Aus digitaler Sicht gehört die Baustoffbranche mit ihren Herstellern, Handelsverbünden und Fachhändlern zu den absoluten „Laggards“ –den Zauderern. Gründe dafür gibt es viele: Bauhochkonjunktur, logistisch anspruchsvolles Geschäft, geringe Dynamik auf Kundenseite, unbewegliche Großkonzerne, die Liste liese sich lange fortführen. Das Potenzial für digitale Optimierung des Kerngeschäfts und neue digitale Geschäftsmodelle ist immens.
Noch gibt es nur eine handvoll Start-ups in diesem Bereich. Die Bobbie Deutschland GmbH aus München möchte sich das digitale Loch der Baustoffbranche zunutze machen. Alexander Gran ist einer der Co-Founder und Geschäftsführer des Baustoffhandels-Start-ups, das gerade in der Series-A-Finanzierungsrunde frisches Kapital für Wachstum einsammelt. Seit 2016 geht Bobbie der Frage nach, wie man auf der grünen Wiese einen digitalen Baustoffhändler aufbaut. 2017 folgte die Gründung und der Aufbau der Basics, 2018 war das Jahr, in dem die Gründer ihren “Proof of Concept“ erbrachten. „Die 2018er Umsätze sind Bonus, 2019 geht es richtig los,“ ist sich Alex sicher. Im ersten Schritt fokussieren sich die Herausforderer des etablierten Baustoffhandels auf die Garten- und Landschaftsbaubranche.
Der etablierte Baustoffhandel steht auf der Digitalbremse
Dabei ist der Baustoffhandel in seiner aktuellen Konjunkturphase alles andere als disruptionsgefährdet. Eine naive Aussage? Alex hat Hersteller getroffen, die sagen:
“Wissen Sie, wie ich im Moment Vertrieb mache? Ich kann liefern – reicht!
Alexander Gran, Co-Founder Bobbie Deutschland GmbH
Klar ist: Hochkonjunktur ist kein Dauerzustand. Lange nicht alle Produktgruppen gehen heute „vertriebsfrei“ weg wie warme Semmeln. Bei den „Hardcore Commodities“ mit hohem Gewicht und entsprechendem Frachtanteil, wie Sand, Beton oder Kalksandstein, entscheidet sich der Verkauf vor allem über den Preis. Bei einer Menge erklärungsbedürftiger Produkte und Lösungen, z.B. Dachbegrünung, müssen die Verkäufer der Hersteller eine Menge Vertriebs- und Know-how-Transferarbeit leisten, bevor die Bauherren, Baufirmen oder Architekten überzeugt sind. Der Handel bekommt von dieser Wertschöpfung wenig mit, er leistet in diesen Fällen oft nur den Fulfillment-Part (auch wenn er das nicht gerne hört). Im Volumengeschäft, z.B.im Straßenbau, ist der Handel aufgrund der großen Volumina schon länger außen vor.
Intransparenz und Komplexität bei der Preisfindung
Dem Fachhandel bleibt das Listen- und Thekengeschäft: Der vergessene Sack Zement oder die neue Terrasse. Preisintransparenz dominiert im Baustoffhandel: Beim Zementsack gibt es einen Individualrabatt, für die Terrasse wird ein objektspezifischer Preis kalkuliert. Letzteres läuft grob so ab:
- Kunde möchte eine Terrasse bauen
- Handwerker fragt Materialien beim Handel an (z.B.Terrassenplatten)
- Handel fragt Positionen beim Hersteller an
- Hersteller liefert Preis, inklusive Fracht
- Händler schlägt seine Marge auf
- Kunde erhält den Preis
Jeder Beteiligte an dieser klassischen Wertschöpfung hat über die Jahrzehnte gelernt, seine Marge in dieses Geflecht einzuweben:
„Gerade der Handwerker lebt auch von den Margen, die er vom Handel erhält, und vom Preisschutz, den er gegenüber den Privaten genießt. Wenn du als Privatkunde an den selben Händler herantrittst, bekommst du einen schlechteren Preis als der Profi.“
Alexander Gran, Co-Founder Bobbie Deutschland GmbH
Der Regelprozess ist ein Anfrageprozess, selbst bei einzelnen Positionen. Bei komplexeren Anfragen, z.B. ganzen Gebäuden, wird vom Architekten ein Leistungsverzeichnis erstellt, das der Bauunternehmer an den Handel weiterleitet. „Wenn er hinreichend stumpf ist, leitet der Handel dasauch eins zu eins an alle verfügbaren Hersteller weiter,“ so Alex Gran. Den gleichen Weg nimmt das Angebot dann wieder zurück. Mit einer klugen digitalen Lösung, selbst ohne KI, können diese Prozesse stark optimiert werden, ist sich Alex sicher. Allein die in diesem manuellen Prozess unausweichlichen, händischen Fehler werden über einen automatisierten Prozess stark reduziert.
Erosion der Margen (und Leistungen) des Baustoffhandels: Chancen für digitale Fachhändler
Die Entwicklung im Baustoffhandel ist paradox: Weder haben Baukunden Lust, eine große Anzahl an Herstellern direkt als Lieferanten anzubinden, noch haben Hersteller Lust, mit hunderten einzelnen AbnehmernVereinbarungen zu schließen. Bonität und Baustellenlogistik übernehmen? Bis zu einem kritischen Volumen ziemlich unattraktiv für Hersteller. Trotzdem werden die Produkte der Hersteller komplexer, die Produktportfolien breiter, die Herausforderungen der Kunden anspruchsvoller. Diese Breite und Komplexität kann der Vertrieb des Handels schlecht abdecken, die Hersteller müssen „an die Vertriebsfront“. Dem Handel bleiben Logistik und Lager, was einerseits vor allem auf größerer Skala Sinn macht (Logistik) bzw. aufgrund von Einflussfaktoren wie „Made-to-Order“-Produkten immer unbedeutender wird. Bei Commodities wie Fliesenkleber, Schachtabdeckungen oder Knochensteinen siegt am Ende der Preis, immer. Die Differenzierung des Handels ist hier unmöglich.
Die Rechtfertigung einer Marge nimmt für den stark regional fokussierten Handel immer stärker ab. Die ersten wenden sich vom Handel ab, so bot z.B. der französische Baustoffkonzern Saint Gobain seine Baustoffhandelssparte Raab Karcher in Deutschland zum Verkauf an. Der Druck auf den Handel, mit weniger Marge auszukommen, steigt. Bobbie setzt darauf, als digitaler Fachhändler mit automatisierten Prozessen eine bessere Kostenstruktur zu haben. Dazu müssen Kernprozesse wie das Produktlisting, die den Etablierten große Schmerzen bereiten, reibungslos funktionieren. Dieses hat Bobbie komplett an seine Lieferanten ausgelagert. Diese können, anders als im etablierten Handel, ihre Gesamtsortimente listen . Die virtuellen Sortimente bringen Bobbie in die Lage, seinen Kunden wiederum eine riesige Auswahl bieten zu können. Aus der virtuellen Konsolidierung von Sortimenten wird durch Datenveredlung von Bobbie, in die das Start-up „viel Know-how und Arbeit“ investieren, ein Schuh.
Was bedeutet “digitaler Fachhändler” für Bobbie?
Die Such- und Vergleichszeiten verringern sich massiv, Ausschreibung größerer Warenkörbe können stark automatisiert abgebildet werden. Das erhöht nicht nur die Prozessqualität, es senkt auch die Kosten. So kann Bobbie deutlich günstiger anbieten als seine etablierten Marktbegleiter. Beim Thema Fracht verhält es sich ähnlich. Das klassische Abtelefonieren von Speditionen entfällt, Frachtkosten werden auf Herstellervorgabe automatisch gerechnet. Ein deutlich günstiger und schnellerer Prozess. „Es sind einfache Dinge, da ist nicht so viel Rocket Science dahinter, aber eben ein von Anfang bis Ende durchdachter, digitaler Prozess,“ erklärt Alex Gran. Auch das Pricing hat Bobbie umgedreht. Bei der wachsenden Breite und Tiefe der Sortimente ist es laut Alex Gran „für Händler wie Bobbie fast unmöglich, ein kluges Pricing zumachen.“ Bobbie lässt es daher direkt die Hersteller machen, die ihren Markt deutlich besser kennen.
Die Angst, einer der Etablierten kann sich die Vorteile des Bobbie-Modells schnell selbst zu eigen machen, hat er nicht: „Klar ist, wenn jetzt jemand mit einem zweistelligen Millionenbetrag den Kram nachbauen will, den wir gebaut haben, dann wird er das wohl tun.“ Allerdings glaubt Alex nicht,dass dies das Ende seines zarten Pflänzchens bedeuten könnte: „Gerade in der digitalen Welt gewinnst du nicht, weil du der Beste bist, sondern weil du derBeste bleibst. Du musst schneller rennen als die anderen.“ Kleine Unternehmen wie Bobbie haben die Lösung als MVP am Markt, bevor bei anderen Unternehmen die Investitionsentscheidung getroffen wurde und „wahrscheinlich um Faktor zehn, eher um Faktor hundert billiger“.
Geschwindigkeit und Digitalkompetenz sind die Schlüssel
Die Fähigkeit, digitale Lösungen und Erweiterungen der Plattform selbstständig schnell an den Markt zu bringen, ist für Bobbie überlebenswichtig. Neben der Baustoffkompetenz zählt die Beherrschung moderner Softwarearchitekturen, Code und Daten zu den Kernkompetenzen. Bobbie strebt in der frühen Phase eine Mischung aus „Make and Buy“ an. Nicht alle Softwarekomponenten der Plattform werden selbst entwickelt. Plattformarchitektur, -weiterentwicklung und den Betrieb steuert Bobbie jedoch zentral. Über sein Netzwerk hat Alex dafür ein dezentrales Entwicklungsteam aufgebaut, das über den Globus verstreut sitzt. Die Qualitätskontrolle neuer Entwickler übernimmt Alex als „Chief Technology Officer“, indem er den geschriebenen Code selbst liest. Bobbie hat so aus der Not eine Tugend gemacht. Lieber einen sehr guten Entwickler, der in Sewastopol sitz, als zehn durchschnittliche Entwickler in München.
Kompetenz in Software und digitalen Technologien wird für Hersteller und Händler im Baustoffbereich erfolgskritisch werden. Nicht zuletzt auch durch das Thema „Building Information Modeling“ (BIM). Viel wird darüber gesprochen, oft wird wenig davon verstanden. „Am Ende geht’s darum, dass ich alle Informationenzu einem Bauprojekt in einem Stück Software halte,“ fasst Alex prägnant zusammen. Doch der Mangel an BIM-fähigen Herstellerdaten ist heute noch ein großes Problem, die Qualität geht über die einzelnen Bereiche weit auseinander: Fenster gibt es z.B. schon als 3D-Modell, bei Parkettböden gibt es so gut wie keine BIM-fähigen Daten. Auch das Thema sieht Bobbie als Chance, sich im Markt zu etablieren: „Wir verstehen uns da perspektivisch als Datendrehscheibe,“ erklärt Alex und fügt an: „wir brauchen die für unser Handelskerngeschäft sowieso zwingend.“ Wohl dem Baustoffhändler, der so denkt.
Die Zukunft am Bau ist digital
Und auch andere, von der Digitalisierung begünstigte Megatrends im Baubereich, werden die Branche nachhaltig verändern:
- Vorfertigung: Immer größere Teile der Bau-Wertschöpfung verlagernsich von der Baustelle in Fabrikhallen, die sogenannte Vorfertigung ersetzt denmanuellen Bauprozess. Der Fachkräftemangel begünstigt diese „arbeitskräfteschonende“ Herangehensweise zusätzlich.
- Robotik und Automatisierung: Die sich von der Baustelle in die Fabrikhalle verlagernden Arbeitsschritte können dort unter denkontrollierten Bedingungen zu hohem Grad automatisiert werden.
- Systemlösungen und Direktvertrieb der Hersteller: Die Komplexität der Lösungen für Bauprojekte steigt und mit ihr auch die Komplexität von Beratung und Vertrieb. Dies erfordert einerseits, dass mehrInformationen in Form von Daten zur Verfügung gestellt werden müssen, andererseits eine Spezialisierung im Vertrieb.
Auch wenn der Wandel in der Baustoffbranche langsam erscheint und noch viele in der Branche ihren analogen Beton anrühren: Für Bobbie und alle anderen Start-ups im Bau- und Baustoffhandelsbereich öffnen sich neue digitale Spielwiesen, die mit dem klassischem „wir machen mal einen Online Shop für Sortiment XY“ nicht viel zu tun haben.
Es gab vor ca. 3 Jahren mal bei Saint-Gobain / Raab Karcher sehr fähige Meschen hier in D, die genau das was Bobbie da macht, auf Saint-Gobain Ebene machen wollten. Nur leider konnte sich die französische Mutter dafür nicht erwärmen (zu teuer, das brauchen wir nicht, wozu soll das nutzen usw.) und hat diese Herren kalt gestellt.
Und jetzt wird man bei SG halt rechts überholt…
Wir freuen uns auf jeden Kontakt zu fähigen Leuten, die mit uns Gas geben wollen. Mit einzelnen SGBDD Leuten hatten wir schon Kontakt, aber da ist sicher noch Luft nach oben!
Ich sag nur, der nächste Rohrkrepierer. Wollen wir wetten? Das Geschäftsmodell hier gibt es nicht für eine Hand voll Millionen.