datenstrategie dahinter legen. Wenn ich das gemacht habe, dann kann ich – und das sollte ich in jedem Fall machen – mich sehr intensiv damit beschäftigen „Was macht mein Kunde da draußen? Wie sieht die Search aus? Wie ist die Customer Journey?“
warenausgang.com: Sich mit der Customer Journey auseinanderzusetzen ist naheliegend und sehr trivial. Trotzdem wird das gerade in vielen B2B Unternehmen sträflich vernachlässigt. Warum ist es so wichtig, gerade im B2B E-Commerce, sich mit der Customer Journey auseinanderzusetzen?
Martin Groß-Albenhausen: Ich sage manchmal, dass im B2B die E-Commerce Revolution auf einem Nachbargleis stattfindet. Dann ist vielleicht gar nicht der Onlineshop das Entscheidende, sondern es kann einfach ein digitales Tool sein, was extrem wichtig für die Kunden ist. Das heißt weil der Kunde an sich vielleicht gar nicht im Büro sitzt und nicht klassisch beschafft, sondern weil er in einem bestimmten Kontext Produkte von mir braucht und ich ein viel stärkeres Augenmerk auf das mobile Endgerät legen muss, vielleicht gar nicht mehr auf einen Shop, durch den er sich mühsam durchnavigieren muss, sondern vielleicht auf einen Dialog, einen Messenger Dialog oder WhatsApp, Chat-Shopping oder was immer da möglich ist.
Dann ist vielleicht gar nicht der Onlineshop das Entscheidende, sondern es kann einfach ein digitales Tool sein, was extrem wichtig für die Kunden ist.
Es gibt Beispiele aus dem Baustoffhandel an anderer Stelle, wo die besten Kundenbetreuer mit ihren besten Kunden permanent über WhatsApp verbunden sind, weil das für den Kunden viel angenehmer ist, als zu versuchen, in den Shop zu springen. Ich müsste mich sehr, sehr intensiv mit den Kunden beschäftigen und mir Veränderungen im Search-Verhalten anschauen. Ich müsste mich natürlich damit beschäftigen „Welche Produkte sind extreme Einsteigerprodukte in E-Commerce? Womit bekomme ich die? Und was sind die konkreten Anwendungsszenarien, in denen E-Commerce einen echten Wertbeitrag für meine Kunden leistet?”
Ich nehme das Beispiel vom kleinen Handwerker. Für den kann es sein, dass es viel angenehmer ist zu telefonieren wie seit eh und je. Aber für ihn kann es extrem wichtig sein, dass er über einen Webshop eine Übersicht über sämtliche Bestellungen, die von seinen verschiedenen Mitarbeitern an verschiedenen Baustellen gemacht werden, bekommt. Da ist wieder die Herausforderung Äpfel und Birnen: Ich habe vielleicht unterschiedliche Preise je Baustelle, ich habe unterschiedliche Preise je nach bestimmten Staffeln und so weiter und so fort. Und ich kann zum Monatsende aus diesem System heraus einfach auf Knopfdruck mir für meinen Steuerberater eine Liste ziehen oder eine Übersicht generieren.
Hier sind es auf eher transaktionsorientierte oder prozessorientierten Vorteile, die das E-Commerce meinen Kunden bieten kann, die dann den Durchbruch bringen. Insofern ist es nicht unbedingt der Onlineshop, der hier im Fokus für mich als Geschäftsführer stehen würde, sondern der E-Commerce Prozess. Im Unternehmen die richtige Basis zu schaffen, mich dann intensiv mit meinem Kunden zu beschäftigen, spezifisch mit dem, womit ich ihn mit einer E-Commerce Anwendung in seinem täglichen Geschäft am besten unterstützen kann.
Genauso wie häufig im B2B Funktionalitäten, wie z.B. die Übernahme aus Projektskizzen bei Elektronikbauteilen, ein ganz, ganz üblicher Prozess geworden ist. Weil eben der größte Wert, den der Onlineshop bieten kann, einfach die Zeitersparnis ist, weil die Transaktion schnell geht. Ich muss mir nicht mehr jedes einzelne Produkt raussuchen, sondern aus dem Designvorgang kann ich etwas direkt in einen Warenkorb oder in einen Angebotszettel übernehmen. Also solche Funktionalitäten können dann für mich in meinem Unternehmen der richtige Schritt sein.
Wie gesagt: Grundlage Personal, Daten, IT. Und dann eben Kunde, Kunde, Kunde.
warenausgang.com: Jetzt gibt es in deinem B2B Unternehmen starke bestehende Vertriebskanäle, und die haben dann natürlich ein Problem mit der Einführung eines digitalen Kanals. Sie haben die Furcht, mittelfristig durch den Kanal, durch den neuen digitalen Kanal, ersetzt zu werden. Haben dann deine analogen Vertriebler damit Recht, oder sind die Befürchtungen kompletter Unsinn?
Martin Groß-Albenhausen: Ja, sie haben Recht. Für mich wäre die Frage, ob es nicht sogar gut ist, dass ein bestimmter Typus von analogen Vertrieblern verschwindet. Das klingt jetzt brutal. Wir stellen sogar fest, dass in bestehenden Großhandelsunternehmen extrem gute Vertriebler den digitalen Kanal ohnehin schon umarmen. Die sind mit ihren Kunden digital verbunden, die nutzen das und erzielen die besten Ergebnisse.
Für mich wäre die Frage, ob es nicht sogar gut ist, dass ein bestimmter Typus von analogen Vertrieblern verschwindet.
Diejenigen, die sich dem verweigern und am liebsten nur einen elektrifizierten Katalog haben wollen, werden bei den Kunden einfach nicht mehr akzeptiert werden. Denn wie gesagt: Es ist so, dass eine neue Generation von Einkäufern mit einer komplett digitalen Lebenserfahrung in diesen Job rein kommt. Für die ist es sehr, sehr untypisch, dass sie einfach nur einen Vertriebler empfangen, der ihnen dann einfach den Warenbestand vorlegt.
Die ganzen Befragungen, die zum Beispiel die Deutsche Messe, Interactive und andere machen, also die wirklich E-Commerce-unverdächtig sind, weisen alle darauf hin, dass der persönliche Kontakt sehr, sehr wichtig ist – dass an zweiter Stelle aber natürlich heute schon das Internet und die Frage nach der Verifikation all dieser Informationen steht. Und in dem Moment, wenn der Vertriebler nicht mit der Zeit geht, nicht an dieser Stelle einfach ein hohes Wissen über das hat, was draußen in der digitalen Welt passiert, dann ist er einfach kein guter Gesprächspartner mehr für die Einkäufer.
Natürlich ist es so, dass ein guter Vertriebler mehr weiß als nur das Produkt. Der kennt den Kunden, der ist sozusagen mit dem aufgewachsen, hat eine lange Zeit mit dem verbracht. Aber wir erleben einen Generationenübergang. Es kommen neue Einkäufer und dann ist das Spiel völlig offen. Und diese neuen Einkäufer, die haben einfach nicht mehr dieses Erbe. Insofern: Ja, sie sind gefährdet, aber nicht weil es E-Commerce gibt, sondern einfach deswegen, weil der Kunde sich ändert und weil es ihre Aufgabe ist, mit der Zeit zu gehen.
warenausgang.com: Wenn man den Gedanken weiter spinnt, dann muss man sagen, dass der B2B Groß- und Fachhandel trotz allem den digitalen Wandel bisher großflächig einfach verschlafen hat. Wie ist denn für den Fachhandel hier noch etwas zu retten?
Martin Groß-Albenhausen: Er hat den digitalen Wandel verschlafen – was allerdings auch daran lag, dass die Nachfrage kundenseitig zum Teil noch gar nicht da war. Das heißt, es ist nicht so, dass er heute auf einmal überholt worden wäre von den Newcomern, den Incumbents. Mir liegt noch eine Präsentation im Ohr, die Frederick Roehder von Contorion vor einem knappen Jahr bei uns gehalten hat, wo er gesagt hat „Wir haben festgestellt nach einem guten Jahr, in dem wir drin sind, dass eine starke lokale und regionale Präsenz ein echtes Asset im B2B Geschäft ist.“ Das heißt diese Nähe zum Kunden, das ist etwas, was man mit Onlinemitteln nicht einfach ersetzen kann.
Er hat den digitalen Wandel verschlafen – was allerdings auch daran lag, dass die Nachfrage kundenseitig zum Teil noch gar nicht da war.
Von daher gibt es eine Diskrepanz in der digitalen Kompetenz. Aber das Rennen ist noch nicht entschieden, sondern die Fachhändler können, wenn sie jetzt einen entschiedenen Schritt gehen, sich in den Punkten, die wir schon angesprochen haben – also Produktdaten, Verständnis für digitale Geschäftsmodelle, eine ordentliche Investition, die nicht in die Millionen gehen muss, aber die einfach an entscheidender Stelle ansetzt – dann können die noch eine ganze Menge reißen.
Dafür brauchen sie Fachkräfte, die sie im Moment nicht haben. Aber vor allem braucht es eine Entschiedenheit. Es braucht die Bereitschaft, sich wirklich radikal zu hinterfragen, das Geschäftsmodell zu hinterfragen und die Frage zu stellen, ob es nicht auch in ihrer Branche irgendwann diesen Amazon-Moment geben kann. Diesen Amazon-Moment, wo eine Handelsstufe quasi obsolet wird und einfach der Handel mit seiner klassischen oder funktionalen Rollenbetrachtung einfach nicht mehr genügend Wertbeitrag in der Vermittlung zwischen Produzent und Verbraucher leistet.
warenausgang.com: In der Konsequenz, dass der Groß- und Fachhandel da den Wandel so ein bisschen verschlafen hat, haben einige Hersteller – die grundsätzlich sehr fachhandelstreu waren und immer noch sind – ganz heimlich angefangen, ihr Geschäftsmodell zu vertikalisieren und arbeiten gerade online direkt mit ambitionierten Pure Playern oder eben smarten Multichannlern, wenn man so möchte, zusammen. Ist diese Flucht nach vorne der Hersteller gerechtfertigt?
Martin Groß-Albenhausen: Die ist in einem Kontinuum drin. Grundsätzlich ist es immer so, dass es eine Spannung gibt zwischen dem, was der Handel will und was der Hersteller will. Und wenn der Handel dann da schwächelt, dann wir der Hersteller das immer angreifen. Speziell im B2B ist es so, dass es schon immer ganz üblich war, dass Hersteller direkt an die Verbraucher verkauft haben. Also dass dazwischen unbedingt der Großhandel sitzt und das nicht direkt in einem Vertriebsbüro bei der Produktion angesiedelt ist, ist nichts Neues.
Wir haben Beispiele gesehen, wo einfach die Hersteller etwas gemacht haben, weil man etwas machen muss. Und das war dann alles, nur eben nicht wirklich zielführend, weil man gedacht hat „Okay, wir fangen an, einen Marktplatz zu bauen.“ Die haben gar nicht berücksichtigt, dass am Ende für den Kunden bestimmte Fragen gar nicht beantwortet wurden, weil dann die Produktdatenbasis nicht gestimmt hat..
Es hilft dem Kunden nichts, auf einem von Herstellern getriebenen Marktplatz zu sein, aber die wesentliche Frage – nämlich eine verlässliche Lieferung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder eine Verfügbarkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt oder eine Integration eben dieser unterschiedlichen Preisthemen, die ich habe – nicht beantwortet zu bekommen. Ich muss also als Hersteller, wenn ich anfangen will, hier wirklich die Flucht nach vorne zu ergreifen, mir überlegen „Kriege ich ein wirklich knallhart direktes, rein E-Commerce-gedachtes Geschäftsmodell hin?“
Da sehe ich einfach bei vielen Herstellern noch nicht die Kompetenz. Das sind letztlich Hersteller, die einen Intermediär weiterhin brauchen, der genau das macht. Diese Intermediäre wird es geben. Ich glaube schon, dass die Lücke, die im Moment der Fachhandel lässt, geschlossen werden wird – und nicht unbedingt aus dem Fachhandel selber. Ich glaube, dass die Hersteller ein großes Interesse daran haben, selbst aktiv zu werden, weil es für sie ein bisschen Margen-Sicherung bedeutet. Und ganz klar: Da, wo der Handel schläft, ist jeder, der produziert und ein Vertriebsinteresse hat, gefordert, einen eigenen Weg zu gehen und sich selber dort stark zu machen.
Ich glaube schon, dass die Lücke, die im Moment der Fachhandel lässt, geschlossen werden wird – und nicht unbedingt aus dem Fachhandel selber.
warenausgang.com: Einer der Intermediäre, die du gerade schon angesprochen hast, ist ein ganz bekannter, und zwar Amazon. Der Einstieg von Amazon Business in den deutschen Markt steht kurz bevor. Das ist zwar etwas, was man schon lange denkt und auf der Agenda hat und mittlerweile tut sich zum Beispiel auf Amazon Jobs etwas. Da werden eine Menge Leute für den Bereich rekrutiert. Ist Amazon Business zukünftig der Game-Changer im B2B E-Commerce in Deutschland?
Martin Groß-Albenhausen: Es ist nicht so, dass Amazon der erste gute Marktplatz wäre. Es gibt einen Mercateo, der sich sehr stark von der Sourcing-Seite als ein Onlinemarktplatz platziert hat, der sich mittlerweile – und das finde ich ein sehr spannendes Thema – sehr stark von Google emanzipiert hat. Über extreme Kompetenz in Schnittstellen, in der Arbeitserleichterung für jeden, der sich anschließen will an seinen Marktplatz, hat Mercateo sein enormes Wachstum realisiert.
Ich sehe im Moment bei Amazon nicht die IT Basis, die Themen wie Angebote, diese extremen B2B Funktionen, egalisieren könnten. Andere – wie Mercateo – haben eben einen bestimmten Vorsprung. Nichtsdestoweniger wird Amazon Business garantiert für eine große Zahl von indirekten Gütern, von Dingen, die nicht kriegsentscheidend für die Unternehmen sind, sondern eher Büroartikel oder ähnliches, ein ganz großer Wettbewerb für alle anderen sein, die bis jetzt diesen Markt im B2B bedient haben.
Das heißt wir stellen jetzt schon fest, dass bei Gütern wie Bosch Artikeln, z.B. Bosch blaue Linie, die klassische Handwerksprodukte sind, der Markt komplett an Amazon verloren wurde. Und so wird das Kategorie um Kategorie weitergehen. Und dann werden wir feststellen, dass auf einmal Amazon da ist und für diesen Teil der Kleingewerbebetreibenden als Kunden einfach die Beschaffungsquelle Nummer eins sein wird in immer mehr Bereichen.
Insofern: Ja, das ist ein Game-Changer im B2B E-Commerce und viele von denen, die bis jetzt ihr Geschäft gemacht haben, werden in die Röhre schauen. Das heißt nicht, dass nicht daneben noch weitere Geschäftsmodelle weiter bestehen könnten. Amazon ist im ganzen Bereich, wo es um Beschaffung geht, nicht der Marktplatz. Es gibt zum Beispiel bei großen Firmen eher den Ansatz, dass man dieses “Maverick-Buying”, das man irgendwo hingeht und die Produkte beschafft, unterbinden möchte.
Insofern: Ja, das ist ein Game-Changer im B2B E-Commerce und viele von denen, die bis jetzt ihr Geschäft gemacht haben, werden in die Röhre schauen.
In einem Jahr eine Milliarde Dollar umzusetzen aus dem Stand heraus – das ist vielleicht auf das Gesamtgeschäft B2B in Amerika ein Promille oder ein halbes Prozent – ist eine Hausnummer. Und man darf nicht vergessen, wie viele Unternehmen weniger in der Kasse haben werden. Daher ist das schon ein Game-Changer, ganz klar.
warenausgang.com: Also B2B E-Commerce: Es ist durchaus etwas möglich, auch hier in Deutschland, aber die Unternehmen müssen so langsam auf jeden Fall anfangen, sich zu bewegen. Wir haben vorhin festgestellt: So richtig Fahrt aufgenommen hat das Thema tatsächlich noch nicht. Martin, vielen Dank für das Gespräch, für deine Insights und deine Teilnahme am Premierenpodcast von warenausgang.com.