Ich bin mir sicher, an neuen Ideen für digitale Geschäftsmodelle, Webshop-Features oder digitale Services mangelt es in den meisten Unternehmen nicht. Gute Ideen allein bringen jedoch kein Unternehmen weiter. In der digitalen Welt ist allein die Frage entscheidend, wie schnell aus guten Ideen Wirklichkeit wird. „Einfach tun“ scheint prinzipiell ein guter Rat, nur ignoriert er die Wirklichkeit in vielen Unternehmen. Die Umsetzung digitaler Innovationsideen in etablierten Unternehmen scheitert oft daran, dass der Großteil der internen Stakeholder nicht richtig beteiligt wird. Ich selbst habe schon den Fehler begangen, mit einem Business-Plan zu starten, statt mit der iterativen Entwicklung der Idee in der Praxis. Wenn Unternehmen wollen, ist es jedoch nicht so schwer, auch nahe am Kerngeschäft Digitalinnovation umzusetzen.
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Viel probieren, oft scheitern
Die Ausgangssituation stellt sich immer identisch dar: Die für digitale Geschäftsmodellinnovation infrage kommenden Unternehmensbereiche wie Vertrieb, Marketing oder E-Commerce sind mit dem Tagesgeschäft mehr als ausgelastet, an digitale Innovationsprojekte ist ohne erheblichen zusätzlichen Einsatz der Mitarbeiter nicht zu denken. Budgets sind zudem begrenzt. Genau hier, meint man, setzt ein Start-up an. Einfach mal machen! Diese sozialromantische Vermutung ist berechtigt. Tatsächlich leben alle (großen und kleinen) Start-ups davon, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Ansätze auszuprobieren und die weiter zu verfolgen, die funktionieren und Ertrag bringen. Das ist bei Amazon oder Zalando nichts anderes als bei einem gut organisierten Drei-Mann-Early-Stage-Start-up, das gerade einen Monat existiert.
“I believe we are the best place in the world to fail (we have plenty of practice!), and failure and invention are inseparable twins.“
Jeff Bezos, Amazon, Letter to Shareholders 2016
„Gut organisiert“ – als Partner und Projektverantwortlicher bei Etribes habe ich im letzten Jahr in verschiedenen Fällen sehen dürfen, dass ein stringenter und organisierter Prozess dazu führt, dass aus Ideen schnellstmöglich Realität wird. Natürlich nicht als vollständig ausgereiftes und perfekt sitzendes Geschäftsmodell, aber als Prototyp, als schnellstmöglich umsetzbare Version eines digitalen Services oder sogar nur als „Fake“ ohne Funktion, dafür aber mit echter Customer Experience. Mit meinem Kollegen Tobias Stamatis habe ich daher einen Prozess entwickelt, den wir bereits in der Praxis erproben konnten.
Es geht darum, innerhalb kürzester Zeit und limitierten Ressourcen ein Konzept zur Umsetzung einer Idee zu entwickeln und dieses zu validieren. Innerhalb etablierter Organisationen digitale Innovationsprojekte mit der bestehenden Mannschaft zu ermöglichen ist kein Zuckerschlecken, aber es ist möglich. Egal, ob es um eine Erweiterung des Kerngeschäfts (z.B. eine neue Funktion im Webshop) oder ein neues Geschäftsmodell (z.B. einen B2B-Service-Marketplace) geht.
Platz schaffen für Digitalinnovationsprojekte
Was dem gezielten Nachverfolgen von Digitalinnovationen oft im Wege steht, ist das Tagesgeschäft. Ohne hier aufzuräumen ist an mehr Digitalinnovation kaum zu denken. Die Lehmschicht des Tagesgeschäfts hindert daran, neue Ideen auszuprobieren, im Großen wie im Kleinen. Der erste Schritt, dieses Digitalinnovationshindernis zu beseitigen ist, transparent zu machen, wie die heutigen Aufgaben der Teams und Mitarbeiter aussehen und wie viel Aufwand hinter jedem Aufgabenblock steckt. In den wenigsten Vertriebs-, Marketing und E-Commerce-/Digitalteams herrscht heute diese Transparenz. Digitalinnovationsteams über mehrere Unternehmensbereiche zusammenzustellen scheitert daran, dass nicht klar ist, wer eigentlich über die Fähig- und Fertigkeiten verfügt, die für das nächste Projekt gebraucht werden.
INNOVATE OR DIE – Digitale Innovationen aus der B2B-Digital-Praxis
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Auf Basis dieser Übersicht kann im nächsten Schritt eine Neuverteilung von Aufgaben koordiniert werden. In manchen Fällen ist dies wohl relativ einfach, z.B. wenn im Digitalteam historisch gewachsene Aufgaben des Tagesgeschäfts vorhanden sind, die eigentlich in einem anderen Unternehmensbereich erledigt werden sollten. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das Erstellen von E-Commerce-Reportings, eigentlich eine Aufgabe des Controllings. Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die für das eigene Kerngeschäft nicht kritisch sind, können gut ausgelagert werden. Für die Akzeptanz von allen Seiten ist dabei entscheidend, diese Themen nicht am grünen Tisch zu entscheiden, sondern möglichst mit Beteiligung aller Betroffenen. Auf diese Art und Weise wird nicht nur Platz für digitale Innovation geschaffen, historisch gewachsene, nie hinterfrage Vorgehensweise können so zudem „aufgeräumt“ werden.
Gut organisiert statt sozialromantische Start-up-Anarchie
Zur Vorbereitung gehört, sich mit der „Digital-Innovations-Vision“, den Zielen des Prozesses, Regeln für die Prozesssteuerung, der Prozessorganisation und den im Prozess (siehe folgender Abschnitt, Schritt 4) angewandten agilen Start-up-Methoden zu beschäftigen. Hier werden Arbeitsauftrag, Leitlinien, Spielregeln und Werkzeuge für die Digitalinnovationsprojekte festgelegt. Dazu gehört auch, sich über die Einbindung aller Stakeholder ausreichend Gedanken zu machen und einen festen Prozess, wer, wann, wie ins Projekt involviert werden muss und wann Entscheidungen getroffen werden müssen, zu skizzieren.
Auf der so geschaffenen, bereinigten Basis kann der Grundprozess für schnelle und standardisierte Evaluierung guter Ideen in einem Innovationsprozess aufgesetzt werden. Er lässt sich grundsätzlich in sechs Phasen einteilen, die Umsetzung erfolgt jedoch in jedem Unternehmen individuell:
- Ideenpool
Im Ideenpool sammeln sich alle digitalen Ideen zu Optimierung bzw. Ergänzung des bestehenden Geschäftsmodells (z.B. neue digitale Services), oder für komplett neue digitale Geschäftsmodelle. Diese Ideen werden grob priorisiert, die Top-Ideen werden auf Basis von Business-Value-Bewertungen zudem noch feingliedriger ausgearbeitet.
- Ideen-Review
Gemeinsam mit allen beteiligten Stakeholdern wird, z.B. in Form eines Entscheidungskomitees-Jour-Fixes, ein oder mehrere Digitalinnovationsprojekte ausgewählt. Die Regel ist eher, dass ein Projekt umgesetzt wird, vor allem, wenn es der erste Durchlauf des Digitalinnovations-Prozesses ist. Grundsätzlich sind mehrere parallele Projekte mit parallelen Teams auch möglich.
- Kompetenz-Center
Für das ausgewählte Projekt wird bestimmt, welche Profile im Digitalinnovationsteam vorhanden sein müssen. Auf Basis der zuvor durchgeführten Analyse der Fähig- und Fertigkeiten der am Digitalinnovationsprojekt beteiligten Mitarbeiter wird das passende Team für das Digitalinnovationsprojekt zusammengestellt.
- Konzeptionsprozess
Das Digitalinnovationsteam entwickelt mit agilen Methoden, z.B. Design-Sprints, ein erstes Setup und Szenarien zur Umsetzung der Idee. Daraufhin entwickelt das Team einen „MVP“ (Minimal Viable Product), also das kleinstmöglich lebensfähige Produkt, um damit das Konzept unter Beweis stellen zu können („Proof-of-Concept“)
- Setup-Validierung
Im Rahmen der Validierung des Setups bestimmt das Entscheidungskomitee, ob das vorgelegte Konzept seine Zustimmung erhält oder noch Optimierungswünsche bestehen. Im Falle der Optimierung durchläuft das Digitalinnovationsteam den vierten Schritt noch einmal, entweder ganz oder zumindest teilweise. Darüber hinaus kann an dieser Stelle eine Idee und ein Konzept verworfen werden. In diesem Fall fängt das Entscheidungskomitee wieder beim ersten oder zweiten Prozessschritt an, eine neue Idee auf den Weg zu bringen.
- Incubation-Prozess
Soweit das Konzept vom Entscheidungskomitee bestätigt wurde, wird das erarbeitete Konzept und Setup in einem Pilotprojekt vom Digitalinnovationsteam oder dessen Erweiterung umgesetzt. Das Unternehmen kann in diesem Fall ein neues Digitalinnovationsprojekt anstoßen.
Interner Widerstand killt jedes Digitalinnovationsprojekt: Alle müssen an Bord sein
Eines der Hauptmerkmale des Prozesses ist, dass an jeder Stelle alle Stakeholder permanent aktiv mit einbezogen werden. Transparenz und Engagement sind wichtige Säulen für Digitalinnovation im Unternehmen, vor allem, wenn es darum geht, in bestehenden Unternehmen Abläufe neu zu gestalten und „siloübergreifend“ zu arbeiten. Das Commitment aller Beteiligten im Unternehmen ist unabdingbar, z.B. wenn es darum geht, Mitarbeiter für die Teilnahme an Digitalinnovationsprojekten für einen gewissen Zeitraum nahezu komplett freizustellen. In allen sechs Grundschritten des Prozesses ist der Einbezug von Stakeholdern integriert.
Ich persönlich bin kein großer Freund von klassischem Change Management, habe aber die besten Erfahrungen damit erzielt, „Betroffene zu Beteiligten“ zu machen.
Exkurs: Gewissheit in sechs Wochen – Der Innovationsprozess in der Praxis
Vom ersten bis zum sechsten Schritt vergehen nur wenige Wochen. Geschwindigkeit spielt eine sehr große Rolle und kann auch als ein Ziel definiert werden. Dazu müssen Unternehmen jedoch bereit sein, sich von der sonst gewohnten „Perfektion“ zu verabschieden. Für viele Unternehmen ein Kulturschock, der aber umso softer ausfällt, je besser alle Stakeholder permanent in den Prozess involviert sind, um nicht später mit einem Ergebnis konfrontiert zu sein, das unter den eigenen Erwartungen liegt. |
Vorbereitung 1: Zeit schaffen für Digitalinnovation
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Vorbereitung 2: Neuverteilung der Aufgaben
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Schritt 1: Business Value Bewertung der Ideen
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Schritt 2: Challenging & Priorisierung der Ideen mit Stakeholdern
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Schritt 3: Team-Staffing
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Schritt 4: Konzeption der Idee
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Schritt 5: Validierung und Entscheidung mit Stakeholdern
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Digitale Innovation = Wettbewerbsvorteil
Warum der ganze Innovations-Firrlefanz? Ich bin überzeugt, dass wir uns mit immer größeren Schritten einer Ära nähern, in der es nicht mehr getan ist, den Standard zu installieren und zu administrieren, sondern digitale Innovation auf allen Ebenen als Alleinstellungsfaktor und Triebfeder für Kunden- und Umsatzwachstum wird. Viele Unternehmen sind heute im Bereich digitaler Innovationen extrem schwach aufgestellt. Die eine oder andere Start-up-Beteiligung löst dieses Problem nicht. Unternehmen stehen sich selbst im Weg, gute Ideen sind jedoch in fast allen Unternehmen vorhanden. Eine ernsthafte, berechenbare und konsequente Plattform inkl. Prozess zur Validierung und Umsetzung der Ideen ist der erste Schritt, das digitale Innovationspotenzial im Unternehmen zu heben. Die Erfolgsfaktoren für den Innovationsprozess lassen sich nahezu alle selbst schaffen, sie sind ein Produkt des Willens der Unternehmensführung.