Vor wenigen Wochen sind wir mit der Idee gestartet, bei Warenausgang.com neue Formate auszuprobieren. Eines davon ist “Was macht eigentlich…?” – eine Serie in unserem Podcast, in der wir Gründerinnen und Gründer von Start-Ups im Digital Commerce zum Gespräch bitten und sie einmal tiefgründig zu ihrer Geschäftsidee ausfragen. In dieser Woche fangen wir mit bex an, dem Unternehmen, das mein Co-Herausgeber Lennart A. Paul gemeinsam mit Johannes Keller gegründet hat.
Die Idee: ein Lieferservice für die Baustelle
Die Geschäftsidee hinter bex lässt sich kurz und knapp mit dem Claim des Start-ups zusammenfassen: “Sie bauen, wir liefern.” bex verspricht seinen Kunden, Baumaterial innerhalb von zwei Stunden nach Bestellung auf die Baustelle bringen zu können. Das Kerngeschäft liegt also in der Deckung kurzfristiger Bedarfe, die auf einer Baustelle entstehen. Kunden sind dementsprechend Bau- und Handwerksunternehmen. Dabei wickelt bex die gesamte Bestellung operativ ab von der Disposition über die Abholung beim Händler bis zur Lieferung vor Ort – nach dem Motto: Lieferando für die Baustelle. Für die Lieferung hat das Unternehmen eine eigene Flotte, arbeitet aber auch mit Kurierdiensten zusammen, um das Versprechen, innerhalb von zwei Stunden zu liefern – oder eben zum jeweils fest vereinbarten Lieferzeitpunkt, das ist auch möglich – halten zu können. Aktuell bedient bex Kunden im Großraum Stuttgart, in der Metropolregion Rhein-Neckar sowie im Rhein-Main-Gebiet.
Wie funktioniert’s?
“Wir tun gut daran, uns auf denjenigen Kanal einzulassen, den die Nutzer selber nutzen wollen – und wenn das heute erst einmal ein Anruf, eine WhatsApp-Sprachnachricht oder ein Foto ist, dann ist das so.”
Lennart A. Paul
Aus Kundensicht funktioniert das so: Kunden registrieren sich auf bexpress.io. Dort legen sie ihre üblichen Lieferanten an und hinterlegen ihre zugehörigen Kundennummern. Damit sind sie grundsätzlich auch schon bereit, die erste Bestellung aufzugeben. Das bedeutet: bex ist als Dienstleister hersteller- und lieferantenunabhängig, in der lieferbaren Produktpalette oder Bezugsquelle also frei. Kunden kaufen zudem zu den gewohnten Konditionen bei ihren angestammten Lieferanten ein. Die Lieferung durch bex wird dann gesondert abgerechnet. Die Kosten liegen zwischen 19 Euro und 149 Euro – preislich wird gestaffelt je nach Gewicht der Lieferung, also je schwerer, desto teurer. Ganz klar, bex will keine Produkt verkaufen, sondern betreibt ein rein servicegetriebenes Modell.
Im Alltag funktioniert die Bestellung mit Hilfe einer zugehörigen App, telefonisch, per WhatsApp oder per E-Mail. Hier ist bex kanal-agnostisch unterwegs: Das Start-up orientiert sich in Sachen Order Intake an seinen Kunden – und die sind es gewohnt, auf ganz unterschiedlichen Wegen zu bestellen, egal ob direkt auf der Baustelle, von unterwegs oder vom Büro aus. Bestellungen können tagsüber aufgegeben werden für eine Lieferung noch am selben Tag oder einige Zeit im Voraus, etwa nach Feierabend für eine Lieferung später in der Woche.
“Wir lösen ganz konkret den Fall Zeit als knappste Ressource auf der Baustelle. Das ist das, was uns von dem einen oder anderen Start-up in dem Bereich unterscheidet. Bei uns sitzt am Ende tatsächlich jemand in einem Sprinter, der von uns beauftragt wird, und hat Materialien in der Hand, die er dann irgendwo ablegt. Das ist ‘Solution as a Service’ – und nicht irgendeine Software, mit der man dem Kunden nur die Möglichkeit gibt, sich selber besser zu administrieren.”
Lennart A. Paul
Zeitlich aufwendig ist auch das Thema Warenverfügbarkeit. Wenn plötzlich Material auf der Baustelle fehlt, dann muss normalerweise erst mit großen Aufwand geklärt werden, wo das Material in der gewünschten Menge überhaupt verfügbar ist. Sprich: Jemand muss telefonisch Händler abklopfen und ermitteln, wo was einzukaufen ist. Diese Bedarfsklärung nimmt bex seinen Kunden auch ab.
“Also wenn dir was fehlt, dann kommt es eben heute oft vor, dass jemand zum Händler fährt – und dann hat der das gar nicht vorrätig. Selbst wenn er vorher anruft, muss er eben seine ganze Händlerliste durchgehen. Das ist eben auch noch ein wichtiger Teil der Dienstleistung bei uns: Der Kunde bestellt bei uns und wir machen ihm einen Alternativ-Vorschlag, sei es ein alternatives Produkt, ein alternativer Abholpunkt – einfach dass er sich nicht um das Thema Bedarfsklärung kümmern muss.”
Johannes Keller
Die Bandbreite an potenziell bestellbarem Baumaterial ist natürlich sehr groß. Die Praxis zeigt jedoch, dass sich über 90 Prozent der Beschaffungsfälle mit einem Sprinter mit Ladebordwand lösen lassen. Wenn die Ware länger oder schwerer ist, dann lässt sie sich zumeist auf mehrere Lieferungen aufteilen.
“Es kommt jetzt eher selten vor, dass jemand kurzfristig zehn Paletten Naturstein braucht. Und selbst wenn, dann kann er mit einer anfangen – und dann kann man das über Zeit auflösen.”
Johannes Keller
Die Motivation: Kundenzentrierung für die letzte Meile
Die beiden Gründer Johannes und Lennart kennen sich von ihrer gemeinsamen Zeit bei der Würth-Gruppe (full disclosure: ich habe auch für Würth gearbeitet). Dort haben sie zum einen die Kunden im Baustoffhandel und ihre Bedürfnisse gut kennengelernt, vor allem aber erkannt, dass sie sich immer wieder mit dem selben Problem konfrontiert sehen: das Material fehlt, die Baustelle steht, die Produktivität sinkt. Nach ihrer Würth-Zeit waren die beiden noch an einem gemeinsamen Beratungsprojekt im Baustoffhandel beteiligt, wodurch die Fäden zur Gründung konkret zusammenliefen.
Außerdem haben sie dabei erkannt, dass viel Potenzial darin steckt, die letzte Meile aus Kundensicht zu lösen. Zwar gibt es viele Ansätze – vorangetrieben vor allem von Händlerseite. In Sachen Kundenkomfort sind sie noch nicht der Wahrheit letzter Schluss. Kurzum: Es gab bislang keine Anbieter, der sehr kurzfristige Lieferzeiten auch kosteneffizient umsetzt, also schnell und vergleichsweise günstig liefert. Die händlergetriebenen Lösungen funktionieren nach dem Prinzip “Kunde kommt zur Ware”, eine Erwartungshaltung, die zwar nachvollziehbar ist, für Johannes und Lennart allerdings nicht flexibel genug. Ihren Hebel meinen sie genau im Gegenteil zu erkennen, also wenn die Ware zum Kunden kommt. “Da sehen wir einfach Unmengen von Bedarfen, die es da heute gibt. Also es ist definitiv nicht nur die 10 Dübel, die jetzt noch fehlen bis heute Abend, sondern es sind auch die 15 Positionen für ein kleineres Sanierungsprojekt, die man Mittwoch auf Freitag bestellt oder noch besser Freitagmittag für Montag morgen oder sowas”, sagt Lennart.
“Dass wir da jetzt ein real existierendes Problem lösen, das auch wirklich gesehen wird, das war von Anfang eine der wichtigsten Prämissen für uns – weil wir auch nicht an einen rein Software getriebenen Market Approach glauben. Also, dass wir zu unseren Kunden gehen und sagen: ‘Wir digitalisieren die Bauwirtschaft!’, darauf wird man noch einige Winter warten müssen. Das ist meiner Meinung nach purer Unfug. Deshalb sagen wir: Wir fahren dir deinen Mist von A nach B, du sparst dadurch X und gewinnst Y. ”
Lennart A. Paul
Hinzu kommt das Thema Produktivität – ein leidliches Thema im Bauwesen, wird ihr doch laufend Stagnation attestiert. Dabei ist die Rechnung simpel: Wenn die Baustelle seltener stillsteht, weil das nötige Material verfügbar ist, dann werden Bauunternehmen natürlich produktiver. Das ist auch ein Ansporn für die bex-Gründer: “Seit da Zahlen gemessen werden, ist es irgendwie so, dass die Gesamtwirtschaft sich mit 1,3% pro Jahr in der Produktivität verbessert und die Bauwirtschaft mit 0,25%. Die Baubranche ist also erheblich schlechter, sie hinkt da deutlich hinterher. Und wenn da heute ‘Fachkräftemangel!’ gerufen wird, da heißt das ganz oft, dass man einfach mangelnde Produktivitätsverbesserung aus 20 Jahren versucht zu kaschieren”, erklärt Lennart.
Johannes Keller
“Also die Baubranche hat ein Produktivitäts-Problem. Man hat halt noch nicht so die Hebel gefunden, Produktivität wirklich zu hebeln, anders als in der Industrie, wo man eben die Fertigung, also im Fertigungsprozess sehr viel umstellen kann. Der Fertigungsprozess im Bau ist glaube ich schon einiges komplexer und auch nicht so einfach maschinell darstellbar, wie das jetzt vielleicht bei Serienfertigungen von irgendwelchen kleinen Teilen der Fall ist.”
Gegenentwurf zur Digitalisierung im Bau?
Spricht man mit Johannes und Lennart, so könnte man fast meinen, ihr Start-up stellt das klassische Digitalisierungs-Mantra in der Branche in Frage. “Bisherige Bestrebungen, gerade im Baustoffbereich, die fußen darauf, dass irgendjemand einen Online-Shop baut oder an einem Marktplatz teilnimmt, was aber den bisherigen Beschaffungsprozess umdreht”, sagt Johannes Keller. “Der Bedarfsträger auf der Baustelle ruft heute irgendwo an, dann passiert die Beschaffung – also das Aussuchen des Produktes auf der Händlerseite. E-Commerce dreht das aber um, weil plötzlich der Kunde dasteht mit 5 Millionen Artikeln auf irgendeinem Marktplatz oder einer Plattform und muss dann [sein] Produkt raussuchen. Ganz viele Prozesse, die bisher jemand anderes gemacht hat, werden plötzlich auf den Kunden verlagert.” Das dreht bex um:
“Du weißt was du brauchst, und wir finden dir den einfachsten Weg, wie du den Bedarf los wirst. Alles andere lösen wir mit digitalen Tools. Und wir verlagern nicht den Aufwand, seine Prozesse zu verändern und irgendwas neues zu lernen, auf den Kunden, sondern wir lösen das. Ich glaube da ist der große Mehrwert für unsere Kunden – dass man sagt, ‘es ist einfacher als heute und nicht nur digitaler.”
Johannes Keller
Das soll nicht heißen, dass E-Commerce im Bau nicht funktioniert – ganz im Gegenteil: “Ich möchte jetzt mal nicht sagen, dass E-Commerce da generell nicht funktioniert, Wir haben einen Kunden bei Bex, der bestellt sehr viel online. Ich würde sagen der bestellt fast ausschließlich online”, sagt Lennart. Aber: “E-Commerce löst das Kundenproblem nicht, also das Beschaffungsproblem. Oft ist es echt eine Verschlimmbesserung der aktuellen Situation. Ich nehm’ mein Telefon in die Hand und ruf beim Außendienstler an und sag dem was ich brauche, das ist viel einfacher, als die einfachste App der Welt.”
Hausaufgaben machen statt enorme Wachstumsziele zu setzen
“Wir wollen möglichst viel lernen, um dann mit dem, was wir gelernt haben, effizienter wachsen zu können.”
Johannes Keller
Für das restliche Jahr haben die bex-Gründer ein bodenständiges, wenn auch recht konservatives Ziel. Statt sich wie andere Start-ups voll und ganz dem Wachstum zu verschreiben, gilt es für sie, konsequent ihre bisherigen Hypothesen im operativen Geschäft zu validieren – und wenn nicht, dann den Kurs zu korrigieren. Die Stellschrauben liegen für sie in der Kundenakquise und -ansprache, aber auch in der Abwicklung von Aufträgen und der Servicequalität. Letztlich sei es das, was darüber entscheide, ob ein Kunde zurückkommt oder nicht.
Das die schwäbische Bodenständigkeit durchaus kontrovers betrachtet werden ist, ist ihnen bewusst. “Wenn man sich andere Modelle anschaut, die innerhalb von zwei Monaten ein geisteskrankes Funding zusammen bekommen, man sich aber fragen muss, wie man damit Geld verdienen will – dann ist für uns klar: So sind wir nicht unterwegs. Wir sehen dass wir das können, glauben aber nicht, dass da ein nachhaltiger Mehrwert entsteht – weder für uns noch für unsere Kunden, noch für die Angebotsseite, noch für irgendwen, der uns Geld gibt. Und deshalb glauben wir auch an den Market Approach, wo wir auch ein bisschen länger und tiefer ausprobieren müssen, weil wir auf der Baustelle über längere Zyklen ausprobieren wollen”, sagt Lennart.