Amazon wirft auch im B2B den großen Motor an
Nein, wenn man heute einen Artikel über Amazon schreibt, braucht man nicht damit beginnen, die aktuellsten Zahlen zu recherchieren, um zu belegen, dass im E-Commerce in Deutschland an Amazon nur sehr schwer vorbeizukommen ist. In den vergangenen Jahren hat es Amazon endgültig geschafft, sich über exzellente Services, höchste Customer-Convenience und Omnipräsenz in die Herzen der B2C-Online-Shopper zu konvertieren. Ich sehe auch keinen Grund, warum sich das in nächster Zeit ändern sollte.
Auch den (weitaus größeren und aufgrund bis dato hoher Vertriebskosten lukrativeren) B2B-Markt hat Amazon schon längst ins Visier genommen. Die vier Säulen des Aufbaus des B2B-Geschäftes von Amazon lesen sich dazu wie folgt:
- 2005: Akquisition von Smallparts.com
- 2012: Umbenennung von Smallparts.com und Beta-Launch von Amazon Supply in den USA
- 2015: Umbenennung von AmazonSupply in Amazon Business in den USA
- 2015: Beta-Launch von “Amazon Gewerbe, Industrie und Wissenschaft – BETA” in Deutschland
Prentis Wilson, VP Amazon Business in den USA, gab Anfang Mai 2016 bei in einem Interview bekannt, dass Amazon in seinem ersten Jahr als Amazon Business schon beträchtlichen Einfluss auf den Markt genommen hat.
Mittlerweile sind bei Amazon Business in den USA über 9 Millionen Artikel verfügbar. Damit dürfte klar sein, dass die Amerikaner um Jeff Bezos auf in diesem Fall mit großen Ambitionen und dem nötigen Fokus an die Sache herangehen. Während in Deutschland viele Groß- und Fachhändler noch schlafen, rollt Amazon Business aus den USA heraus (mal wieder) einen großen Markt nach dem anderen auf.
Sicherlich ist es mit “noch einer weiteren Kategorie” auf der bestehenden Amazon-Plattform nicht getan. Der großflächige, globale Einstieg in den digitalen B2B-Handel bringt auch für Amazon neue Herausforderungen in den Bereichen Logistik, Sortiment und Services mit. Am Beispiel Amazon Business aus den USA wird jedoch deutlich, dass Amazon auch hier bereits weiter denkt. Heute werden u.a. bereits angeboten:
- Gratisversand innerhalb von zwei Werktagen
- Genehmigungsworkflows für Bestellungen
- ERP-/Einkaufssystemintegration
Amazon Business ante portas
Doch was genau tut sich in Deutschland? Nach dem Beta-Launch der Kategorie “Gewerbe, Industrie und Wissenschaft” 2015 ist es wieder etwas stiller geworden, der “Big Bang” blieb seither aus. Schaut man jedoch genau hin, stellt man fest, das Amazon gerade jetzt am Aufbau seiner B2B-Plattform in Deutschland arbeitet.
Noch wirken die auf der Startseite präsentierten Kategorien etwas wahl- und zusammenhangslos. In den Unterkategorien sind mittlerweile jedoch ca. 800.000 Artikel gelistet, Tendenz steigend. Amazon verkauft ca. nur 250.000 Artikel davon direkt, der Rest kommt von Marketplace Händlern.
Auf amazon.jobs, einer der interessantesten Indikatoren zur Beobachtung von Amazons aktuellen und zukünftigen Entwicklungen, finden sich gleich zwei Executive-Stellen für Amazon Business in Deutschland. Natürlich sind Stellenanzeige in erster Linie dazu da, die Attraktivität des Arbeitgebers und der Position zu unterstreichen. In diesem konkreten Fall lassen sie jedoch, ob gewollt oder ungewollt, einen tiefen Einblick in die strategische Stoßrichtung von Amazon Business in der nächsten Zeit zu. Aus den Stellenbeschreibungen spricht der gewohnt selbstbewusste Ton:
In Nordamerika erfindet sich Amazon mit Blick aufs Geschäftskundenumfeld gerade neu und gestaltet mit „amazonbusiness“ den größten und innovativsten B2B-Marktplatz der Welt. Und jetzt rekrutieren wir die Besten ihres Fachs, um Europa in diesen Marktplatz zu integrieren.
Eine meiner häufigsten Beobachtungen in B2B-Digitalprojekten ist, dass viele schon früh an Ambitionsmagel scheitern. In Seattle und München hat man derartigen Tendenzen schon früh einen kulturellen Riegel vorgeschoben, der Fehler zulässt, mutige Entscheidungen hervorruft, gleichzeitig aber das große Ganze nicht aus den Augen verliert. Amazon möchte nicht nur am Markt teilnehmen, Amazon Business soll den digitalen B2B-Markt neu definieren. Eine Ambition, an der sich andere Projekte in diesem Bereich eine Scheibe abschneiden könnten.
Mit unseren B2B-Aktivitäten erschließen wir ein neues Marktsegment und eine neue Kundenbasis von gewaltigen Ausmaßen. Hierbei entwickeln wir speziell Lösungen, mit denen B2B-Kunden Produkte und Services aus einer riesigen Auswahl finden und kaufen können – über die verschiedensten elektronischen Geräte und über Marktplätze und Regionen hinweg.
Das ist Ihre Chance, das B2B-E-Commerce-Geschäft neu zu erfinden und Ihren Beitrag zum Wandel einer ganzen Branche zu leisten.
Amazon wird bei Amazon Business früh zwei Dinge richtig angehen. Eines davon erkennt man an der Beschreibung der Kundenstruktur in Nordamerika. Der B2B-Markt wird als Ganzes betrachtet, es wird nicht differenziert nach “Amazon Industry”, “Amazon Craftsmen” oder “Amazon Carworkshop”. Somit bleibt die Markteintrittsgeschwindigkeit entsprechend hoch. Einige traditionelle Groß- und Fachhändlern, die Generalisten sind, nehmen oft große Aufwände auf sich, um möglichst als Spezialist dazustehen. Amazon Business hingegen bekennt sich absolut als Generalist:
In Nordamerika gehören Selbstständige, Kleinunternehmen und Konzerne (und alles dazwischen) zu unseren Kunden, die entweder in hoher Taktfrequenz oder in großen Mengen einkaufen.
Ein weiterer Punkt, dem Amazon offensichtlich frühzeitig erkannt hat ist, dass B2B-Kunden eben NICHT immer mehr wie B2C-Kunden werden. Die Gemeinsamkeiten zwischen B2C- und B2B-Kunden sind insofern gleich, dass in der Regel beides Menschen sind und sie somit eine sehr geringe Toleranz für schlechte Services und bescheidene Usability haben. Das ist aber die Spitze des Eisbergs. Unter der Wasseroberfläche gehen die Bedürfnisse der beiden Cluster gewaltig auseinander. Zudem fand Forrester Research schon 2015 in einer Studie mit dem bezeichnenden Titel “Death of a B2B Salesman“ heraus, dass 93% der B2B-Einkäufer lieber über eine Website einkaufen, als über den persönlichen Kontakt. Bei Amazon ist dies auf jeden Fall schon auf dem Radar aufgetaucht:
Da unsere B2B-Kunden völlig andere Bedürfnisse als traditionelle Amazon-Kunden haben, müssen wir alles überdenken – von der Art, wie wir unsere Produkte darstellen, über unsere Preisgestaltung bis hin zur Schaffung der richtigen Einkaufserlebnisse.
Die gesuchten Profile deuten darauf hin, dass Amazon auch erkannt hat, dass man mit Digitalmarketing und Social Media wohl kaum die B2B-Kunden en masse bekommen wird, die man auch in Deutschland braucht, um kurzfristig auf 1 Milliarde Euro Umsatz zu kommen. Amazon Business ist drauf und dran, eine smarte Key Account Struktur aufzubauen, wie man sie bei den Marketplaces von Seiten des Händlermanagements kennt. Auf diese Art arbeiten große B2B-Player, wie Würth oder Staples schon lange.
- Leiter (m/w) Firmenkundenbetreuung / Enterprise Account Management
In dieser Position soll als Mitglied des europäischen B2B-Managementteams zuerst daran gearbeitet werden, die Sales-Teams in Deutschland aufzubauen. Gesucht wird “ein Impulsgeber”, der “Geschäftskunden einen völlig neuen Weg aufzeigt, Arbeitsmaterialien und Betriebsmittel einzukaufen.”. Erfahrung im Aufbau von B2B-Vertriebsteams erwünscht.
- Vertriebsleiter (m/w) Innendienst – Kleine und mittelständische Firmenkunden
Bei dieser Stelle, nicht ganz in der Beletage von Amazon angesiedelt, geht es um den Aufbau der Vertriebsinnendienstabteilung. Ist dieser bei klassischen Wettbewerbern aus der analogen Welt doch eher im Hintergrund, will Amazon aus dieser Position heraus vor allem KMUs auf die Plattform holen. Nicht aufwändig mit großer Außendienstmannschaft, sondern effizent und günstig aus dem Münchner Office heraus.
Fazit: Gekommen um zu bleiben
Spätestens 2016 sollte deutlich werden, dass Amazon Business über den Experimentierstatus hinaus ist. Amazon Business ist gekommen um zu bleiben. Allen Zweiflern, die davon ausgehen, Amazon würde Amazon Business analog dem traditionellen Amazon-Modell hochziehen, sei gesagt, dass diese Theorie schon lange zu den Akten gelegt werden muss.
Für die B2B-Händler, die Amazon Business, stellvertretend für den ganzen digitalen Wettbewerb, nach wie vor nicht als Konkurrenz sehen, da “die ja keine Ladengeschäfte haben”, ist der Zug schon lange abgefahren. Kein Geld der Welt wird sie noch retten können. Plattitüden wie “Wir haben die Fachkompetenz!”, “Wir sind vor Ort, nahe am Kunden!” und dergleichen, verlängern nicht das Leben des Geschäftsmodells, sie verzögern das Sterben.
Diejenigen unter den Händlern, die schon in ihre digitale Infrastruktur investiert haben, haben noch eine Chance. Sie besitzen aktuell noch den bestehenden Kundenzugang und die Marktpräsenz. Diese Substanz hat jedoch zunehmend eine geringere Halbwertszeit.
Tolle Analyse, Lennart. Gerade im Zusammenhang mit der Grainger-Entwicklung. Einzig fehlt mir momentan die Einschätzung, wie sehr AMZN mit 1 Mrd. Dollar B2B-Umsatz schon den Markt beeinflusst. Eine solche Summe im ersten Jahr lässt darauf schließen, dass sich viele Händler bei indirekten Gütern warm anziehen müssen.
Da Du ja auch die IfH-Zahlen kennst: Das gesamte e-Business taxieren die Kölner in Deutschland auf etwa 1 Billion Euro. Die indirekten Güter, die online in Webshops gehandelt werden, dürften dagegen bei uns gerade erst bei einem kleinen zweistelligen Mrd.-Umsatz liegen.
Ich kann mir vorstellen, dass im MRO-Bereich bzw. bei indirekten Gütern AMZN auch in Deutschland massiv Marktanteile generieren kann. Wie schätzt Du dies für Amerika und Deutschland bei den direkten Gütern ein?
Hallo Martin,
Amazon Business hat in den USA natürlich stark vom Sunsetting von Amazon Supply profitiert. So wurde das B2B Sortiment schlagartig massiv erweitert. Amazon wird auch in Deutschland dafür sorgen, dass sie online massive Marktanteile bei indirekten Gütern generieren. Ein kleiner zweistelliger Milliardenumsatz ist ja erst mal kein Mickey-Mouse-Markt, vor allem wird der Markt imo weiter wachsen.
Wenn Amazon erst mal im B2B die Kundenbeziehung owned, ist auch ein Einfluss bei direkten Gütern sehr gut vorstellbar. DIe Kundenbeziehung bekommst du über den Ausbau von AB für indirekte Güter. Die Kapazitäten wären vorhanden, um die nötigen Logistik- und Serviceprozesse aufzubauen, um auch direkte Güter abwickeln zu können (schau dir allein mal Prime Now in Berlin an). Sowohl in den USA als auch in DE. Wer es einem Unternehmen wie Klöckner zutraut, hier zukünftig eine Rolle zu spielen, der wird es auch Amazon zutrauen müssen. Gerade beim Einsatz direkten Materials kommt es ja immer mehr auf schlanke und gut funktionierende Prozesse an. Das kann Amazon ja ganz gut. Ich glaube aber, das uns das Thema nicht kurz- sondern eher mittelfristig beschäftigen wird.
Viele Grüße,
Lennart