Leipzig / München, 28. März 2017. Mercateo kann mit Fug und Recht von sich behaupten, einer der B2B-Online-Player zu sein, der mit Abstand am längsten auf dem Markt ist. Das ist Segen (Bekanntheit) und Fluch (schwindende Innovationskraft) zugleich. Schaut man z.B. auf des Frontend des Mercateo-Marktplatzes, findet man dort zwar mittlerweile über 22 Millionen Artikel, deren Darstellung ist aber eine Reminiszenz an die mittleren Nullerjahre.
Das komische an Mercateo: Die Firma wächst zwar wie der Teufel, z.B. um 25% im Jahr 2015, doch so richtig erklären kann man sich das Wachstum nicht. Mit Google hat man sich vor einigen Jahren überworfen und schaltet keine AdWords mehr. Stattdessen setzt man auf den Ausbau des regionalen (Key-Account-) Vertriebs. “Multichannel!” werden da einige vielleicht gleich wieder rufen. Das ist aber Mumpitz. Am Frontend wurde offensichtlich schon einige Jahre nichts mehr optimiert. Als Usability-Best-Case hat sich Mercateo somit sicher nicht mit Ruhm bekleckert.
Alles beim Alten bei Mercateo?
Das Thema der Randbedarfsbeschaffung, also im Sortiments-Longtail, hat Mercateo einst groß gemacht. Mit Kunden wie Miele oder RWE machte Mercateo einst das Modell der Kreditorenkonsolidierung über einen zentralen Marktplatz salonfähig. Vom Pförtnerhaus bis zum roten Papier – all das existiert bis heute unter den 22 Millionen Artikel des Marktplatzes. Und dank der Anonymisierung der Händlernamen hat Mercateo es derzeit als einziger Anbieter geschafft, halbwegs erfolgreich um die böse Preistransparenz herumzukommen.
Doch auch Mercateo merkt: gegen einen Amazon wird’s schwer. Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt. Mercateo ist nicht mehr die einzige Plattform zur Deckung indirekten Bedarfs. So ist das Leid der Pioniere: Sie planieren den Weg und schneiden die Äste ab, sodass andere einfacher folgen können. Oft wird spekuliert, warum Amazon Mercateo nicht einfach kauft? Sicher, es wäre ein genialer Schachzug, denke man nur an die Sortimente und Kundendaten, die Mercateo über die Jahre gesammelt hat. Anscheinend traut sich Amazon jedoch zu, diesen Rückstand selbst schnell aufholen zu können.
Mercateo launcht Unite
Somit muss sich auch Mercateo bewegen. Anfang März haben sie das mit Mercateo Unite getan und einen großen Schritt in Richtung der modernen Plattformökonomie gewagt. Letzte Woche hatte ich die Möglichkeit, mir Unite in der Mercateo-Zentrale in München von Hans Pretz, dem zuständigen Produktmanager, live erklären zu lassen. Bereits seit 2,5 Jahren entwickelt Mercateo an Unite. Mittlerweile arbeiten fast 50 Mercateoianer daran. Auf den bme eLösungstagen folgte am 15. März der Soft-Launch.
Doch was ist “Unite”? Mercateo betreibt bereits seit einiger Zeit den “Mercateo BusinessShop” als weiteres Standbein neben dem Marktplatz und direkten Anbindungen über Schnittstellen. Der BusinessShop ist in etwa ein B2B-Onlineshop on Demand, wenn man so möchte. Eine cloudbasierte Commerce-Plattform für kleine und mittelständische Anbieter. Unite soll diesen Ansatz als Plattform fortführen. Statt wie beim BusinessShop nur eine 1-n (Ein Hersteller/Händler bedient viele Kunden) Beziehung zu ermöglichen, schafft Unite eine n-n (Viele Hersteller/Händler bedienen viele Kunden) Beziehung. Mercateo betreibt dabei rein die Plattform und hält sich bei allen anderen Themen heraus.
Sell-Side: Unite soll die persönliche Kundenbeziehung digital erweitern
Mercateo verspricht sich davon, dass die persönliche Beziehung, die natürlich nach wie vor einen hohen Stellenwert im B2B genießt, im Vordergrund steht. Soll heißen: Nach wie vor findet ein großer Teil der Kundenbetreuung und -entwicklung in der analogen Welt statt. Die Administration der Bestellungen, das Vertragsmanagement und die Bestellungen laufen jedoch über Unite. Dazu laden Anbieter ihre Sortimente auf Unite hoch. Die Plattform soll damit dazu beitragen, die Kundenbeziehung zu digitalisieren. Ganz wichtig: der Preis kann pro Kunde individuell per csv eingespielt werden. Die kundenindividuellen Preise bleiben somit bestehen, Preistransparenz wird “elegant umschifft”.
Kosten für Anbieter
- 500 EUR einmalig
- 50 EUR pro Monat
- 20ct pro übermitteltem Warenkorb
Aktuell dauert es eine Woche, bis ein neuer Lieferant angebunden ist. Der Benchmark hierfür ist jedoch “dawanda“, eine Plattform für Selbstgebasteltes, die es schafft “Hausfrauen” binnen 1-2 Stunden anzubinden. Für Hersteller will Unite zukünftig ebenfalls attraktiv sein. Hersteller stellen auf der Plattform ihr Sortiment zur Verfügung und haben daher die Hoheit über ihren Content. Die Partner – Fachhändler – stellen ihre Preise zur Verfügung. Ob das den Fachhandel final retten wird?
Buy-Side: Erstmal nur Sortimentskonsolidierung
Die Zielgruppe auf der Buy-Side sind KMU. Der Fokus liegt dabei eher auf K, also kleine Unternehmen, die ihre Lieferanten über eine digitale Plattform konsolidieren wollen. Das riecht stark nach dem, was WUCATO, das Würth Spin-off, vorhat. Doch anders als bei Unite konzentriert sich das Start-up der Schraubenkönige auf Unternehmen zwischen 20 und 500 Mitarbeitern.
Ein Beispiel: Ein Schreiner hat 20 Lieferanten (Schrauben, Werkzeug, Holz, Beschläge, etc.). Somit hätte er eigentlich 20 Logins für 20 Onlineshops. Mit Unite kann er dies jedoch konsolidieren. Sobald alle 20 Lieferanten auf der Plattform vertreten sind, kann der Schreiner hier seinen Warenkorb zentralisieren. Statt 20 Shops hat er alle Sortimente auf Unite. Die Produkte aus den unterschiedlichen Sortimenten legt er in den selben Warenkorb. Dieser wird dann von der Plattform gesplittet.
Die Kreditorenkonsolidierung findet jedoch (noch) nicht statt. Der Schreiner erhält weiterhin 20 Rechnungen von 20 Lieferanten. Die USPs von Unite sollten also zunächst Convenience, zentrale Administration und die vorbereitende Buchführung sein. Kunden, wie der Schreiner, können sich über den Unite App Store außerdem zusätzliche Sortimente im Stile einer App dazu holen. Der Großteil der Plattform basiert auf dem bestehenden Mercateo BusinessShop. Am Retro-Design des Produktkatalogs und der Produktdetailseiten wird das auch mehr als deutlich. Ist ja aber auch die Beta-Version.
Inhalte der Unite Beta-Version:
- Nutzerverwaltung für bis zu 80 Nutzer
- Transaktionsübersicht
- Stammdaten des Unternehmens, z.B. Kostenstellen
- Verträge und Vertragsmanagement der genutzten Apps
- Verträge, Kunden und Vertragsmanagement der angebotenen Apps
- Kundenindividuelle Preise
- Umkreissuche
Whirlpool Professional und Xt Verpackungen: Es gibt bereits Test-Cases aus der Praxis
Dass die Plattform nach dem Soft-Launch bereits einiges an Traction hat, zeigen zwei Fälle: Xt Verpackungen und Whirlpool. Letzterer hat seine Produkte für professionelle Endanwender, also B2B-Kunden, online rein über Unite zum Kauf im Angebot.
Xt Verpackungen ist ein kleines Unternehmen aus Ostwestfalen, das seine 130.000 Produkte online neben dem eigenen Shop, dem Mercateo Marktplatz, Verpackungsheld.de, Meplato, ebay und Amazon Business nun auch über Unite anbietet. Aus Sicht Dominik Heckers, Geschäftsführer von Xt Verpackungen und Mercateo-Testimonial, liegen die Vorteile Unites auf der Hand:
- Digitaler Beschaffungszugang
- Geringer Aufwand
- Kundenkontakt bleibt erhalten
- 1:1 Pricing
- Neutrale Plattform
- Reparaturen und Kostenvoranschläge können digital vertrieben werden
Fazit: Way to go, Mercateo!
In Zeiten, in denen durch Unternehmen wie Contorion im MRO, GastroHero im Gastronomiebereich oder Amazon Business im ganzen B2B-Markt große Veränderungen anstehen, trifft Mercateo Unite einen Nerv. Auf der Suche nach digitalen Gegenpolen, gerade zu Amazon Business, scheint Mercateo Unite zunächst eine interessante Alternative zu sein. Dies gilt gleichermaßen für Kunden, Händler und Hersteller.
„Das ist eine vollständige Umkehr davon, wie man sich bisher als Unternehmen gesehen hat: Wenn man sich zukünftig als Teil eines Netzes versteht, in dem man Dinge mit anderen teilt und dafür auch von Leistungen anderer profitiert, wird man in der Entwicklung skalieren können“
Martin Groß-Albenhausen, BEVH
Doch man sollte sich mit Vorschusslorbeeren zurückhalten. Unite wurde vor kurzem erst in der Beta-Phase gelauncht. Aktuell gibt es außer Best-Practices von Testimonials nur sehr begrenzte Praxiserfahrung. Auch bleibt abzuwarten, wie sich Mercateo insgesamt entwickelt und ob man Unite schnell genug in eine echte Alternative verwandeln kann. Dies wird nur gelingen, wenn sich Unite konsequent an den Kunden der Plattform orientiert, nicht etwa an den Anbietern auf der Plattform. Diese sind zwar für das Gelingen auch wichtig, letztendlich sorgen aber die getätigten Transaktionen dafür, dass Unite für Mercateo zum nachhaltigen Geschäftsmodell wird.
Wo sehen Sie die Unterschiede/Vorteile zu z.B. Procato aus der Sicht des Käufers? Was möchte UNITE anders machen? Und warum sollte die Bereitschaft mitzumachen – vor allem auf der Händlerseite – hier größer sein?
Procato war ein “Marktplatz”, bei dem der Kunde vergessen wurde. Unite ist eine Plattform, bei der ich als Kunde verschiedene Sortimente vereinheitlicht zusammenführen kann. Dann sollte ich also als Händler mitmachen, da es eine kundengetriebene Anforderung wäre. Im Endeffekt ist UNITE ein neutrales Portal, auf der Sortimente “bereitgestellt” werden – ganz ohne Preistransparenz, so wie es Händler lieben.