Klassische Hersteller und Marken im B2B Segment sehen sich häufig als Experten in Ihrem Produktsegment oder Ihrer Nische und vermarkten sich entsprechend – Stichwort: Sortimentstiefe.
Wenn der Fokus der Fachhandel ist, macht diese Ausrichtung absolut Sinn. Vom Vertriebsprozess bis zur Wandgestaltung werden alle Prozesse daraufhin ausgelegt. Auch die Sortimentsentwicklung folgt natürlich der Logik, dass ein neuer Artikel zu meinem Kunden (Fachhändler) passt, dort bestenfalls in meine bestehende Wand vor Ort integriert werden kann und thematisch Sinn in meinem Katalog macht.
Im Rahmen digitaler Geschäftsmodelle und Direct-to-Customer-Marken, ob für Consumer- oder Businesskunden, wandelt sich dieser Ansatz. Marken müssen verstehen, was der Use-Case des Kunden ist und versuchen, beim Kaufprozess einen möglichst hohen Teil des potentiellen Warenkorbs abzudecken. Durch die Dominanz der Plattformen und die Verauktionierung des Kundenzugangs stehen Marken vor der Herausforderung, sich steigende Kundenakquisitionskosten leisten können zu müssen.
Wenn ich bspw. als Pinselhersteller über den Fachhandel verkaufe, ist es in Ordnung, einem Kunden im Geschäft den einen Spezialpinsel zu verkaufen – zumeist habe ich bei dem Händler ein lokales Monopol. Der gleiche Hersteller von Pinseln wird sich jedoch schwertun, in einem direkten Onlinemodel einen Kunden, der gerade renovieren möchte, über Google einzukaufen. Daher sehen wir bei verschiedenen Direct-to-Customer-Brands, dass eine Verlagerung hin zu mehr Sortimentsbreite stattfindet. Die Entwicklung ähnelt sehr den klassischen Eigenmarken von Händlern.
Mit unserer Marke WIESEMANN 1893 verfolgen wir einen ähnlichen Ansatz. Statt thematisch die Marke für, sagen wir, Zangen zu werden, versuchen wir ein Sortiment im Werkzeugbereich aufzubauen, das es schafft, Kunden zu Wiederkäufen zu bringen, Warenkörbe zu erhöhen, um damit insgesamt den Kundenwert (CLV) zu steigern.
Datengetriebene Sortimentsentwicklung
Ein Schlüssel, diese Ziele zu erreichen, ist das richtige Sortiment. Um im Pinselbeispiel zu bleiben: Es wird sehr schwer, dem gleichen Kunden zwei beinahe identische Pinsel in zwei unterschiedlichen Längen zu verkaufen. Der Kunde, der den Pinsel kauft, wird wahrscheinlich aber auch Farbe, einen Abroller und Malerband brauchen. Die Preisfrage ist also, wie ich die richtigen Artikel für mein Sortiment definiere und wo man sinnvolle und qualitativ hochwertige Daten zur eigenen Entscheidungsfindung herbekommt.
Grundsätzlich lässt sich hier zwischen internen und extern Datenquellen unterscheiden. Bei den internen Datenquellen bietet sich natürlich vor allem der eigene Shop und die damit verbundenen Analytics an. Diese Daten lassen sich vor allem für das Bestandssortiment gut nutzen. Für die Entscheidung über Sortimentserweiterungen kommen wir hier jedoch nicht weiter. Die Frage ist, welche Produkte außerhalb meines bestehenden Sortiments für meinen Kunden relevant sind. Daher müssen wir uns hier auf externe Daten verlassen. Im Folgenden schauen wir uns drei verschiedene Möglichkeiten an, wie wir Marktplatzdaten nutzen, um unser Sortiment zu optimieren und zu erweitern. In unserem Bereich ist dieser Marktplatz wie so häufig Amazon. Alle drei Ansätze sind vollkommen kostenlos. Es gibt natürlich auch externe Tools, Berater und Agenturen. Allerdings sollte jede Marke mit Digitalambitionen zu erst einmal die verfügbaren Daten verstehen und beherrschen.
1. Kunden die dies kauften, kauften auch…
Das bekannte Recommendation-Feld unterhalb der Bilder auf der Amazon Produktseite ist von Kunden häufig genutzt und eine Goldgrube für Marketers. Eine einfache Durchsicht der eigenen Produkte ergibt schnell, welche weiteren Produkte Kunden im selben Kaufvorgang kaufen. Bei Produkten mit geringen Verkaufsmengen ergeben sich weniger aussagekräftige Ergebnisse. Sobald es sich jedoch um volumenstarke Produkte handelt, sind die hier gewonnen Daten extrem wertvoll. An dieser Stelle gewinnt man Einblicke in den Kunden, seine Warenkörbe und kann erste Use Cases ableiten. Da die Daten vollkommen offen einsehbar sind, kann ich den Vorgang natürlich auch die Ergebnisse von Wettbewerbsprodukten nutzen.
Je nach Land und Markplatz gibt es immer wieder leicht abgewandelte Varianten. Die Variante „Welche Artikel kauften Kunden, nachdem sie diesen Artikel angesehen haben“ gibt dann eher Einblick über den Suchprozess des Kunden. Aber je nach Variante können auch hier spannende Insights gewonnen werden.
2. Affiliate Daten
Ein etwas umständlicherer Weg, Warenkorbdaten zu bekommen, sind Affiliate Programme. Im Falle von Amazon ist dies das Partner Net. Wenn man Traffic zu Amazon leitet und dies mittels der eigenen Tracking ID macht, bekommt man auf den gesamten Warenkorb des Kunden eine Affiliate Provision. Die Affiliateeinnahmen werden für die meisten Hersteller weniger von Interesse sein. Um diese Einnahmen jedoch nachvollziehen zu können, stellt Amazon die dazugehörigen Artikel dar. Dies ist der Punkt, an dem es dann auch für die Sortimentsentwicklung wieder spannend wird.
Im Rahmen des PartnerNet Programms kann man Links zu Produkten erstellen. Diese Links lassen sich dann beispielsweise auf der eigenen Hersteller-Homepage einbetten. Wenn der Kunde nun über diesen Link zu Amazon geführt wird und hier seinen Kauf tätigt, bekommt man als Affiliate, neben einigen anderen KPIs, zwei Informationen: die „Anzahl der über Produktlinks bestellten Produkte“ und die „Anzahl anderer über den Produktlink bestellten Produkte“.
Die erste Information in unserem Szenario mit der Hersteller-Homepage ist die Anzahl der von uns beworbenen eigenen Produkte. Hierdurch lässt sich dann auch gut verstehen, wie gut der eigene Traffic auf Amazon konvertiert. Aufschlussreich für unsere eigentliche Fragestellung wird es bei der zweiten Information. Hier erfährt man jetzt exakt, welche einzelnen Produkte nach dem Klick auf den Link gekauft wurden. Hierfür muss noch nicht einmal das eigene Produkt gekauft werden. Dadurch kann man z.B. auch ableiten, welche Produkte der Kunde trotz Recherche zu meiner Marke am Ende anstatt meines eigenen Produktes gekauft hat. Die Qualität und Detailtiefe dieser Information ist um Längen besser als Ergebnisse aus einer Marktforschung. Hinzu kommt, dass in diesem Fall ja sogar Affiliateeinnahmen entstehen. Im Vergleich zur Marktforschung eine fast bizarre Vorstellung.
Mit diesem Vorgehen kratzt man natürlich jetzt nur an der Oberfläche der Möglichkeiten. So kann man beispielsweise mit mehreren Tracking IDs arbeiten, um unterschiedliche Trafficquellen oder Kundensegmente zu unterscheiden.
Wir haben bei WIESEMANN 1893 diese Möglichkeit letztes Jahr angefangen zu nutzen und haben das Programm direkt für alle fünf europäischen Marktplätze implementiert (Deutschland, UK, Frankreich, Italien Spanien). Der Kunde hat in unserem Shop die Möglichkeit, den Artikel auf seinem landeseigenen Amazon Marktplatz zu kaufen. Auf diese Weise können wir einen Teil des Traffic zu Amazon verschieben und hierbei unsere Tracking ID übermitteln.
Der Ausschnitt zeigt ein Beispiel unserer Ergebnisse. Hier sehen wir die Ergebnisse 18 – 24 einer Tracking ID in Deutschland. Von den sieben Ergebnissen sind Platz 20 und 21 vorab zu ignorieren. Natürlich kaufen auf einem generalistischen Marktplatz wie Amazon die Kunden auch Korkenzieher und Schwimmhilfen zusammen mit Werkzeug. Bei den übrigen fünf Ergebnisse unterscheiden wir nach Alternativkäufen und Ergänzungskäufen. Die Ergebnisse 18, 22 und 24 hätte der Kunde vergleichbar auch von WIESEMANN 1893 kaufen können. Hier scheint sich der Kunde also auf unserer Homepage informiert zu haben, dann aber sich für ein Konkurrenzprodukt entschieden zu haben.
Interessant für unsere Sortimentsentscheidung sind die Ergebnisse 19 und 23. Anscheinend kaufen Kunden nach Besuch unserer Homepage auch Zangen (Beispiel Knipex) und Tiefbett Nüsse (Beispiel Proxxon).
Wir versuchen für uns, meist die Daten aller Länder und Zeiträume zu aggregieren, um qualitativ bessere Ergebnisse zu bekommen. Wenn wir jetzt aber beispielweise sehen, dass Kunden unserer Homepage im Nachgang Kombizangen kaufen und wir diese aktuell nicht (oder nicht in der Konfiguration) anbieten, prüfen wir, ob der Artikel ins Sortiment aufgenommen werden sollte.
3. Wunderwaffe Amazon Brand Analytics
Die dritte und mit Abstand ergiebigste Datenquelle ist das Brand Analytics Tool von Amazon. Dieses Tool steht jeder Marke mit Seller Account und Brand Registry zur Verfügung. Grundsätzlich ist Brand Analytics die kostenfreie Variante des ARA Premium Tools für Amazon Vendoren.
Amazon Brand Analytics bietet Einsichten wie Kunden auf Amazon suchen, was Sie anklicken und wie sie sich verhalten. Das Tool bietet sich vor allem für SEO-Zwecke und Marktbeobachtung an. Hierfür eignen sich die drei Berichte „Amazon-Suchbegriffe“, „Kaufverhalten Wiederholungskäufe“ und „Artikelvergleich- und Alternativkauf-Verhalten“.
Zu Zwecken der Sortimentsentwicklung dient aber vor allem der Bericht „Warenkorbanalyse“. Für die Produkte der registrierten Marke kann man jetzt die drei am häufigsten mitgekauften Produkte einsehen. Für die datengetriebene Sortimentsentwicklung ist das natürlich Gold wert. Schauen wir uns daher einmal an, welche Daten wir hier genau bekommen, wie wir filtern können und welche Schlüsse wir für uns bei WIESEMANN 1893 daraus ableiten können.
Die Daten für Brand Analytics sind erst einmal auf den jeweiligen Marktplatz bezogen. Für eine internationale Aggregation kann man sich jedoch die Daten als CSV Datei exportieren und selbst wieder zusammensetzen.
Im oberen Bereich kann man sich sein Datenset konfigurieren. Man kann die jeweiligen Kategorien und Unterkategorien wählen, wenn man in mehreren Produktsegmenten verkauft. Bei mehreren Marken kann man nach Marke unterscheiden. Der Zeitraum ist von einem Tag bis zu einem Vierteljahr wählbar. Wer ganze Jahre auswerten möchte, muss sich auch hier die Daten selbst aggregieren. Zuletzt kann man noch unterscheiden, ob man nur eigene Produkte, nur Fremdprodukte oder beides sehen möchte. In unserem Beispiel werden wir uns unsere Marke WIESEMANN 1893 für das vergangene Quartal anschauen und nur Fremdprodukte analysieren, weil wir verstehen wollen, welche neuen Sortimente am Sinnvollsten sind.
Bei den Ergebnissen werden nun die einzelnen der eigenen Marke zugeordneten Produkte angezeigt und die drei häufigsten mitgekauften Fremdartikel. Diese werden mit ASIN (Amazon Artikel Nummer), Titel und der Häufigkeit der Kombination angegeben. Den Prozentwert definiert Amazon wie folgt:
„Prozentsatz der Bestellungen, die sowohl Ihr Produkt als auch das am häufigsten gekaufte Produkt enthalten, im Vergleich zur Gesamtzahl der Bestellungen, die mindestens zwei verschiedene Artikel enthalten haben, darunter auch Ihr Produkt.“
Der Wert besagt also, wie häufig die Kombination in Bestellungen mit mindestens zwei Produkten auftritt.
Als Beispiel dient uns hier ein ganz klassisches Schraubenschlüssel Set. Die Besonderheit bei dem Artikel ist, dass es sich um Zollgrößen handelt. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen. In 8% der Fälle kauften Kunden ein Innensechskantschlüssel Set ebenfalls in zölligen Größen. Ähnlich häufig kauften Kunden ein Sechskantnuss Set in zölligen Größen und in rund 6% der Bestellungen mit mehr als einem Artikel wurde ein weiteres zölliges Innensechskantschlüssel Set bestellt.
Unsere Schlussfolgerung hier ist jetzt, dass unsere Kunden, die den Artikel kaufen, primär weitere Werkzeug im zölligen Größensystem kaufen. Die zusätzlich erworbenen Produkte sind einzelne Nüsse und noch häufiger Innensechskantschlüssel. Beide Produkte werden von uns nicht abgedeckt und wäre extrem spannende Ergänzungen.
Diese Analyse lässt sich jetzt für alle Produkte machen. Zusätzlich nutzen wir den Download zur Aggregation der Daten für mehrere Länder und zur Bildung von Produktkategorien. Natürlich lassen sich die Daten noch auf extrem vielfältige Weise weiter analysieren, aber für die Weiterentwicklung eines Sortiments ist dies die von uns genutzte Variante.
Zusammenfassung
Alle drei Ansätze liefern verlässliche Daten über echtes Kundenverhalten. Besonders für neue Märkte, sei es geografisch, sprachlich oder produktseitig, in denen es noch keine Erfahrung gibt, sind diese Einblicke extrem wertvoll.
Natürlich ist der Ansatz für Marken mit breiten Sortimenten sinnvoller als für den Spezialisten. Die Frage, wie man steigende Kundenakquisitionskosten finanzieren kann, wird jedoch auch bei Marken und Hersteller mit besonders viel Sortiments-Tiefe früher oder später auftauchen.
Quellen & Lektüre:
https://sellercentral.amazon.de/analytics/dashboard/marketBasketAnalysis
https://de.statista.com/infografik/9684/umfrage-zum-thema-personalisierte-angebote/