“Der Hebel ist einfach noch nicht umgelegt, doch wenn er umgelegt ist, dann geht es schnell.” – Bernhard Rackl, Berner Group

Berner
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Köln, 06. März 2018. Als die Berner Group 2015 ihren Konzernsitz von Künzelsau nach Köln verlegte, löste das zumindest in Hohenlohe, der Heimat von C-Teile-Direktvertriebsgrößen wie Würth, Förch, Reca, BTI oder eben Berner, eine mittelgroße Überraschung aus. Das 1957 gegründete Unternehmen, das länderübergreifend mittlerweile ca. 1,1 Milliarden Euro umsetzt, verspricht sich so unter anderem einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt für digitale Talente. Die Triebfeder hinter der Digitaloffensive ist Gründer-Sohn Dr. Christian Berner, der 2012 mit gerade einmal 27 Jahren zum CEO und Vorgesetzten der 9.000 Mitarbeiter wurde.

Lesezeit: 6 Minuten

Der von vielen Marktteilnehmern erwartete und kolportierte “Digital Big Bang” der Berner Group ist so bislang nicht erfolgt. Ca 7% seines Umsatzes erwirtschaftet Berner laut eigenen Angaben digital, was ungefähr dem unteren Ende des Branchendurchschnitts entspricht und von den 20%, die Würth laut eigenen Angaben digital erwirtschaftet bereits etwas entfernt. Folgt man Bernhard Rackls Vortrag vom Digital Commerce Day B2B Special wird schnell klar, dass Berner in den vergangenen zwei Jahren, in denen Bernhard als Senior Director International E-Commerce an Bord ist, vor allem unter der Motorhaube gearbeitet hat.

DCD B2B #2 Berner Group - Bernhard Rackl: Die E-Commerce Strategie der Berner Group

Bernhard Rackl über:

…die Berner Group

Berner ist ein klassisch Direktvertriebsunternehmen, 2/3 der 9000 Mitarbeiter sind im Außendienst beschäftigt. Die Kunden aus den Bereichen Bau, KFZ, Handwerk und Industrie werden mit 100% Eigenmarken beliefert. Das Geschäft der Berner Group unterteilt sich in drei Bereiche: Das klassische Berner-Kerngeschäft, die Chemie-Gruppe mit Caramba und weiteren Spezialanbietern und BTI. Berner bezeichnet sich selbst als Omni-Kanal-Unternehmen und betreibt auch stationäre Niederlassungen.

Im Jahr 2017 hat die Berner Group ihren 60. Geburtstag gefeiert. Nach der Gründung in den Fünfzigern wurde schnell internationalisiert, mittlerweile zählen 25 Gesellschaften in Europa und eine Sourcing-Gesellschaft in Asien zur Gruppe. In den siebzigern folgte mit der Gründung von BTI ein gezielter Einstieg in die Belieferung und Versorgung des Bauhandwerks. 2006 wurde die Caramba Group akquiriert, sie ist heute wohl die bekannteste Marke aus dem Berner-Konzern. Der durch Dr. Christian Berner vorangetriebene Umzug der Holding nach Köln hat sich heute bewährt, 120 Mitarbeiter arbeiteten Ende 2017 an dem Standort direkt am Rhein, im Kölner Rheinauhafen, der Berner auch als Digitalstandort dient.

…die Herausforderungen Berners im E-Commerce:

Wer den Vortrag von Moritz Schwarz (Würth) bislang noch nicht gesehen hat, kann dies unter folgendem Link nachholen: “Für uns wäre ein digitales Innovation Lab definitiv der falsche Weg gewesen” – Moritz Schwarz, Würth-Gruppe. Warum das in diesem Kontext wichtig ist? Berner geht es ähnlich wie Würth. Die Herausforderungen beim Aufbau von E-Commerce Strukturen und vor allem der Integration in den Vertrieb sind vergleichbar. Zudem sind beide Unternehmen aus Künzelsau und Albert Berner, der Gründer der Berner Group, war einmal ein Würth-Mitarbeiter der ersten Stunde und Schulkamerad von Prof. Reinhold Würth (Erfolgsunternehmer: Eine Klasse für sich, Die Zeit 2011).

…Berners Aktivitäten im E-Commerce in den letzten Jahren:

Die Essenz von Bernhards Tätigkeit in den letzten zwei Jahren bei Berner war der Aufbau und die Strukturierung des Teams. Die besondere Herausforderung dabei: Es bringt nichts, wenn im Kölner Berner-Büro alle E-Commerce super finden, in den einzelnen Ländern davon jedoch nichts ankommt. Die E-Commerce-Fürsprecher in den einzelnen Ländern müssen daher gefördert werden. Für Berner gibt es drei Themen, die im E-Commerce eine zentrale Stellung einnehmen: E-Commerce als stärkster Wachstumskanal, skalierbare IT-, Plattform- und Organisationsstruktur & Online Performance.

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Bernhards Team in Köln managed heute 24 Webshops in 19 Sprachen, mit 2 Scrum Teams (Update März 2018: 4 Scrum Teams), einem internationalen Product Owner, bei dem die gesammelten Anforderungen an die Plattformen zusammenlaufen, 8 regionalen Product Ownern und 21 Key-Usern in den einzelnen Ländern. Diese “E-Commerce-Community” wird von Berner gehegt und gepflegt, mit Teamevents, verschiedenen agilen Artefakten (z.B. täglichen Abstimmungscalls) usw. Um die Anforderungen über den mittlerweile homogenisierten IT-Stack zu managen (Shop: Hybris, PIM: Step Stibo) hat Berner ein eigenes Management-Framework entwickelt.

…Berners Kunden und deren Online-Affinität:

Berners Kundengruppen sind online-affin, Omni-Kanal- und E-Commerce-orientiert. Laut Bernhard vertreiben einige selbst über eigene Online-Shops. Allerdings ist Zeit immer ein kritischer Faktor, vor allem im Handwerk. Dieses Problem löst heute oft noch der Außendienst, die Bequemlichkeit des Services über den Außendienst ist aus Kundensicht oftmals höher als die Online-Bestellung. Außendienstmitarbeiter sind oft so im Prozess des Kunden integriert, dass dieser den Service nicht mehr vermissen möchte. Um das Online-Business bei Kunden zu forcieren muss Berner also die Außendienstmitarbeiter möglichst intensiv in den Online-Beschaffungsprozess integrieren. Dazu zählt nicht nur der Online-Shop, sondern auch Themen wie Kostenstellenmanagement, Self-Services, Scan & Buy Lösungen oder die Kundenapp. Bei Berner gilt wie bei vielen anderen Direktvertreibern: Der Außendienst soll im Kern stehen. Online kaufen aktuell 625 Kunden pro Tag online ein, bei einem durchschnittlichen Warenkorbwert von 280 Euro.

Um an den E-Commerce-Anforderungen effizient arbeiten zu können hat Berner in den letzten zwei Jahren viel in Marktforschung investiert, z.B. in eine Kundenbefragung mit 200 Kunden aus dem Baubereich zum Thema digital vs. analog. Dabei hat sich bestätigt, was sich eingangs schon zeigte (Und was Moritz Schwarz ebenfalls in seinem Vortrag über die Kundesicht der Würth-Kunden auf E-Commerce angesprochen hat): Kunden sind generell offen für digitale Kanäle, haben aber wenig Zeit für die Digitalbeschaffung. Einerseits gibt es Kunden, die Dinge sagen wie “Am liebsten würde ich alles über Handy oder (Amazon) Alexa beschaffen,” oder “Das mit dem Außendienst ist mir zu viel Geplänkel, am liebsten beschaffe ich alles online.” Andererseits fielen in den Kundeninterviews auch folgende Sätze: “Der persönliche Kontakt ist mir viel wichtiger,” bzw. “Warum soll ich den Service des Außendienstmitarbeiters nicht in Anspruch nehmen?”

Berners Kunden wollen einerseits in der Lage sein, möglichst selbst ihre Probleme online lösen zu können. Andererseits ist E-Commerce bei vielen Kunden auch kein zentrales Thema. Diese Spreizung in den Interviewresultaten ist einerseits die Herausforderung für Berner, allerdings sieht Bernhard grundsätzlich den eindeutigen Trend zu E-Commerce

“Der Hebel ist einfach noch nicht umgelegt, doch wenn er umgelegt ist, dann geht es schnell.”

Die Berner-Kunden nutzen heute natürlich Suchmaschinen, sie nutzen natürlich Online Marktplätze, sie nutzen natürlich Social Media. Bernhard Rackls Vortrag zufolge hat Berner das Fundament für erfolgreichen E-Commerce gelegt. Die Erkenntnisse aus der Marktforschung können jetzt umgesetzt werden. Wir sind gespannt, wann Berner die nächste Überraschung in Hohenlohe, vielleicht auch in Köln, auslöst.

Nach Bernhards Vortrag gab es natürlich noch einige Fragen, z.B.:

…zur Preistransparenz

Das Pricing bei Berner ist historisch komplex gewachsen und eigentlich nicht mehr handlebar. Berner verwaltet ca. 60 Millionen kundenindividuelle Preise, eine wahnsinnige Komplexität. Systemseitig kommt man hier mittlerweile an die Grenzen, trotz Hybris und SAP. Aus Kundensicht ist Preistransparenz natürlich ein Thema, aber: nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Nur 10-15% haben in einer Befragung gesagt, ihnen sei der Katalogpreis wichtig. Viel wichtiger ist Kunden der individuelle Preis nach Login. In der Vergangenheit wurden dem Außendienst beim Pricing viele Freiheiten eingeräumt. Aktuell arbeitet Berner in vielen Initiativen daran, die Preise zu Homogenisieren und die Spreizung des Preisbandes zu verkleinern. Das geht jedoch nicht von heute auf morgen.

…zum Umzug nach Köln und Aufbau von Digital-Know-how:

In Köln sind laut Bernhard 80-90% der Mitarbeiter seit circa einem Jahr im Unternehmen. Das bringt Berner auch neue Ideen und neue Impulse. In den Landesgesellschaften werden intern Mitarbeiter für E-Commerce rekrutiert, trainiert und geschult.

…zur Sichtbarkeit Berners im Netz:

2016 wurde eine neue SEO-Strategie aufgesetzt und in einem Pilotland erprobt. Die Ergebnisse stimmen Berner zuversichtlich, es wird ausprobiert. Zudem wird sichtbar, dass dieser Online-Marketing-Kanal Wachstum erzeugt. Was dem ganzen Thema etwas hinderlich ist: Erst beweisen, dann Budget, so tickt das Unternehmen grundsätzlich.

Fazit: Einerseits wundert man sich zunächst, dass Berner trotz großen Mühen in der Digitalisierung und im E-Commerce aktuell nur 7% seines Umsatzes online erwirtschaftet. Doch hört man Bernhard Rackl zu und schaut genau hin, wo die Energie der letzten Jahre hereingeflossen ist, wird klar, dass viel unter der Motorhaube passiert ist. Strukturaufbau, Teamaufbau, Homogenisierung der IT-Landschaft im E-Commerce – all das sind Themen, die zu den Grundlagen einer erfolgreichen E-Commerce-Strategie zählen.

Wenn in der gleichen Intensität nun der Aufbau von Online-Sichtbarkeit erfolgt und die stärkere Integration von E-Commerce im Bestandskundengeschäft gelingt, wird Berner den Künzelsauer Nachbarn auf den Fersen bleiben können. Allerdings ist  diese Herausforderung eine ganz andere als die des Grundlagenaufbaus. Bleibt abzuwarten, ob sich, wünschenswerterweise, der Mut und die Mühen bezahlt machen.

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5 Kommentare

  1. Hört sich erst mal alles ganz vernünftig an, aaaber: Das wirkliche Lernen wie das mit dem e-Commerce im Berner-Umfeld geht fängt erst dann an, wenn der Hebel umgelegt wurde. Da hoffe ich mal, dass dann die nötige Flexibilität in den Strukturen vorhanden ist.
    Bis jetzt ist vieles nämlich nur graue Theorie – auch wenn man sich offensichtlich gut vorbereitet und aufgestellt hat.
    Auf jeden Fall wünsche ich mal ein gutes Gelingen und bin auf die Ergebnisse gespannt.

    1. Sehr geehrter Herr Oskar, gerade lese ich Ihren Kommentar. Sie schreiben darin, dass vieles an bzw. von den Ausführungen von Bernhard Rackl nur graue Theorie sei. Das sehe ich ganz anders. Wie kommen Sie zu Ihrer Aussage? Was genau empfinden Sie als “graue Theorie”? Herr Rackl scheint mir im Gegenteil ein “Mann der Praxis” zu sein, der nicht – wie so viele andere – bei diesem Thema hyperventiliert, sondern sich intelligent und vor allem sachlich basiert den Dingen stellt. Ich freue mich auf Ihre Antwort. Grüezi aus der Schweiz!

      1. Hi Oskar, hallo Schimmelreiter,
        ich finde, beide haben Recht. Oskars zentrale Aussage ist ja, dass nun, wenn die Struktur steht und richtig Saft auf die E-Commerce-Vertriebsmühle kommt, die richtig steilen Lernkurven erst losgehen. Ich bin mir sicher, davon ist auch Bernhard überzeugt.
        Schimmelreiter (schöner Name, Storm-Fan?), Bernhard Rackl ist wirkliche in Mann der Praxis. Zudem tatsächlich einer, von dessen Ruhe und Sachlichkeit ich mir selbst manchmal gerne eine Scheibe abschneiden würde. Ein feiner Kerl in einem Unternehmen, das viele Dinge richtig gemacht hat.

  2. Die Frage scheint doch eher die zu sein, was die Berner-Kunden machen und wollen. Letztlich muss Berner im “Gleichklang” mit seinen Kunden agieren.

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