Lake Forest, Illinois. Am 19.07.2016 veröffentlichte Grainger seinen Quartalsbericht des zweiten Quartals 2016. Grund genug, das Unternehmen auf warenausgang.com einmal genauer zu beleuchten. Schließlich ist Grainger einer der ernstzunehmenden Player im B2B E-Commerce Markt – in Europa aber noch weitestgehend unbekannt. Die digitalen Fähigkeiten von Grainger unterstreicht nicht zuletzt die Auszeichnung als “B2B E-Commerce Player Of The Year” durch das renommierte Magazin Internet Retailer im vergangenen Jahr. IR rankte Grainger im Jahr 2015 zudem auf Platz 13 der Top 500 Internet Retailer der USA. Das Ranking basiert rein auf Onlineumsatz.
Grainger – unspektakuläres Geschäftsmodell, spektakuläre Profitabilität
Das Unternehmen W.W. Grainger Inc. ist ein börsennotiertes Fortune 500 Unternehmen aus den USA. Das Kerngeschäft des Vollsortimenters ist der Handel mit Produkten aus dem MRO-Bereich, also Industriebedarf für Wartung, Instandsetzung und Betrieb. Im letzten Geschäftsjahr erwirtschaftete der Grainger-Konzern knapp 10 Milliarden US-Dollar Umsatz, bei einer EBIT-Marge von ca. 12,5%. Nicht schlecht für einen Händler in einem Markt, in dem sonst 5-7% EBIT als gute Performance gelten. Die positive Entwicklung des Unternehmens spiegelt auch der Aktienkurs wieder. In den vergangenen fünf Jahren stieg er von ca. 150 US-Dollar auf aktuell ca. 220 US-Dollar an, was einem Plus von fast 47% entspricht.

Grainger kommt ursprünglich aus dem klassischen Direktvertrieb. Früher war die Basis der Katalog, den Grainger in großer Auflage überall in den USA verteilte. Über die Jahre hatte sich das Geschäftsmodell in das eines klassischen Direktvertriebs gewandelt. Grainger besitzt heute in den USA 300 Niederlassungen (Stand: 30.06.2016). Weltweit kommt der Konzern auf 635 stationäre Geschäfte. In den USA werden zudem 19 Distributionszentren betrieben, um den Flächenmarkt bestmöglich abdecken zu können. Insgesamt betriebt Grainger weltweit 34 Distributionszentren. Neben den Niederlassungen sind bei Grainger in den USA ca. 3000 Außendienstmitarbeiter angestellt.
In den USA bedient Grainger ca. zwei Millionen Kunden, Weltweit sind es über drei Millionen. Dabei ist Grainger so aufgestellt, dass es vom Zwei-Mann-Betrieb bis zum globalen Technologiekonzern alle Unternehmensgrößen bedienen kann. Das lagerhaltige Sortiment Graingers umfasst ca. 1,5 Millionen Artikel. Inklusive der Streckenartikel kommt Grainger auf ein beachtliches Sortiment von 4 Millionen Artikeln.

Bei US-amerikanischen Unternehmen ist es immer besonders spannend, auf den “Way Of Doing Business” zu achten. Hier besticht Grainger durch eine sehr hohe Prozessorientierung und der offensichtlichen Orientierung an und Entscheidungsfindung auf Basis von Zahlen. So schließt Grainger beispielsweise im zweiten Quartal 2016 27 Niederlassungen in den USA bei einer Neueröffnung. Grainger hatte schon zuvor die Schließung von 55 Niederlassungen in 2016 als Anpassung des Niederlassungsnetzwerkes angekündigt.
Als weitere Reaktion auf die Konjunkturentwicklung und sinkende Profite in 2015 strich Grainger zudem im letzten Jahr 200 Managementpositionen in den USA, teilweise in den Niederlassungen, aber auch im Headquarter in Illinois. Schaut man sich das Management-Team des Unternehmens an, erkennt man, dass mit D.G. Macpherson ein ex-Boston Consulting Group Partner der Chief Operating Officer des Unternehmens ist. An der Schnittstelle zwischen Strategie und Tagesgeschäft hat man also einen Mann installiert, dessen ehemalige Zunft dafür bekannt ist, nicht besonders menschenfreundlich, sondern sehr hart am Business orientiert zu entscheiden.
Grainger CEO Jim Ryan Anfang 2016
Grainger schwingt sich auf zum weltweiten, digitalen B2B Handelsgiganten
Hier kommt die Grainger-Story an eine Weggabelung. Bis hierhin zeichnet sich das Bild eines 1927 gegründeten B2B Handelsunternehmens, das langsam aber sicher unter großen Druck gerät und sich nicht zu helfen weiß, außer Kosten zu reduzieren. Doch damit wäre die falsche Grainger-Story erzählt. Denn die Aktivitäten im digitalen Bereich sind die positive Kehrseite der Grainger-Medallie. Denn was wie die kurzfristige Optimierung des Profits zugunsten der Shareholder aussieht, ist bei genauerer Betrachtung weitaus mehr.
Schon seit Jahren investiert Grainger massiv in den Ausbau seiner E-Commerce Aktivitäten. So hat das Unternehmen zum Beispiel in den letzten Jahren einen neuen Hub in Downtown Chicago geschaffen, an dem es die digitalen Teams konzentriert. So wurden in einem überschaubaren Zeitraum nicht nur das bestehende Team aus Lake Forest nach Süden umgezogen, sondern der Bereich insgesamt auf 300 Mitarbeiter aufgestockt. Von diesen 300 Mitarbeitern kümmern sich allein 80 bis 90 um die Optimierung der User Experience.
Andere, vergleichbare Unternehmen in Europa und den USA beschäftigen nicht einmal halb so viele Personen in Ihrem gesamten E-Commerce Bereich. Dass eine Präsentation von Geoffrey Robertson, VP of Global eCommerce and Innovation, beim letztjährigen Internet Retail Congress den Titel “Want to Succeed in Mobile? Hire ‘Downtown'” trug, ist eine vielsagende und schöne Randnotiz. Sowohl die Entwicklung als auch der Betrieb der eigenen Digitalkanäle läuft bei Grainger inhouse.
Grainger ist der Benchmark für B2B E-Commerce User Experience auf allen Kanälen
Zudem legt das Unternehmen mittlerweile einen sehr großen Fokus auf mobile Endgeräte, die sich in den USA noch stärker in den Alltag im B2B integriert haben als in Europa. So kann die Grainger-App aufgrund folgender Funktionalitäten bedenkenlos als Benchmark im B2B E-Commerce bezeichnet werden:
- Chatfunktion
- Barcodescanner
- Location-Based Lists, die Produkte anhand des Standorts empfehlen
- Genehmigungsworkflows zur Freigabe von Bestellungen
- Funktionalitäten zum Bestandsmanagement
Darüber hinaus fällt auf, dass die Grainger-App nur für iOS oder Android Nutzer zur Verfügung steht. Auch hier wieder ein Beweis dafür, dass Grainger zugunsten der Effizienz darauf verzichtet, die App auch noch für die letzten Windows-Phone (Marktanteil USA ca 2%, Stand April 16) oder Blackberry-Nutzer (Marktanteil USA ca. 1%, Stand April 16) auf neustem Stand zu halten. Das Unternehmen weiß also, was es tut. Zudem launchte es bereits vor drei Jahren die Marketing-Kampagne “Mobile Heroes”:
Auch im Desktop-Bereich ist Grainger sehr fortgeschritten. Der Online-Shop funktioniert tadellos schnell, für angemeldete Kunden stehen alle nur denkbaren B2B Funktionen eines Online-Shops zur Verfügung. Selbst die in E-Commerce Projekten bei B2B Händlern oft nur mit größten Schmerzen zu schaffende Online-Neukundenregistrierung funktioniert bei Grainger schnell, einfach und tadellos. Eine Vielzahl weiterer digitaler Services sind ebenfalls nahtlos in den Onlineshop integriert Somit setzt Grainger Massstäbe in der B2B E-Commerce User Experience.
Auf Marktplätzen wie Amazon oder eBay sucht man Grainger hingegen vergebens. Für ein Unternehmen dieser Größe mit hohem Fremdmarkenanteil wäre das wahrscheinlich auch eine unkluge Entscheidung, denn Dank der Fokussierung auf digitale Vertriebskanäle und E-Commerce konnte Grainger den Umsatzanteil, der über E-Commerce generiert wird, von 40% im ersten Halbjahr 2015 um sechs Prozentpunkte auf 46% im ersten Halbjahr 2016 steigern. Das entspricht in absoluten Zahlen ungefähr 3,68 Milliarden US-Dollar Umsatz. Diese Zahlen wirken noch beeindruckender, wenn man bedenkt, dass Grainger im Vergleichszeitraum über 2% Umsatz in den USA verloren hat. Grainger schließt in seinem Quartalsbericht 2/2016 daraus, dass man somit unterstreicht, wie man seinen Kunden helfe, ihre präferierten Kanäle zu nutzen.
Zum Vergleich: bei Wettbewerbern wie der Würth-Gruppe waren es im Vergleich im November 2015 lediglich 13% E-Commerce Umsatzanteil in Deutschland. Somit wird deutlich, dass Grainger seinen Umsatz auf jeden Fall kostengünstiger und effizienter generiert, als einer seiner größten europäischen Wettbewerber, dessen Onlineumsatzanteil in den USA mangels Ressourcen noch unter dem in Deutschland liegen dürfte.
Man kann über Grainger getrost sagen, dass sie grundsätzlich ein traditioneller Händler sind. Zudem muss man an dieser Stelle anerkennen, dass Grainger auch ein Beweis für die Multichannel-Thesen des Instituts für Handelsforschung aus Köln sind.
Die digitalen Initiativen greifen
Neben dem Kerngeschäft, das unter dem Label Grainger in den USA läuft, hat sich das Unternehmen in den letzten Jahren noch ein weiteres Standbein aufgebaut, das im Grainger Fact Book ganz ungalant mit einigen Akquisitionen zu “Other Businesses” zusammengefasst wird. Mit MonotaRo und Zoro betreibt Grainger seit ein paar Jahren rein digitale Geschäftsmodelle. MonotaRo wurde im Jahr 2000 als Joint Venture im japanischen Markt gegründet. Mittlerweile ist Grainger der Mehrheitseigner. MonotaRo legt mittlerweile beeindruckende Zahlen auf:
- 3 Millionen Produkte im Sortiment, ca. 30% Eigenmarkenanteil
- Über 1000 Lieferanten
- Zwei Distributionszentren mit über 36.000 Quadratmeter Fläche
- Wiederbestellrate von 80%
- 1 Million Kunden
- Versand von Japan aus in 32 Länder Asiens und Ozeaniens

Zoro wurde 2011 von Grainger als Pure Player in Ergänzung zum bestehenden Business in den USA gegründet, inzwischen existiert auch ein Shop für Kanada. Dabei greift das neue Digital Business von Grainger auf dessen Infrastruktur, insbesondere das Sortiment und die Logistik zurück. Da Grainger seine Prozesse über die Jahre sowieso für die Erfüllung der Anforderungen aus dem E-Commerce optimiert hat, ist dies für Zoro eine optimale Ausgangsbedingung. Selbst als 2014 mit Zoro Tools Europe in Düsseldorf der Hub für die europäische Markterschließung eröffnet wurde und in Europa ein Großteil der Produkte nicht lagerhaltig war, konnte man viele Artikel binnen 48h aus den USA per UPS Luftfracht einfliegen und war somit teilweise immer noch schneller, als der sich im analogen Tiefschlaf befindliche Groß- und Fachhandel.
In Europa ist Zoro als Graingers Vorstoß zur Erschließung des gesamten Kontinents zu sehen. Flankierend, aber nicht unbedingt verbunden mit dem Pure Play Geschäft, wurden in den Jahren 2011 und 2015 mit Fabory ein Industriedistributor in BeNeLux, sowie ein Werkzeugdistributor in UK akquiriert. Zoro soll in Europa aber auf eigenen Füßen stehen können. Das unterstreicht die angewachsene Mitarbeiterzahl, lt. XING arbeiten im Juli 2016 knapp 30 Mitarbeiter bei Zoro, die tatsächliche Mitarbeiteranzahl dürfte aber deutlich höher liegen. Zudem fällt auf, dass der US-Auftritt von Zoro inklusive putzigem Fuchs als Maskottchen deutlich verspielter wirkt, als der nüchterne europäische Auftritt. Auch technologisch haben die beiden Shops in den USA und Europa nichts miteinander gemein. Während die USA auf NetSuite als Basis setzt, betreibt Zoro Tools Europe einen Magento-Shop.

Die Wahl zum Markteinstieg fiel nicht zufällig auf Deutschland. Mitunter gilt der deutsche MRO- und Werkzeugmarkt als der Wettbewerbsintensivste. Wer hier besteht, besteht auch in Nord-, Süd- und Osteuropa. Außerdem liegt die Bundesrepublik als Logistik-Hub extrem günstig in der Mitte des Kontinents. Auch Düsseldorf dürfte kein Zufall gewesen sein, hatten doch die japanischen Kollegen von MonotaRo bei der Gründung schwer ihre Finger im Spiel. Düsseldorf ist mit seiner großen japanischen Community ein wichtiges Wirtschaftszentrum für Japaner in Europa. Als Geschäftsführer der europäischen Organisation fungieren:
- Dirk Kiele-Dunsche, ehemaliger Würth- und Daimler-Manager
- Yugo Kanazawa, Mann der ersten Stunde bei MonotaRo
- David Lee Rawlinson II, President Online Business bei Grainger
Somit besitzt Zoro ein Management-Team, dass die Erfahrungen und das Wissen der Modelle Grainger, Zoro und MonotaRo verbindet. Eine Kombination, die im B2B E-Commerce global nur sehr schwer wiederzufinden ist. Und sie scheint zu funktionieren: dem Quartalsbericht 2/2016 zufolge konnte das “Single Channel Online Business”, also MonotaRo und Zoro, seinen Umsatz im zweiten Quartal 2016 gegenüber Q2/2015 um 34 Prozent steigern. Somit kann man also sagen, dass Grainger auch eine Bestätigung für diejenigen hat, die dem Pure Play E-Commerce eine rosige Zukunft voraussagen.
Fazit: Grainger ist das B2B E-Commerce Vorzeigeunternehmen
Zu diesem Fazit zu kommen ist leicht, vielleicht sogar zu leicht. Daher möchte ich zum Abschluss nochmals kurz in Erinnerung rufen, dass wir eingangs die dunklen Seiten von Grainger beleuchtet haben: massiver Stellenabbau sowie stagnierende bzw. sinkende Umsätze und Gewinne. Auch Grainger hat viele Baustellen im Unternehmen.
Schauen wir uns aber explizit die Entwicklung im E-Commerce an, bleibt einem tatsächlich nichts anderes übrig, als Grainger den Spitzenplatz under den B2B E-Commerce Unternehmen einzuräumen. Dafür sprechen folgende Gründe:
- Konsequenter Ausbau digitaler Kanäle
- Investition in eigene Kapazitäten und in E-Commerce als Kernkompetenz des Unternehmens
- Mehrwerte für Kunden durch große Anzahl digitaler Services
- “Disruption” bzw. Flankierung des bestehenden Geschäftsmodells durch neue digitale Initiativen
- Erschließung des asiatischen, digitalen MRO-Marktes
- Hohe Kompetenz in der Umsetzung der Maßnahmen
- Sehr hohe Digitalkompetenz in den Entscheidungs- bzw. Managementebenen
- Hohe Fokussierung auf Prozesse vereinfacht das Abbilden der anspruchsvollen Prozesse der digitalen Welt
- Großes Ambitionslevel der Digitalprojekte (Erschließung Europas, Asiens, etc.)
Zum Schluss kommt eine weitere, wichtige Fähigkeit hinzu: Die hohe Kundenzentrierung, egal ob bei kleinen, mittleren oder großen Kunden. So gab Grainger in seinem Quartalsreport bekannt, in den USA 275 Innendienstmitarbeiter zur telefonischen Betreuung der mittelgroßen Kunden aufgebaut zu haben. Dank aller dieser Faktoren wird Grainger kurz- und mittelfristig auf jeden Fall in der Lage sein mit Amazon Business, und eBay Business Supply in einem globalen Kontext mithalten zu können.
Den Link zu allen offiziellen Informationen des Quartalsberichtes von Grainger gibt es hier. Zu empfehlen ist auch das Grainger Fact Book.
Hallo Lennart,
vielen Dank für diesen sehr guten Artikel! Insbesondere die Kundenorientierung und Cross-Channel-Ausrichtung bei Grainger finde ich erwähnenswert: Wenn man sich die Videos zum Launch des neuen Webshops 2013 (!) anschaut (https://www.youtube.com/watch?v=x1dzZEGhYS0) so lässt sich der Inhalt in etwa mit “Order our way (…) wherever, whenever and however” zusammenfassen. Wohlgemerkt: 2013! In B2B! Ebenfalls wird konsequent darauf hingewiesen, dass der Onlineshop in allererster Linie ein Hilfsmittel für den Kunden ist – und eben kein Selbstzweck. Sicherlich nicht die verkehrteste Herangehensweise …
Viele Grüße
Jens
Hi Jens,
ja, absolut! Grainger ist echt ganz weit vorne dabei, was E-Commerce Lösungen und deren Vermarktung angeht. Die “Mobile Hero” Kampagne ist ebenfalls schon drei Jahre alt. Die Erfahrung, die man in der Zeit mit den eigenen Lösungen im Feld gemacht hat, ist unbezahlbar. Mehr noch als aus den Erfahrungen vergangener Tage wird Grainger aber von der Herangehensweise profitieren: nicht zaudern und zögern oder den bestehenden Vertriebskanälen das Feld überlassen und auf selbstregulatorische Prozesse hoffen. Maßnahmen auf den Kunden ausrichten und das Ambitionslevel hoch halten. Da muss man auch kein Milliardenkonzern sein, da geht es um Unternehmertum und Attitüde. Ich kann jedem nur raten, Grainger genau im Auge zu behalten, von denen kann man sehr viel lernen.