B2B Digital Commerce: Just do it mit Boris Lokschin von Spryker

Teile diesen Beitrag in...

Seit 2014 begleite ich die Entwicklung von Spryker sehr eng und habe bereits in einigen Spryker-Projekten in verschiedenen Rollen gearbeitet. Für mich ist Spryker das spannendste E-Commerce-Betriebssystem, das es derzeit auf dem Markt gibt. Boris Lokschin ist CEO und bildet gemeinsam mit Alex Graf das “Frontduo”. Der B2B-Markt wird für Spryker bedeutender. Ende November habe ich mich mit Ihm im Rahmen der Frankfurter Spryker User Group über die Entwicklung, Headless Commerce und die neue B2B Suite unterhalten. 

B2B Digital Commerce: Just do mit Boris Lokschin von Spryker auf warenausgang.com

Mir musste man am Anfang ein paar Mal erklären, was Spryker wirklich ist und wo die Unterschiede zu einem “Shop-System” à la Magento, OXID, Hybris etc. liegen. So neuartig war der Ansatz, des Systems, das “eine Art produktifiziertes Best Practice ist,” so Boris. In den letzten vier Jahren hat sich Spryker gewandelt und ist zu einer Software-Firma mit über 200 Mitarbeitern geworden. Spryker lässt sich heute am besten als “Headless” Commerce Operating System beschreiben: “Das heißt, wir treffen keine Annahme darüber, was eigentlich der Touchpoint oder das Device ist,” erklärt Boris im Interview. Spryker bildet also eine Geschäftslogik ab und trennt Back- und Frontend, sodass bei letzterem egal ist, ob es sich um einen klassischen Desktop-Shop, ein Smartphone, eine App oder eine CNC-Maschine ist.

Ich glaube, Systeme wie Spryker werden für B2B Digital Commerce hauptsächlich aus drei Gründen immer relevanter:

  1. B2B E-Commerce bewegt sich “Beyond Desktop”: Zwar ist der für auf Schreibtischen stehende Bildschirme optimierte Online Shop nach wie vor aus Umsatzsicht einer der relevantesten E-Commerce Touchpoints in der IST-Betrachtung, doch die Zahl individueller Business Cases nimmt zu. Auch wenn das, was wir aktuell im Innovationsbereich des B2B Digital Commerce sehen, nur an der Oberfläche kratzt.
  2. Ähnlich, wie sich Zalando vom Online-Schuhverkäufer zur Tech-Company gewandelt hat,  wird die Beherrschung, oder das “Ownership”, von Tech & Data – zumindest ein Stück weit – zur Kernkompetenz von B2B-Unternehmen werden müssen, bei Herstellern wie Händlern gleichermaßen. Systeme wie Spryker lassen das zu, mit Standard-Software und unflexibler Code-Basis ist dies in der Regel deutlich unflexibler und schwieriger.
  3. In einer sich immer schneller verändernden Commerce-Welt mit neuen Kundenanforderungen gewinnt nicht das Unternehmen mit der besten Idee, sondern das mit der besten Umsetzung. Ein wesentlicher Erfoglsfaktor dafür ist die Geschwindigkeit von Idee zu gelaunchtem Produkt (bzw. MVP) zur Erprobung der Idee in der realen Welt. Vor allem für die “Beyond Desktop” Themen habe ich die Erfahrung gemacht, dass mit Frameworks wie Spryker schnell gebaut und gelauncht werden kann, auch ohne, dass siebenstellige Budgets verbraten werden.

Spryker, insbesondere Boris und Alex, haben in den letzten Jahren viel dafür getan, den Markt “auszubilden”, auch und vor allem im B2B. Alles nur Marketing-Geschwafel um Software zu verkaufen? Mitnichten, denke ich. Zu einer Zeit, in der wir in Europa im B2C die Vormachstellung Amazons (>50% des B2C-E-Commerce-Umsatzes in Deutschland) überdeutlich spüren und im B2B mit Amazon Business der nächste dominante Player aus den USA heranrollt, ist es höchste Zeit, B2B-Hersteller und -Händler etwas zu ihrem Digital-Commerce-Glück zu zwingen. 

Gerade im B2B-Umfeld versuchen viele Unternehmen nicht zwangsläufig immer nur, den B2B-Ersatzteil-Shop zu bauen, sondern tatsächlich auch neue digitale Geschäftsmodelle, digitale Produkte und digitale Services zu erschließen.

Boris Lokschin, Spryker CEO

Der Beginn der Disruption

An Boris’ Lieblings-Case eines Fahrstuhlherstellers lässt sich gut aufzeigen, welche Veränderungen digitale Geschäftsmodelle im B2B bewirken können. Im klassischen Modell hat dieser früher einen Fahrstuhl als reine Hardware verkauft und diesen im Aftersales-Geschäft über ein Service Level Agreement rein analog gewartet. In der digitalen Welt sendet ein smarter Fahrstuhl permanent Nutzungsdaten in eine Cloud. Dies ist die Basis dafür, dass automatisch Wartungen terminiert und Ersatzteile bestellt werden können. So werden die Aufallzeiten des Fahrstuhls minimiert, die Lebensdauer erhöht und die Produktivität der Servicetechnikermannschaft verbessert. Gleichzeitig kann der Objektbetreiber seine Mieter automatisiert auf Wartungszeiträume hinweisen und vorwarnen. Positiver Einfluss auf die Bottom Lines und glücklichere Kunden auf allen Ebenen also.

Aus Headless-Commerce-Sicht ist der Fahrstul dabei nichts anderes, wie ein Frontend. Nur eben kein Desktop Online Shop und kein Touchpad am Regal im Store. Der Fahrstuhl greift per API auf irgendeine Art CRM zu, wird authentifiziert, wählt Produkt aus einem definierten Sortiment aus, bestellt diese über den Checkout, es wird gebucht und ein Logistikprozess angestoßen. Ähnlich also, als würde man privat bei Zalando Schuhe kaufen. Um diesen Prozess “neutralisiert” umzusetzen, nutzt Spryker verschiedene “Capabilites”, wie die Product-Capability, die Cart-Capability oder die Payment-Capability. 

Im B2B ist Spryker mittlerweile in vielen Branchen und Industrien “live”. Egal ob im “klassischen” B2B E-Commerce, wie bei CERTEO (TAKKT AG), in der Digitalisierung von Lieferketten zwischen Großhandel und kleinen Retailern, wie bei der Metro und Lekkerland, im Werkzeug- und Baubefestigungsbereich wie bei Hilti oder im Elektronik-Bereich, wie bei Sourceengine. Auch in der Vertriebs-Pipeline dominiert B2B. Der Markt öffnet sich stärker, als von Spryker zunächst angenommen, fasst Boris die Erkenntnis des Management Teams des Berliner Tech-Unternehmens zusammen. Das hat auch externe Gründe:

“Ich glaube, dass insbesondere Plattformen wie Alibaba und Amazon deutlich schneller zum Aufwachen beigetragen haben. […] Solange noch ein positiver EBITDA vorhanden ist, investieren Unternehmen jetzt lieber aus der Position der Stärke.”

Boris Lokschin, CEO Spryker

Schon auf der Dmexco im September war Sprykers neue “B2B Suite” zu sehen. Darin enthalten sind viele “Basic Capabilites” für B2B-Digital-Commerce-Fälle. Diese basieren auf Sprykers sich wiederholende Erfahrungen in den B2B-Projekten der letzten vier Jahre. Der Grad zwischen sinnvollen Basics und krankhafter “Feature-itis” ist dabei schmal. Doch die Basiserwartungen sollen im B2B-Standard erfüllt werden: Geteilte Einkaufslisten, Freigabeprozesse, Company Accounts, Rollen-Rechte-Management, Standard-B2B-Schnittstellen, komplexe Preislogiken etc. Dabei will Spryker sich nicht zum neuen “Standardsystem” entwickeln, sondern agil und modular bleiben und APIs in den Vordergrund stellen.

Auch 2019 bleibt B2B für Spryker ein Haupt-Investmentfeld. Die Erweiterung der Worksflow-Logiken (z.B. Freigabeprozesse), Schnittstellen (EDI), Punchouts (OCI) und Pricing-Funktionalitäten stehen dabei im Vordergrund, so Boris. Das ganze versehen mit APIs, sodass es auch in einer bestehenden IT-Infrastruktur nutzbar wird. Spryker baut also stark am B2B-Maschinenraum und macht sich besser integrierbar in Kerngeschäfts-Prozesse. Gerade das ist im B2B-Umfeld wichtig, “da der Migrationspfad ein anderer ist als im B2C,” so Boris. Während man im B2C einfach oft den bestehenden Shop ablöst, existieren in B2B Cases deutlich komplexere Infrastrukturen mit mehreren, verteilten Systemen. “Die IT-Roadmaps der B2B-ler sind größer, dicher, voller,” stellt Boris als Unterschied zu B2C fest.

Doch wie alle IT-Systeme ist Spryker kein “Allheilmittel”. Es wirkt vor allem dann gut, wenn sich Unternehmen nicht nur die “coolen Features” abgreifen wollen, sondern auch ernsthaft bereit sind, mit ihrer Organisationsstruktur in der IT mitzugehen. Das Setup, mit dem bisher die klassischen Monolithen bearbeitet wurden, dient in der neuen Welt nicht mehr.  Für Boris gibt es einige Themen, die dabei beachtet werden müssen:

  • IT ist keine “Kostenstelle” sondern ein wertschöpfendes Asset
  • Aus der alten IT-Welt wird wenig “recycled” werden können
  • Unterschiedliche Spielregeln: In der “alten” IT-Welt zählen Standards und Verlässlichkeit, während in der kundenzentrischen IT-Welt eher kurze Deployment-Zyklen und Geschwindigkeit wichtig sind
  • Anderes Demand Management: Mitdenken (Product Ownership) statt in Tickets runterschreiben (Business Analyst)
  • Priorisierung neuer Features nicht anhand von “das nächste Release ist schon voll”, sondern anhand von “welches Business KPI wollen wir beeinflussen”

Für Boris steht die Verbindung von Tech Stack, Team und Organisation an oberer Stelle:

“Du kannst ein super agiles Team haben und denen einen 15 Jahre alten Legacy Tech Stack vorsetzen, die werden nicht schnell oder flexibel sein. Du kannst Spryker kaufen und ein total lahmes oder falsch incentiviertes Team da hinsetzen, die werden den Ferrari auf Handbremse fahren. Egal wie du es drehst, es müssen alle drei Parameter zusammenkommen.”

Boris Lokschin, CEO Spryker

Man kann nicht müde werden, das Thema der “Kundenzentrierung” zu strapazieren. Business und IT dürfen sich nicht als getrennte Bereiche verstehen, sondern müssen nach vorne heraus gemeinsam Lösungen für den Markt und die Kunden bauen. Doch mit dem “Just do it” tun sich die Allermeisten schwer, merkt Boris an: “Es gibt wirklich ganz wenige Gespräche, Vorträge und Workshops, in denen wir über diese Dinge sprechen.” Selten findet jemand die neue Methodik doof, kurze ROIs und Deployment-Zyklen finden alle toll, doch in der Umsetzung wird es schwierig. 

Ein Grund hierfür ist, dass die neuen Herangehensweisen so schlecht in den (implizit oder explizit) bestehenden Risk Management Frameworks der Unternehmen abbildbar sind. Unternehmen verwechseln Risiko (kalkulierbar) mit Unsicherheit (nicht kalkulierbar). So wird Veränderung institutionell fast unmöglich gemacht. Wer agieren will wie ein Start-up, der muss wissen, dass Start-ups kaum aus Risiko, sondern stark aus Unsicherheit heraus agieren. Genau dafür sind die tollen, neuen Methodiken gemacht. Wer so denkt, ist mehr darauf bedacht, Erfolgswahrscheinlichkeiten zu optimieren, schnell zu sein und am Ball zu bleiben. Das gelingt, indem viele kleine Wetten platziert werde, statt eine große Wette. Bedeutet: Wenn ich nicht weiß, was mir morgen das digitale Geschäft hebelt, muss ich mehrere Dinge ausprobieren und hoffen, dass von den zehn Dinge die ich tue, mindestens zwei zünden. In der alten Logik wäre die Denke eher: Die Kunden wollen Online Kaufen, wir bauen einen Online Shop für 600.000 EUR, das wird dann schon klappen.

Das Paradoxe dabei: Es ist nicht so, dass die Vorstände, CEOs oder E-Commerce-Leiter das nicht verstehen. Trotzdem stellt sich in den wenigsten Unternehmen jemand vor das Management Board und sagt: “Der wichtigste KPI und das größte Risiko für uns ist die Zeit,” findet Boris. Lieber nochmal drei Monate schlaue Berater-Slides malen lassen, statt in drei Monaten den MVP live zu haben. Managerkarrieren sind selten auf die in der Wahrnehmung “richtige” Herangehensweise von Trial and Error incentiviert: “Das ist eigentlich die Sollbruchstelle,” hat Boris in hunderten Gesprächen, Pitches und Workshops festgestellt. 

“Was haben wir nicht in Berlin schon Start-up-Zoo-Touren gemacht, z.B. mit Family Offices oder CEOs. Alle sagen ‘Tschakka’, aber zuhause bekommt der Projektleiter das Thema nicht von der Straße. Er findet es cool, sein CEO findet es cool, der Eigentümer der Company findet es cool. Alle finden es cool. Aber dann scheitert es eben genau an diesen Risikomanagement-Frameworks der Unternehmen.”

Boris Lokschin, Spryker CEO

Teile diesen Beitrag in...

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.