Framingham, 19. August 2016. Diese Woche am Mittwoch, 17.08., veröffentlichte Staples in den USA seine Zahlen des 2. Quartals. Staples Interims-CEO Shira Goodman, die den Posten nach der gescheiterten Übernahme des Konkurrenten Office Depot von Ron Sargent übernahm, blieb dabei nichts anderes übrig, als den 15. Umsatzrückgang in Folge zu verkünden. Der Umsatz von Staples im 2. Quartal 2016 sank auf 4,8 Milliarden US-Dollar, ein Verlust von 4% im Vergleich zur Vorjahresperiode.
Die Börse reagierte daraufhin wenig überrascht. In zwei Stufen verlor die Staples-Aktie vom Handelsschluss am Dienstag (9,33 US-Dollar) bis zur Handelseröffnung am Donnerstag (8,30 US-Dollar) ziemlich genau 11% ihres Wertes. Seit ihrem “Weihnachtshoch” vom 26. Dezember 2014 (17,98 US-Dollar) hat die Aktie somit über 50% an Wert eingebüßt. Ein Albtraum für die Anleger.
B2B Online rettet Staples den Hintern
Der Bereich “North American Commercial”, kurz NAC, durch den Staples sein B2B Geschäft abwickelt, blieb dabei mit -0,2% aber relativ stabil. Allein 1% verlor Staples hier durch den Verkauf seines “Staples Print Solution” Geschäfts im Vorjahresvergleich. Besonders interessant ist diese Zahl, wenn man bedenkt, dass im Geschäftsbereich NAC ca. 80% der B2B-Umsätze digital abgewickelt werden, und nur 20% über Verkäufer und Niederlassungen. Das Balance-Sheet spiegelt dies auch im Ergebnis wieder: das Operating Income NAC stieg von 138 Millionen US-Dollar auf 146 Millionen US-Dollar an, vor allem dank niedrigerer Lohnkosten.
“I’d like to thank the entire Staples team for remaining focused and delivering results that were right inline with our expectations during a quarter that included the launch of a new strategic plan and a change in leadership,” said Shira Goodman, Staples’ interim Chief Executive Officer. “We are dramatically changing our mindset and operating model as we execute our 20/20 strategy and reposition Staples for sustainable long-term sales and earnings growth.”
Das Ergebnis hatte man bei Staples also kaum besser erwartet. Wie der Strategiewechsel aussehen soll, lässt sich aus den Quartalszahlen und der jüngsten Vergangenheit ebenfalls erahnen. In diesem Jahr wurden bereits 19 Niederlassungen in den USA geschlossen, mindestens 50 sollen es bis Jahresende sein (2015: 225 geschlossene Staples Stores). In den nächsten drei Jahren sollen dann nochmals 200 Niederlassungen geschlossen werden, deren Leasingverträge auslaufen. Goodman will sich also von der tausend Tonnen schweren Last des Betons trennen – zum Wohle des Wachstums und des Betriebsergebnisses.
In den USA hängt niemand an seinem Betongold
Das Freimachen von der Last, wie es gerade bei Staples passiert, ist in den USA im B2B kein Einzelfall. Der MRO-Gigant Grainger (Grainger Inc: globaler Herausforderer von Amazon Business & Co.) gab unlängst bekannt, 2016 55 seiner 300 Niederlassungen in den USA dicht zu machen. 2015 hatte Grainger sich bereits von 49 Niederlassungen getrennt. Selbst Fastenal, ebenfalls ein Unternehmen aus dem MRO- und C-Teile-Bereich, hat 2016 immerhin schon 17 Niederlassungen geschlossen. Der Umsatz in den 2.605 (zum Teil sehr kleinen) Niederlassungen in ganz USA ist dabei ebenfalls rückläufig.
Nimmt man also allein diese drei Unternehmen zusammen, so stellt man fest, das sie in den Jahren 2015 und 2016 am Ende insgesamt mindestens 396 Niederlassungen geschlossen haben werden. Bei allen drei scheint dabei die Richtung klar zu sein: keinen Cent mehr verschwenden mit Immobilien, die die Kunden anscheinend nicht mehr brauchen. Sucht man nach weiteren Beispielen, wird man schnell fündig. In den USA scheint die Zeit im B2B reif zu sein, die Brick-and-Mortar-Legacy abzustreifen und die Geschäftsmodelle über digitale Kanäle zu profitablem Wachstum zu führen.
Und während die Harvard Business Review 2014 noch berichtete: “E-Commerce Is Not Eating Retail”, twitterte am 18.08. der Blog “FiveThirtyEight” eine interessante Statistik, die aufzeigt wie Amazon in den USA die Departmentstores imB2C auffrisst:
In Deutschland zeichnet sich ein gegenläufiges Bild
2012 titelte das E-Commerce-Magazin: “Multichannel-Vertrieb: B2B lernt von B2C.” Die Titelstory zielt auf einen Beitrag des ECC ab, in dem die Zunahme der Wichtigkeit von Multichannel im B2B beschrieben wird. Vier Jahre später hat das ECC um Dr. Kai Hudetz seine Thesen erhärtet. Aus den Ergebnissen der “ECC-Cross-Channel-Studie B2B 2016” folgert das ECC, das Cross-Channel-Beschaffung dominiert. Eine Schlussfolgerung, die ich so nicht unterschreiben würde.
Doch zieht man z.B. die Würth-Gruppe heran, findet man hierfür eine wunderbare Bestätigung. 2015 eröffnete Würth weltweit 82 zusätzliche Niederlassungen (insgesamt ca. 1.600 Niederlassungen) und stellte 1.000 Außendienstmitarbeiter ein (insgesamt ca. 31.000). Zudem baute man den digitalen Vertrieb weiter aus. Das Konzept Multi-Kanal gehe auf, so Konzernchef Robert Friedmann im Mai diesen Jahres.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Für den Großteil der Unternehmen ist dieser Weg schlichtweg nicht finanzierbar. Kaum ein weiteres Unternehmen hat so gut gefüllte Kriegskassen wie Würth (über 4 Milliarden Euro Eigenkapital, 44,3% der Kapitalisierung) und ist zudem noch in Familienbesitz, was die Entscheidung für Maßnahmen wie den Ausbau von Brick and Mortar oftmals vereinfacht.
Digital First and Stationary Follows
Ein weiteres Beispiel dafür, dass in Deutschland heute andere Bedingungen herrschen, als in den USA, ist die Eröffnung des ersten stationären Contorion-Geschäfts. Contorion war 2014 als Digital Pure Player im B2B Werkzeughandel gestartet. Am 16.09.2016 eröffnet Contorion den ersten “Profi Store” in Berlin-Steglitz. Auf 600m² werden dort Teile des Sortiments stationär zugänglich und kaufbar gemacht.
Ist das der Anfang einer radikalen Offline-Expansionsstrategie, gar einer B2B Werkzeughandels-Multichannel-Strategie? Wohl kaum. Smart sind nicht nur die Gründer und das Team Contorions, smart ist auch der Multichannel-Ansatz, den Contorion hier testet. Ähnlich wie Amazon mit seinen Buchläden in den USA. Triebfeder des Contorion-Wachstums wird weiterhin der digitale Bereich bleiben. Spannend bleibt die Frage, was Contorion aus diesem Feldversuch lernt.
Engelbert Strauss als Vorreiter eines smarten B2B Multichannelkonzeptes
Einen ähnlichen, wenn auch weiter fortgeschrittenen Ansatz für smartes Multichannel im B2B findet man bei Engelbert Strauss, dem omnipräsenten Marktführer für Arbeitskleidung in Deutschland. Das Unternehmen kommt aus dem klassischen Kataloggeschäft und hatte bisher keine stationären Stores. Mittlerweile hat Engelbert Strauss drei Flagship-Stores in Deutschland eröffnet, der vierte in Oberhausen folgt im Oktober 2016, der fünfte in Stuttgart ist bereits in Planung. Weitere Standorte werden offensiv, auch über die eigene Website, gesucht.
Das Konzept erinnert eher an einen High Street Fashionstore oder an die Globetrotter Erlebniswelten, denn an einen muffigen Fachhandelsladen, irgendwo im Gewerbegebiet. Auf dem Parkplatz vor der Münchner Filiale tummeln sich schon morgens, kurz nach der Öffnung um 08.00 Uhr, Handwerker, Bauarbeiter und LKW-Fahrer. Mittlerweile lockt die Marke jedoch auch viele Mütter, die Ihren Kindern das Outfit der Papas, nur eben in Kindergröße, kaufen. Doch nicht nur B2B Retail hat ES seine Hausaufgaben gemacht und “Multichannel” erfolgreich neu interpretiert: sowohl 2015 als auch 2016 hat das Unternehmen den Logistik-Preis der European Logistics Association gewonnen.
Aber auch hier zeigt sich: die Skalierung über Retail-Fläche ist nicht teil der imposanten Wachstumsgeschichte von Engelbert Strauss. Die massiven Sponsoringaufwände in Fußball (u.a DFB-Pokal, Nationalmannschaft, Österreichische Bundesliga), Motorsport (u.a. Superbike) und Wintersport (u.a. Vierschanzentournee), die sicherlich zweistellige Millionensummen erreichen, zielen eher darauf ab, über den klassischen Katalog und im Internet zu bestellen.
Fazit: Codezeilen statt Quadratmeter, Außendienstfahrzeuge und Katalogseiten
Was durch die jüngsten Zahlen in den USA einmal mehr offensichtlich wird: Digital > Analog. Für Unternehmen ist dieser Trend durchaus erfreulich, wie die positive Entwicklung der Operating Income Statements zeigt. In Deutschland haben wir noch keine Verhältnisse wie in den USA, mit massenhaften Filialschließungen und massiv wegbrechenden Stationärumsätzen. Doch der Schein trügt: Es ist ein stiller Wandel, so still, dass viele ihn erst zu spät hören werden. Die meisten B2B Unternehmen sind noch zu sehr mit sich selbst im hier und jetzt beschäftigt, als dass sie heute agieren könnten.
Die Verschiebung der Aktivitäten in die Online-Kanäle ist auf beiden Seiten des großen Teiches zurecht ein überlebenswichtiger Punkt. Leider haben das die meisten Unternehmen noch nicht erkannt, was auch die neuste Mittelstands-Digitalisierungs-Studie der KfW zeigt. Heute betreiben B2B Unternehmen nach wie vor lieber viele mittelmäßige, mit durchschnittlich drehenden Sortimenten ausgestattete Filialen, optimieren Printkataloge und stellen Außendienstmitarbeiter ein. Den Ballast abzuwerfen, radikale Strategiewechsel zu vollziehen und Konzepte wie Engelbert Strauss zu verfolgen, trauen sich leider nur die wenigsten.
Was meiner Meinung nach die richtige Interpretation der Situation (und somit auch der ECC-Cross-Channel-Studie) ist: Nicht Multichannel wird immer wichtiger, sondern digitale Vertriebskanäle. Das bekomme ich täglich in der Praxis mit. Fast wöchentlich berichten mir Geschäftsführer, Vertriebsleiter und Inhaber von B2B Handels- und Herstellerunternehmen, dass ihr Kataloggeschäft rückläufig sei, sich das ganze immer unrentabler gestalte und man die Kapazitäten der Mitarbeiter lieber auf komplexere Projekte lenken würde. Einige wenige haben den Trend nicht nur erkannt, sondern steuern bereits mit Budgetumschichtungen von analog nach digital dagegen und schaffen so freie Kapazitäten, die zielführender eingesetzt werden können.
Die “Dominanz des Multichannel im B2B” ist meiner Meinung nach eine irreführende Umschreibung dafür, digitale Kanäle auszubauen.
Super interessant!
Was macht denn Engelbert Strauss aus, also was machen die anders? Hast Du weitere Erfolgsbeispiele wie es gehen kann bzw. wie man gegen Amazon & Mercateo eine Chance hat?
Ich glaube, Haix ist noch so eines, wobei man schon sagen muss, dass die Zielgruppe hier so nahe an B2C ist, dass es schon fast nicht mehr als B2B-Beispiel zählt.
Hilti hat es auch schon vor zwei Jahren verstanden, sich kundenzentriert mit dem Thema auseinanderzusetzen: http://de.slideshare.net/Unic/ecs-2014-alexanderstampflhiltiweb
Allerdings sieht man hier die Customer Journey auch noch als linearen Prozess, diese Betrachungsweise halte ich auch für zu einfach und irreführend.
Im Endeffekt kommt es darauf an, das Unternehmen davon wegkommen, einen Kanal als führend zu definieren. Bei vielen Direktvertrieblern war das bisher “der Verkäufer”, bei Filialisten “die Filiale”. Da hat man sich dann gefragt “was hat der Verkäufer davon bzw. was hat die Filiale davon?” Diese Innensicht sorgt zwar für weitestgehend für den Unternehmensfrieden, hat aber falsche Incentivierung als Folge. Smarte Ansätze verhindern dass, in dem sie den Kunden in den Mittelpunkt stellen, nicht eigene, etablierte Kanäle.