„B2B ist das neue B2C!“, „Es heißt nicht B2B oder B2C, sondern H2H – Human to Human!“ und „B2B wird immer mehr wie B2C.“ – Aussagen wie diese werden in den vergangenen zwei Jahren in der E-Commerce Branche immer populärer. Die „Consumerization of B2B“ schreitet unaufhaltsam voran, der Onlineshop eines Schleiftechnikherstellers ist von Zalando kaum zu unterscheiden, Agenturen werben damit, dass „geile Features“ jetzt auch im B2B der letzte Schrei sind. Ist das tatsächlich die neue Realität im B2B E-Commerce?
User Experience und Usability
Gute User Experience und hervorragende Usability sind auch im B2B Erfolgstreiber und dürfen keinesfalls vernachlässigt werden. Wer digital erfolgreich sein will, der darf seine Zielgruppe nicht mit scheußlichen Frontends aus den späten Neunzigern quälen. Das Auge isst mit. Neugebaute oder erneuerte Onlineportale, Websites und Shops von B2B Unternehmen werden idealerweise von der Zielgruppe aus gedacht und stellen den Nutzer, nicht etwa die Corporate Identity Vorgaben, in den Mittelpunkt. Was trivial klingt, ist leider oft in Projekten total unterrepräsentiert.
Produktdaten und digitale Assets
„Der Katalog ist unser Hauptumsatzträger“ ist ein beliebter Satz in Managementmeetings im B2B. Sicher ist der Katalog heute noch ein wichtiges Medium und wird auch nicht von heute auf morgen aussterben. Die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Produktdaten halten, pflegen und managen, muss sich jedoch drastisch ändern. Die Fokussierung auf das Medium Katalog allein ist heute zu eindimensional. Die digitalen Assets, z.B. Kategoriestrukturen, Texte, Attribute, Bilder, müssen zentral und medienneutral aufbereitet werden. Redundante Datenhaltung ist ein Produktivitätskiller und führt letztendlich stärker zu Fehlern und überschaubarer User Experience in den digitalen Kanälen. So werden z.B. Such- und Filterfunktionen in Shops erst dann richtig mächtig, wenn sie mit gut strukturierten und aufbereiteten Daten gefüttert werden.
Prozesse
Heute kann ich einem Kunden nur schwer erklären, warum z.B. Amazon den Großteil seiner Produkte innerhalb von 24h liefern kann, mein B2B Handelsunternehmen aber drei Werktage braucht, um einen Lagerartikel von A nach B zu schicken. Prozesse im B2B sind in der Regel komplexer als im B2C. Mit Prozessen aus der analogen Welt ist ein B2B-Unternehmen im digitalen Wettbewerb heute nicht mehr konkurrenzfähig. Egal ob in der Logistik, der Buchhaltung, dem Einkauf oder der Retourenabwicklung, die Prozessgeschwindigkeit und –qualität vergangener Tage muss in den meisten Bereichen erhöht werden, wenn sich digitaler Erfolg einstellen soll. Ein anderes Beispiel hierfür sind kundenindividuelle Preise und Verfügbarkeiten. Ohne den Kunden, zumindest nach Login, diese live verfügbar zu machen, geht das Unternehmen bewusst einen Nachteil ein und wälzt den Aufwand der Informationsbeschaffung auf den Kunden ab.
Schnittstellen
Die Professionalisierung von Einkaufsabteilungen, von KMU bis Großkonzernen, prägt das Bild in der B2B-Beschaffung seit Jahren. Egal ob EDI, OCI oder sonstige Formate, B2B Kunden wollen verstärkt aus ihren eigenen Systemen heraus bestellen. Die wollen vollständiger Eigentümer ihres Beschaffungsprozesses sein. Heute eine B2B Webplattform zu bauen, ohne den Kunden eine Lösung für EDI- und OCI Anbindungen mit anzubieten ist in den meisten Branchen aussichtslos. Über moderne E-Commerce Plattformen lassen sich Systemanbindungen von Key Accounts wesentlich effizienter realisieren und besser skalieren als zuvor, als jede Schnittstelle einem kleinen IT-Projekt gleichkam. Die Flexibilität von Schnittstellen zu B2B Marktplätzen wird in Zukunft ebenfalls eine entscheidende Rolle im B2B E-Commerce spielen.
Kundenservice
Welcher der beiden Sätze ist eher Customer Excellence Award-verdächtig: „Wir sind erreichbar werktags von 9-17 Uhr unter 0800 12345678“ oder „Kundenfragen werden bei uns über verschiedene Kanäle hinweg 24/7 bearbeitet“? Das Potenzial digitaler Kanäle, den Kundenservice auf ein neues Level zu heben, ist riesig. Nicht nur Neukunden, auch Bestandskunden, die sich seither immer brav an die „Öffnungszeiten“ des Innendienstes gehalten haben, freuen sich über digitale Zugänge zum Customer Service. Website-Chats, Whatsapp-Chats, Kundenbetreuung über Social Media – dies sind nur drei Beispiele, die den Unternehmen neue Möglichkeiten des aktiven Kundenservices ermöglichen. Darüber hinaus sind sie effizienter als Hotlines oder E-Mails. Der aktuelle Trend zu Chatbots wird diesen Themen einen weiteren Boost geben. B2B Unternehmen, die ihren Kunden im digitalen Zeitalter exzellente Services bieten wollen, werden auf diese Tools zurückgreifen. „Service bieten“ reicht zukünftig nicht mehr aus, es geht darum, keinen Service mehr zu verhindern.
Zum empfehlen ist hierzu auch die im Juli 2016 erschienene Studie von iAdvice und dem ECC.
Marketing
Es ist faszinierend, wie viel Aufwand von Unternehmen im Marketing unternommen wird, um im Gespräch bei den Kunden zu bleiben. Der Marketing-Mix ist in vielen Branchen über die Jahre jedoch sehr stabil geblieben. Zwar sind neue, digitale Kanäle hinzugekommen, diese werden aber stiefmütterlich behandelt. Ein gutes Beispiel hierfür sind Newsletter. Kunden werden nicht aktiv dafür angeworben, die Inhalte sind meist stark redaktionell und beim Erscheinen schon veraltet. Dort, wo Personalisierung nicht genutzt wird, wird enormes Potenzial verschleudert. Dabei sind z.B. Direktvertriebsunternehmen in der analogen Welt wahre Meister der Personalisierung. Der Außendienstmitarbeiter weiß in der Regel, was seine 150 oder 200 Kunden aktuell interessiert und spricht sie individuell an. Die Basis für gutes Marketing im digitalen Zeitalter ist die Logik Daten sammeln – Daten halten – Daten nutzen.
Fazit
Aus allen erwähnten Erkenntnissen die Schlussfolgerung B2B E-Commerce = B2C E-Commerce zu ziehen, halte ich für nach wie vor für falsch.
Aus meiner operativen und beraterischen Erfahrung der letzten Jahre habe ich eines definitiv festgestellt: Im B2B und B2C E-Commerce lohnt es sich definitv, die Unterschiede zu betrachten nicht die Gemeinsamkeiten. Oder wie es der Gesprächspartner eines B2B Elektrotechnikherstellers Anfang des Jahres ausdrückte: „Vom hübsch sein allein haben wir nichts, wir wollen, dass die Kasse klingelt!“. Die Gründe für diese Betrachtungsweise sind vielschichtig, lassen sich aber mit den folgenden Punkten gut zusammenfassen:
- Prozesse im B2B sind viel komplexer als im B2C, je größer die Kunden, desto höher die Anforderungen.
- Ein Großteil der Beschaffung im B2B ist Wiederbeschaffung. Kunden wissen, was Sie wollen.
- Der Initiator und der Ausführende einer Bestellung sind oftmals unterschiedliche Personen.
- Impulskäufe, Inspiration und Verführung sind im B2B E-Commerce wesentlich schwieriger. Prozessoptimierung und Aufwandsreduzierung stehen im Vordergrund.
B2B Unternehmen können sich aber eines von B2C Unternehmen abschauen: mit der Innensicht kommt man heute in der digitalen Welt nicht weit. Man muss sich den Markt, die Kunden, Zielgruppen und Potenziale anschauen. Erst dann kann man sich ein gutes Bild davon zeichnen, wie diese erschlossen werden können. Amazon’s Vision z.B. ist, „the most customer-centric company of the world“ zu werden. Man kann von Amazon halten, was man will, sich davon eine Scheibe abzuschneiden schadet jedoch keinem Unternehmen.
Interessant!
Gegenthese: Die meisten B2B Unternehmen sind immer noch so weit weg von den Basics (Daten sammeln, analysieren, nutzen, personalisierte Ansprache,… allen Punkten, die du beschreibst), sodass es einfacher ist, ein B2B Unternehmen von Digitalstrategien zu ueberzeugen, wenn man argumentiert mit “du musst das wie Amazon machen”, als wenn man die Unterschiede von B2C un B2B beschreibt – dann naemlich hat der Unternehmer die “Entschuldigung”, dass ja “im B2B eh alles anders ist” und der ganze Digital-Quatsch gar nicht so wichtig ist…
p.s.: Gruss an Alex G., falls du ihn siehst 😉
Hi Maik,
den Gruß richte ich natürlich aus 😉
Deine Gegenthese ist nicht von der Hand zu weisen. Eine Analogie dazu: wenn ich einem Kreisligafußballer sage, er solle einfach alles so machen wie Cristiano Ronaldo, dann findet er das zwar in der Regel total super, es wird ihm leider auf dem Platz auch nicht helfen. Ist es einfacher, so Digitalstrategien zu verkaufen? Ich weiß nicht, viele der Entscheider, mit denen ich mich unterhalte, sind nicht so unbedarft. Trotzdem scheitern viele an den Basics, vollkommen richtig. Wenn dann noch dazu kommt, dass den falschen Vorbildern nachgehangen wird (“geile Frontend-Features”), kommt am Schluss keine Digitalstrategie raus, sondern ein schöner Onlineshop, über den maximal Orders aus anderen Kanälen substituiert werden.
Auf jeden Fall vielen Dank für den First-Ever-Kommentar auf warenausgang.com. Wenn wir uns mal begegnen, geb’ ich gerne einen aus.
Hi Lennart,
danke für den sehr guten Beitrag. Viele Deiner Thesen und Erfahrungen kann ich aus eigenen Gesprächen und Projekten im B2B-Umfeld nur bestätigen. Ein zentraler Knackpunkt ist aus meiner Sicht, dass immer noch kopflos in IT investiert wird, und die Nutzer von B2B-Plattformen, -Shops & Co. (Kunden, aber auch Vertriebler) schnell aus dem Blick verloren werden. Kundenzentrierung steht zwar in vielen Strategiepapieren, in der Planungs- und Umsetzungsphase wird der Fokus aber oft zu schnell aufgegeben.
Wir sehen uns ja gleich in Köln, dann können wir weiterdiskutieren!
Gruß, Sabrina
Hi Sabrina,
oft hat es den Anschein, dass sich die Innensicht in Projekten über deren Verlauf durchsetzt. Das sieht man in vielen Endprodukten. Die sind dann vielleicht Frontendseitig sogar noch “schön”, bieten aber trotz nicht unbedeutender Investments kaum Mehrwert für den Kunden. Heute war der “Dübelfinder” ein gutes Beispiel. Ich kenne einige B2B Companies, für die derartige Konfiguratoren vor allem von eigenen Mitarbeitern genutzt werden, obwohl diese klar für den Kunden gemacht wurden. Das ist dann auch kopflos investiert.
Schöne Grüße,
Lennart
>>> Kundenzentrierung steht zwar in vielen Strategiepapieren, in der Planungs- und Umsetzungsphase wird der Fokus aber oft zu schnell aufgegeben.
100% Zustimmung!
Eine gute Frage ist allerdings, wie man “Kundenzentrierung” tatsaechlich realisiert, auch wenn es Prioritaet hat.
Im B2C Umfeld setzt sich ja immer mehr durch, dass “market testing” (lading page und “pre-sales” Registrierung oder sowas) das neue market research ist.
Im B2B Umfeld ist sowas ja schwieriger; hat hier die gute alte Fokus-Group ihre Relevanz erhalten?
Oben quasi im Nebensatz erwähnt, zeigt allein schon das Preisthema einen deutlichen Unterschied zwischen B2B und B2C. Google schaut nicht hinter den Login, die Preistransparenz ist daher bei vielen Produkten schwer möglich, und dann kommen Beschränkungen beim Buying dazu (Berechtigungen, open/managed accounts etc.). Hinter dieser Argumentation verstecken sich manche Internet-Verächter im B2B, aber sie ist ja auch nicht von der Hand zu weisen.
Google selbst ist in vielen Kategorien nicht wirklich hilfreich, weil man nicht zwischen B2B-Suche und B2C-Suche unterscheiden kann. Wenn im Bereich Gastronomie ein Restaurantbesitzer “Töpfe” sucht, dann möchte der Gastro-Shop den Klick natürlich gewinnen. Aber er kann nicht auf das reine Keyword “Töpfe” oder “Töpfe günstig” oder auch “Töpfe Restaurantqualität” bieten, ohne einen hohen Teil von B2C-Klicks mitzukaufen – grauenhaft für die KUR. Wenn er aber nur hart qualifizierende Keywords mit einbaut, schneidet der Händler sich einen großen Anteil von B2B-Suchen weg. Hier hat Google vor ein paar Jahren mit dem abrupten Ende von “Google Shopping for Supplies” m.E. eine für B2B falsche Entscheidung vorgenommen. Klar suchen B2B- und B2C-Kunden gleich, aber für Googles Werbekunden ist es problematisch, und das bremst dann auch den Search-Motor. Klar – da gehen immer noch viele Millionen an Spendings rein, schließlich kaufen viele B2B-Kunden eindeutige B2B-Produkte. Aber es geht auch eine Menge verloren. Deshalb kommen ja Amazon und eBay mit speziellen Business-Konzepten.
In meinen Gesprächen mit den B2B-Händlern sind die Preis-Thematik, die Search-Frage und die Produktdaten die größten Hürden. Und deshalb hast Du völlig recht: Ein hübscher Shop ohne ein echtes Geschäftsmodell für B2B-Digital-Commerce dahinter ist sinnlos.
Hallo Martin,
vielen Dank für deine ausführliche Anmerkung. Deine Beschreibung der Internet-Verächter und deren Argumentation hinsichtlich der Preistransparenz ist sehr treffend. Google schaut zwar nicht hinter Logins, gerade aber bei Markenprodukten ist das auch irrelevant – dort entsteht Preistransparenz auf den Marktplätzen oder durch Pure Player.
Mit Google und B2B ist es so eine Sache. Ich habe in meiner operativen Tätigkeit bei betriebsausstatter24/Hahn+Kolb nicht das Gefühl gehabt, dass Google heute die Kundenbeziehung für Produktkäufe owned. Du kaufst immer einen hohen Teil an B2C-Klicks mit. Mache mal den Praxistest. Ich habe nach “Töpfe Restaurants” gesucht, zweite Adwords-Anzeige von oben war bei mir “Esmeyer-Shop” mit sehr generischem Text. Wenn du da dann drauf klickst, landest du nicht etwa auf der Kategorieseite oder einer Landingpage für Töpfe, sondern auf der Shop-Startseite. Man kann sich das Leben bei Google auch wirklich selbst super schwer machen. Ich glaube, in der reinen Produktsuche besteht für Google die Gefahr, dass der Shift von ihnen weg zu Amazon und einigen wenigen “Nischenplayern” der jeweiligen Industrie geht – auch im B2B. Im B2C ist das ja schon der Fall.
Schöne Grüße
Lennart
Ja, da hast Du recht. Ich habe in Projekten selbst erlebt, dass sich die Betreiber gegen die Angabe von Preisen im Shop VOR dem Login entschieden haben. Und damit natürlich Shopping etc. gekappt wurde. Andere waren da intelligenter und haben sehr geschickt einen mittleren Preis in Relation zum Markt gebildet, so dass die potentiellen B2B-Kunden (mit ihrer Vorerfahrung der “eigenen” Preise) nicht total abgeschreckt wurden. In jedem Fall gehört eine andere Intelligenz dahinter als im B2C.