QUO VADIS Anlagen- und Maschinenbau?

Pay-per-Part | Equipment-as-a-Service
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IST D2C WIRKLICH DER LETZTE HOTTE SHIT, ODER GIBT’S DA NOCH MEHR?

Digitalisierung im B2B bringt nicht nur eine Transformation des klassischen dreistufigen Vertriebsmodells mit sich. Nehmen wir technologische Innovationen wie das Internet der Dinge (IoT) oder dezentrale digitale Infrastrukturen noch mit in die Überlegungen und Gedanken, so gehen die Möglichkeiten weit über die Transformation des Vertriebs hinaus. Eine der für mich spannendsten Entwicklungen möchte ich euch nun vorstellen: 

Parts-as-a-Service | Equipment-as-a-Service

Zwei Begriffe die beispielhaft für die Transformation des Anlagen- und Maschinenbaus stehen. Vor knapp einem Jahr offiziell vorgestellt, ist es mal an der Zeit sich das Thema genauer anzuschauen. Denn hier wird nicht nur der Vertrieb, sondern das komplette Geschäftsmodell neu gedacht. 

Der Maschinenbau – eines der liebsten deutschen Kinder zwischen Nordseekrabben und Weißwürsten musste 2020 einen Umsatzrückgang um ca. 9% auf 204 Mrd. € verzeichnen. Mit diesem Umsatz ist die Branche immer noch mit 11,5 % auf Platz zwei aller verarbeitenden Gewerbe in Deutschland.  

Innovationskraft

Viel spannender an der Stelle sind die Kennzahlen zum Thema Innovation. Beginnen wir mit einem Blick auf die Patentanmeldungen. Mit 4.431 angemeldeten Patenten im vergangenen Jahr ist, bezogen auf die Jahre 2010 – 2020, der historisch tiefste Wert erreicht. Nimmt man den Höchststand von 6.823 angemeldeten Patenten in 2016, so ist das ein Rückgang von ca. 36 % innerhalb von vier Jahren. Ein erstes Anzeichen, dass die Innovationsfreude in der Branche abnimmt oder sich nicht in patentierbaren Lösungen widerspiegelt.

Nun kann man sagen, dass nicht jede Innovation in einem Patent enden muss – so weit so gut. Wenn wir uns nun aber mal ansehen, wie groß der Anteil von Produktinnovationen am Gesamtumsatz des deutschen Maschinenbaus war, so stellen wir fest, dass mit 5,4 % auch keine Produktinnovationen zu Verkaufsschlagern geführt haben. Das kann entweder an den “falschen” und somit nicht marktgerechten Innovationen liegen – was ich für sehr unwahrscheinlich halte – oder aber einfach am Mangel an Produktinnovationen. Werfen wir nun zusätzlich noch einen Blick auf die Investitionsquote wird deutlich, dass der deutsche Maschinenbau nicht zu den innovationsfreudigsten Branchen in Deutschland zählt. Mit 8,3 Mrd. € und damit 3,6 % ist der Wert relativ niedrig im Vergleich zu anderen Industrien und Branchen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es natürlich einzelne Unternehmen gibt, die entgegen des oben aufgezeigten Trends sehr innovationsfreudig und progressiv die Zukunft gestalten. Der allgemeine Blick soll lediglich einen Gesamteindruck auf die Branchen vermitteln und als Einführung zum eigentlichen Thema dienen. Mit den Infos im Hinterkopf liest sich das neue Geschäftsmodell nämlich um einen ganzen Ticken innovativer, gar disruptiver als ohne den allgemeinen Branchenblick.  

Pay-per-X-Geschäftsmodelle

Diese Art der Geschäftsmodelle erfreuen sich in jüngster Zeit großer Beliebtheit. Was im B2C schon gängige Praxis ist (man denke an Free Now, E-Scooter à la TIER, Call-a-Bike) findet nun auch im B2B Einzug. Zwar ist es hier nicht ganz so trivial, wie wenn man ein Carsharing-Angebot in Anspruch nimmt, aber die Grundheuristik ist die gleiche. So bietet beispielsweise Heidelberger Druckmaschinen AG ein Pay-per-Use-Modell an. Hier fällt nur im Falle der Nutzung eine Gebühr an. Doch warum erfreuen sich diese Geschäftsmodelle auch im B2B so großer Beliebtheit? Ein Grund ist mit Sicherheit ein rein finanzieller: mit oben genannten Geschäftsmodellen mutieren die eigentlich fixen Anschaffungs- / Investitionskosten zu variablen Nutzungskosten, die erst im Falle der Nutzung der Maschine anfallen – also dann, wenn ein Auftrag bearbeitet und damit Umsatz generiert wird.  

Von CAPEX zu OPEX – wie der Buchhalter sagen würde.  

Mit diesem Modell ist es den Kunden von Maschinen- und Anlagenbauern möglich, einen aktuellen und leistungsfähigen Maschinenpark zu beheimaten, ohne die eigene Unternehmensbilanz bzw. den wirtschaftlichen Erfolg mit entsprechenden Abschreibungskosten zu belasten. Klingt in erster Linie für die Betreiber / Nutzer von Maschinen und Anlagen nach einem enormen Kostenvorteil. Getreu dem Motto “Des einen Freud, des anderen Leid” haben dann aber die Hersteller der Maschinen und Anlagen die zur Verfügung gestellten Anlagen in den Büchern stehen. Es bedarf also noch weiterer Optimierungen / Anpassungen, um dieses Modell für alle Beteiligten zu einer WIN-WIN-Situation zu machen. An der Stelle möchte ich ein Whitepaper von TLGG Consulting und Deutsche Bank empfehlen, welches sich ausschließlich mit dem finanziellen Aspekt dieser Modelle beschäftigt (Link). 

Um das Geschäftsmodell Parts-as-a-Service zu erläutern, werfen wir initial mal einen Blick auf die Protagonisten bzw. Urheber des Modells:  

Das spannende an der Konstellation ist, dass die Munich RE nach einem initialen Invest in relayr. im Jahr 2016, zwei Jahre später 100 % der Anteile an relayr. übernommen hat. relayr. ist die treibende und führende Kraft in Deutschland, wenn nicht gar in Europa zur industriellen Nutzung von IoT. Das Tech-Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt digitale Transaktionen mit Hilfe von technologischer Vernetzung aller Komponente der Wertschöpfungskette zu forcieren. Nun kann man zurecht die Frage stellen, was ein Versicherer mit einem Tech-Unternehmen will. Salopp gesagt: Rendite sichern – es gibt wohl kaum eine andere Branche, die attraktiver und zukunftsfähiger für Investments ist, vor allem wenn man aus der Finanz- bzw. Versicherungsbranche kommt in der man aktuell nur sehr schwer renditeträchtige Geldanlagen vornehmen kann. In der offiziellen Pressemitteilung klingt das dann so: “Die digitale Transformation im gewerblichen und industriellen Sektor bietet Chancen für neue Services und Finanzdienstleistungen.” (Link)  

Das Geschäftsmodell  

Anhand der Grafik schauen wir uns nun mal das Geschäftsmodell von Equipment-as-a-Service (EaaS) | Pay-per-part (PpP) an:  

Trumpf in seiner klassischen Funktion als Maschinenbauer stellt die TruLaser 7030 her. Da die Grundidee von EaaS ein “Raushalten” der Maschinen aus den Bilanzen der Kunden bedarf, aber Trumpf wiederum die hergestellte Maschine nicht in den eigenen Büchern stehen haben will, hat die Munich RE eine eigene Gesellschaft gegründet – ein sogenanntes Special Purpose Vehicle – welche die Maschinen von Trumpf kauft und sie entsprechend bilanziert. Dieses SPV stellt nun den EaaS-Kunden die Maschine zur Verfügung – nicht mehr und nicht weniger. Den eigentlichen EaaS | PpP Ansatz stellen nun die drei Projektpartner gemeinsam sicher.  

Folgendes wird angeboten:  

  • Sicherstellung des Betriebs der TruLaser 7030 
  • Wartung der Maschine  
  • Garantie der Prozesssicherheit  
  • Versicherung für eventuelle Ausfälle  

Doch wie unterscheidet sich das Modell von bereits vorhandenen Systemen Pay-per-Use? Kosten fallen beim EaaS-Modell nur an, wenn ein fertiges und weiter verwertbares Teil aus der TruLaser 7030 kommt. Bedeutet, dass für eventuellen Ausschuss, der durch einen Fehler der Maschine oder falsche Einstellungen oder andere Fehlerquellen auftritt, ein Kunde keine Kosten hat. Es fallen nur variable Kosten an, wenn das gefertigte Teil einwandfrei aus der Maschine kommt. Somit werdem Betriebsstunden oder ähnliche Kalkulationsgrundlagen der Pay-per-Part-Modelle in diesem Fall nicht angewendet.  

Der ein oder andere mag jetzt sagen: mutig. Wie wollen die drei Konsortiumspartner sicherstellen, dass die Maschine korrekte Teile und keinen Ausschuss produziert?  

Datenplattform entsteht

Die Antwort ist simpel und doch spektakulär: Vernetzung aller EaaS-Maschinen miteinander und Schaffung eines gemeinsamen Data Lakes zur Optimierung aller vorhandenen und vernetzten Maschinen. Wer sich bis hierhin gefragt hat, welchen Vorteil – außer dem Verkaufen von Versicherungen – die EaaS-Modellanbieter haben, der hat nun die Antwort. Das Win-Win-Verhältnis entsteht durch die Sammlung und Nutzbarmachung von Daten für Trumpf, relayr. und die Munich RE. Und eben diese Daten sind im Hinblick auf Innovationen für die drei Anbieter mehr Wert, als der Betrieb des EaaS-Modells kostet. Genau diese Daten garantieren einen Wettbewerbsvorteil und vor allem sichern sie den Kundenzugang. Ein Nutzer des Modells wird sich dreimal überlegen, ob er wieder in eine Maschine investiert anstelle einer weiteren oder zusätzlichen Nutzung des angebotenen Services. Denkt man ein wenig weiter, so hört man auch hier die Plattformökonomie-Nachtigall trapsen, wenn auch aktuell noch sehr filigran und leise.  

Ein Jahr wollten sich die drei Partner Zeit geben, um das Geschäftsmodell zu verproben, richtige Strukturen und Prozesse zu finden und die generelle Akzeptanz des Marktes zu prüfen. Das Jahr ist im Oktober / November 2021 vorüber und wir dürfen gespannt sein, was wir hier an Neuigkeiten in nächster Zeit erfahren können.  

Digitales Ökosystem entsteht

Wer den Artikel Aufmerksam verfolgt hat, der wird einen viel zitierten “Casus-knacktus” bemerken – die Ausfallsicherheit und der sichere Betrieb der Maschinen im neuen Geschäftsmodell. Denn wenn die Maschine steht wird kein Teil produziert – und wenn kein Teil produziert wird, dann ist das schöne neue Erlösmodell dahin. Die Munich RE wirds auch nicht freuen, weil sie die Ausfallsicherheit entsprechend absichert und mit jedem nicht produzierten Teil in die Kompensation fällt. Aber auch hier gibt es bereits digital Abhilfe: SPARETECH. Die beiden Gründer haben erst jüngst in einer neuen Finanzierungsrunde frisches Kapital eingesammelt. SPARETECH hat sich zum Ziel gesetzt eine digitale Ersatzteilwelt zu schaffen, um Bestände und Kosten im Ersatzteilmanagement zu senken. Also eine ideale Ergänzung der Geschäftsmodellinnovation der Maschinen- und Anlagenbauer. Und eben genau das schafft ein digitales Ökosystem indem sich der Maschinen- und Anlagenbau Schritt für Schritt auf in die Zukunft macht.

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Ein Kommentar

  1. Sehr spannender Case. Auf den ersten Blick nah an “Leasing”-Lösungen, deshalb ist der Daten-Aspekt so wichtig. Trumpf wie Heidelberger können aus den Sensor- bzw. Nutzungsdaten ja schon viel an Wissen und Ökosystem-Logik generieren. Bei Heidelberger kann man sich natürlich fragen, ob nicht auch ein Konkurrenzmodell zu wirmachendruck.de und anderen Integratoren resultieren könnte. Dann würden die Nutzer gleichzeitig angeschlossene Dienstleister, die ihre geleasten Maschinen durch Lohnfertigung besser auslasten und noch einen Payback erhalten.

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