Stuttgart, 21.12.2016. In den vergangenen Tagen haben sich die Ereignisse im Digitalen MRO-Business regelrecht überschlagen: Wucato launcht seine Beschaffungsplattform, Amazon Business launcht in Deutschland, Procato wird zum 28.02.2017 wegen Erfolglosigkeit vom Netz genommen. Toolineo macht im ersten Jahr nur 1 Mio. EUR Umsatz. Dies sind genug Gründe, um eine Bestandaufnahme des Marktes und eine Einordnung der jeweiligen Player vorzunehmen.
Als Proclaimer sei noch gesagt, dass die Aufstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und ich mich über die Nennung weiterer Player in den Kommentaren freue. Die Aufstellung und Einordnung spiegelt eine persönliche Wahrnehmung basierend auf den mir verfügbaren Informationen wieder.
- Y-Achse (Plattform/Onlineshop): Je mehr Services geboten werden, je eher eine Plattform einen Marktplatz darstellt und je höher die Möglichkeit der vertikalen, digitalen Integration in die Geschäftsprozesse eines Kunden ist, desto eher ist es eine Plattform. Je weniger dieser Möglichkeiten vorhanden sind, desto eher ist ähnelt das Geschäftsmodell einem reinen Onlineshop.
- X-Achse (Einmannbetrieb/DAX-Konzern): Auf dieser Achse ist die Spanne der Kunden bzw. Ziegruppe nach ungefährer Größe aufgetragen.
- Ovalgröße: Die Größe des Ovals setzt sich aus der ungefähren Sortimentsgröße und der ungefähren Ziegruppenabdeckung ab.
- Wer steckt dahinter: Amazon Inc., Seattle (USA)
- Geschäftsmodell: Offener Marktplatz + Retail
- Launch DE: 2016
- Logistik: Amazon Logistikzentren in Europa und Händlerlogistik
- Sortiment: Über 230 Mio. Artikel auf der Plattform, davon ca. 1,7 Mio. “reine” B2B-Artikel
- Kunden: Vom Einmannbetrieb bis zum DAX-Konzern, alle Branchen und Industrien
- Vertrieb: Telefonvertrieb, Direktvertrieb (Key-Account), Online Marketing
- Umsatz: Keine Zahlen verfügbar. USA: 1 Mrd. USD von Mai 15 bis Mai 16
Die Besonderheiten von Amazon sind kaum alle Aufzuzählen. Speziell für den B2B-Bereich hat sich Amazon jedoch neben bestehenden Themen wie Prime, Same-Day etc. weitere neue Sachen einfallen lassen. So ist z.B. die Anbindung von Warenwirtschaftssystemen über Amazon Business im Self-Service möglich. Ein Quantensprung im B2B E-Commerce!
- Wer steckt dahinter: Project A (Company Builder), Berlin
- Geschäftsmodell: Online Shop
- Launch DE: 2014
- Logistik: Eigene Logistik für Topseller und Eigenmarken, Händlerlogistik
- Sortiment: 150.000 Produkte
- Kunden: Handwerksunternehmen, Kleinunternehmen, Privatkunden
- Vertrieb: Online Marketing, Telefonvertrieb, Stationäres Geschäft, Marktplätze, Preissuchmaschinen
- Umsatz: 8-12 Mio. EUR (Schätzung warenausgang.com) (Update 31.03.2017: Contorion erwirtschaftete im 1. Quartal 2017 einen Umsatz von ca. 9,5 Mio. EUR nach Storno und Retouren)
2016 war ein interessantes Jahr für Contorion: nach der Eröffnung des Stores in Berlin-Steglitz wurde im Oktober eine weitere Finanzierungsrunde mit ca. 12 Mio. EUR abgeschlossen. Einer der prominenten Investoren soll Kärcher sein. Mit Klöckner konnte ein weiterer prominenter Investor gewonnen werden. Im Vergleich zu seinen direkten Mitbewerbern setzt Contorion auf große eigene Kompetenz in IT und Daten.
- Wer steckt dahinter: Mercateo AG, München
- Geschäftsmodell: Marktplatz
- Launch DE: 2000
- Logistik: Händlerlogistik
- Sortiment: > 20 Mio. Artikel
- Kunden: Mittelgroße bis große Unternehmen
- Vertrieb: Direktvertrieb
- Umsatz: 200 Mio. in 2015
Mit über 15 Jahren am Markt ist Mercateo der Methusalem unter den B2B E-Commerce Marktplätzen. Was zu Beginn als Online Marktplatz gedacht und auf gebaut war, entwickelt sich immer Stärker zur E-Procurement-Plattform. Schon seit 2014 setzt Mercateo nicht mehr auf exzessives Online Marketing, sondern baut den eigenen Direktvertrieb mit Fachberatern und Verkäufer aus.
Procato (Offline ab Ende Februar 2017)
- Wer steckt dahinter: Eine lange Liste an deutschen (Werkzeug-) Herstellern: Bosch, Bahco, Brennenstuhl, CP, Dormer, Dr. Hahn, Fein, Festool, Fischer, Gedore, Heco, Hultafors, Kärcher, Klingspor, Layher, Ochsenkopf, Parat, Pferd, Rothenberger, Snickers, Sata, Spax, Stabilia, Wiha
- Geschäftsmodell: Marktplatz
- Launch DE: 2015
- Logistik: Händlerlogistik
- Sortiment: 60.000 Produkte
- Kunden: Handwerksunternehmen, Kleinunternehmen, Privatkunden
- Vertrieb: Online Marketing, Herstelleranbindung
- Umsatz: Keine Zahlen verfügbar
Das Experiment Procato ist gescheitert. Der Versuch, aus der Industrie heraus ein Portal unter Einbeziehung der Fachhändler aufzubauen, dass dann über Online Marketing den Traffic konsolidiert, ist fehlgeschlagen. In der offiziellen Information von Gesellschafter Kärcher ist die Rede davon, dass die Marktakzeptanz bei weitem nicht den Erwartungen aller Beteiligten entsprach. Dem ist nichts hinzuzufügen.
- Wer steckt dahinter: Vier Gesellschafter: Hoffmann Group, Hagemeyer, Kaiser + Kraft, Keller&Kalmbach
- Geschäftsmodell: Geschlossene, digitale Beschaffungsplattform
- Launch DE: 2000
- Logistik: Händlerlogistik
- Sortiment: 51.000.000 Produkte (nachträglich korrigiert)
- Kunden: Mittelgroße bis große Unternehmen
- Vertrieb: Direktvertrieb
- Umsatz: > 50 Mio. EUR
Simple System gibt es bereits seit der Jahrtausendwende. Es ist die digitale Beschaffungslösung von Hoffmann, Hagemeyer, Kaiser+Kraft und Keller&Kalmbach, vier etalblierten Schwergewichten des B2B-Handels also. In den Jahren 2014 und 2015 erfolgte eine komplette Restrukturierung und Renovierung des Ansatzes. 2015 wurden erstmals eigene Mitarbeiter eingestellt. Zugleich wurden die vier Gesellschafter aus der Kommunikation getilgt.
- Wer steckt dahinter: Würth-Gruppe, Künzelsau
- Geschäftsmodell: Online Shop
- Launch DE: 2014 (Übernahme durch Hahn+Kolb)
- Logistik: Hahn+Kolb-Logistik, Händlerlogistik
- Sortiment: 300.000 Produkte
- Kunden: Handwerksunternehmen, Kleinunternehmen, Privatkunden
- Vertrieb: Online Marketing, Marktplätze, Preissuchmaschinen
- Umsatz: 10-15 Mio. EUR (Schätzung warenausgang.com)
Anfang 2014 übernahm Hahn+Kolb, ein Tochterunternehmen der Würth-Gruppe, svh24. In 2014 und 2015 zeichnete sich svh24 durch aggressiven Ausbau des Sortiments aus. Dazu gehören auch Würth-Konzernmarken wie ATORN, Orion oder WASI. Heute ist die SVH Handels-GmbH einer der größten Händler in der Kategorie “Gewerbe, Industrie und Wissenschaft” auf Amazon. Vergleicht man die Anzahl der Kaufbewertungen der letzten 12 Monate von Shop (Trusted Shop/ ca. 3900), Amazon (ca. 3000) und Ebay (ca. 40.000), kommt man zu dem Schluss dass svh24 heute deutlich über 75% seines Umsatzes als Marktplatzhändler generiert.
- Wer steckt dahinter: EDE, Wuppertal
- Geschäftsmodell: Marktplatz
- Launch DE: 2015
- Logistik: EDE Zentrallogistik und Händlerlogistik
- Sortiment: 80.000 Artikel
- Kunden: Handwerksunternehmen, Kleinunternehmen, Privatkunden
- Vertrieb: Online Marketing
- Umsatz: 1 Mio. EUR in 2016
Toolineo ist Procato sehr Nahe: ein selektiver Marktplatz, auf dem nur Händler des EDE vertreten sind. Im Dezember 2016 wirken selbst ein Jahr nach Launch viele Punkte in der Customer Experience noch sehr verwirrend. So wird auf der Produktdetailseite nicht wie bei Amazon der Händler mit dem günstigsten Preis automatisch bevorzugt. Zudem werden den Kunden teilweise zweimal die Versandkosten berechnet, je nachdem wo die Produkte auf Lager liegen. Somit ist Toolineo evtl. auch in der Halbwertszeit seinem (ex-) Marktbegleiter aus Stuttgart sehr nahe.
- Wer steckt dahinter: Würth-Gruppe, Künzelsau
- Geschäftsmodell: Geschlossene, digitale Beschaffungsplattform mit Marktplatzelementen
- Launch DE: 2016
- Logistik: Händlerlogistik (keine eigene Logistik vorhanden)
- Sortiment: Über 500.000 Produkte
- Kunden: Mittelständische Unternehmen (ab min. 15 Mitarbeitern)
- Vertrieb: Über Würth-Gruppe (Außendienst), eigener Außendienst
- Umsatz: Keine Zahlen verfügbar
WUCATO wirkt auf den ersten Blick wie der nächste Marktplatzanbieter im B2B-Bereich. Erst bei näherem Hinsehen erschließt sich das Geschäftsmodell besser. Es ist mehr Software-as-a-Service denn Marktplatz: Eine Web-Lösung für Mittelstandskunden, die ihren Einkauf organisieren und produktiver gestalten wollen. Im Vergleich zu anderen Marktplätzen ist WUCATO auf der Sell-Side (Händlerseite) sehr selektiv.
- Wer steckt dahinter: Eriks NV, Alkmaar, Niederlande
- Geschäftsmodell: Online Shop
- Launch DE: Update: am 09.03.2017 ging der Zamro-Shop in Deutschland online (Benelux: 2016)
- Logistik: Eriks Logistik
- Sortiment: Über 550.000 Artikel
- Kunden: Handwerksunternehmen, Kleinunternehmen, Privatkunden
- Vertrieb: Online Marketing
- Umsatz: keine Zahlen verfügbar
Zamro ist, ähnlich wie Wucato, ein Spin-Off eines etablierten B2B-Konzerns. In diesem Fall steht ERIKS, einer der größten technischen Großhändler Europas, hinter dem Startup, das seinen Sitz prominent in Amsterdam hat. Entgegen dem Trend setzt Zamro nicht auf die Etablierung eines Marktplatzes, sonder zielt bewusst auf den Aufbau eines Online Pureplay Händlers.
- Wer steckt dahinter: Grainger Inc., Lake Forest, USA
- Geschäftsmodell: Online Shop
- Launch DE: 2014
- Logistik: Eigene Logistik für Topseller, Dropshipping durch Hersteller
- Sortiment: Über 500.000 Artikel
- Kunden: Handwerksunternehmen, Kleinunternehmen, Privatkunden
- Vertrieb: Online Marketing, Marktplätze (z.B. Amazon), Preissuchmaschinen
- Umsatz: 10 – 20 Mio. EUR p.a. (Schätzung warenausgang.com)
Zoro Tools bildet nach wie vor die Speerspitze Graingers in der Erschließung des europäischen Marktes. Die Amerikaner wollen Ihr “Single Channel Online Business” innerhalb der nächsten drei Jahre von 1 Mrd. USD auf 2 Mrd. USD steigern. Der europäische Markt (Im MRO ca. 120 Mrd. USD groß) spielt dafür bei Grainger eine große Rolle. Somit kann man sicher sein, dass Grainger auch zukünftig großflächig in Zoro investieren wird.
Hallo Lennart,
eine ausgezeichnete Übersicht, vielen Dank! Freue mich auf ein baldiges Wiedersehen und wünsche dir bis dahin schöne Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr.
Herzliche Grüße aus Köln
Kai
Hallo Kai,
danke, dir ebenfalls!
Interessante Aufstellung und gute Kurzbewertung.
Was mir so spontan auffällt:
BERNER-Gruppe (immerhin Nr.2 in D nach eigenen Angaben) kommt da gar nicht vor, obwohl man doch extra in Köln eine neue e-Business-Truppe (versucht) hochzuziehen.
Auch FÖRCH kommt hier nicht vor (zu klein?)
Mal sehen was das Jahr 2017 im B2B Handel so bringen wird – es wird auf jeden Fall spannend.
Hallo Herr Herzog,
Die Aufstellung beinhaltet ja nur rein digitale Player bzw. Digital First Ansätze. Daher ist Berner und Förch darin nicht enthalten. Weder die groß angekündigte (und bisher nicht sichtbare) Digitalrevolution aus dem Hause Berner, noch der mittelmäßige Onlineshop von Förch qualifizieren diese beiden für einen Platz in dem Ranking.
Viele Grüße
Lennart Paul
Vielen Dank für die Übersicht, diese ist für uns als Hersteller wirklich sehr Interessant.
Allein das Merkmal der Sortimentsgröße scheint mir fraglich, z.B. hat Zoro sicherlich 500k Artikel in der Datenbank, davon sind aber gefühlt 80% derzeit nicht lieferbar (eigene Einkaufserfahrung). Die Angaben der Betreiber zu dieser Kennzahl scheinen mir eher PR-getrieben (von Amazon abgesehen).
Das ist eine sehr aufmerksame Beobachtung. Tatsächlich scheinen bei Zoro die Lieferzeiten für viele Produkte mehr als drei Werktage zu betragen. Trotzdem glaube ich, dass hier nicht pauschal argumentiert werden kann.
Hallo Lennart,
wirklich tolle Zusammenstellung.
Ich denke, dass sich bei der Sortimentsgröße Simple System ein kleiner Fehler eingeschlichen hat.
Wirbt man hier nicht mit mehren Millionen Artikeln?
Nochmals Vielen Dank für die Zusammenstellung
Hallo David,
hallo Lennart,
interessante Übersicht, gefällt mir gut.
Wie David aber schon erkannt hat, ist dir leider bei Simple System ein Fehler unterlaufen. Wenn du noch 2 Nullen hinten dran hängst, geht die Sortimentszahl schon mal in die richtige Richtung 😉
Gruß
Daniel
Hallo,
vielen Dank für diese wirklich gelungene Übersicht. Das hat uns sehr bei unserer Recherche geholfen.
Grüße
Frank