Düsseldorf, 21. Dezember 2017. Zum Jahresende ist der Titel dieses Artikels sicher Balsam auf die Seele. Allerdings wundert es im B2B nicht so sehr, dass gerade in einer Branche wie dem Stahlhandel die Händler, die in der Lage sind ihre Rolle neu zu interpretieren, neu zu denken und vor allem neu zu gestalten, im Relevant Set ihrer Kunden bleiben. Die komplexe Situation im Stahlhandel mag Unternehmen wie Amazon gerade noch weitestgehend davor abschrecken, Stahl in rauhen Mengen als “Prime Target” zu identifizieren, entspannt zurücklehnen, auf kann sich im Stahlhandel aber auch keiner mehr.
Wo der Stahlhandel heute schon digital aktiv ist und wo es noch Defizite (Daten, Daten, Daten) gibt, das hat mir Niklas Friederichsen, mittlerweile COO von Mapudo beim Digital Confession Drive auf der dmexco dieses Jahr erklärt. Als Weihnachtsbeitrag also diese Woche das Video, der Podcast und transkribierte Auszüge aus dem Interview mit Niklas. Mapudo’s Co-Founder Martin Ballweg hatte ich vergangenes Jahr schon interviewt. Interessant zu sehen, wie sich das Unternehmen bisher entwickelt und in einer kloeckner.i (Klöckner) und materials4me (ThyssenKrupp) Welt.
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Market Education als Hauptaufgabe des Vertriebs & Marketings:
Niklas: Das wird auf jeden Fall noch ein größeres Thema sein. Ich glaube, durch einfaches Brandbuilding ist es nicht getan. Die Branche ist aber insgesamt noch am Anfang. Neben uns gibt es noch Klöckner oder ThyssenKrupp, die mit digitalen Lösungen aktiv sind. An dem Punkt, dass wir wirklich den Nutzer umgewöhnen, sind noch nicht. Das wird kommen müssen und da wird man wahrscheinlich auch mit Schulungen arbeiten müssen. Aktuell gehen wir eigentlich noch über den öffentlichen Markplatz, wo wir die Leute abholen, die schon online sind, die sich vielleicht darüber ärgern, dass es online noch nichts gibt.
Und wir gehen in Sonderlösung rein, wo wir von der Prozessseite kommen und der User gesagt bekommt „jetzt bitte hierüber einkaufen“. Das sind so die ersten Ansätze, aber das „Den-Nutzer-umerziehen“, das wird ein Prozess sein, der wird kommen müssen, der hat aber noch nicht so richtig angefangen.
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Produktdaten:
Niklas: Das müssen wir tun, ja. Wenn wir das nicht anbieten würden, dann wären wir auch nicht in der Lage, Händler anzubinden. In der Vergangenheit haben wir, vom Händler kommend, die Daten einfach in eine Form gebracht, dass wir plattformfähig sind und dann angereichert. Jetzt haben wir natürlich über die Zeit ein sehr gutes Verständnis dafür gewonnen, wie gewisse Daten aussehen müssen und hier gehen wir jetzt gerade den nächsten Schritt, dass wir das in einen Pin überführen und wir zunehmend die Daten vorgeben und Händler uns eigentlich nur noch sagen, mit welcher Verfügbarkeit und mit welchem Preis die Produkte angeboten werden sollen und welche Services angeboten werden können, z.B. Anarbeitung etc., Der Datenstamm kommt aber von uns.
Der USP des Stahlhandels gegenüber Einsteigern von außen:
Niklas: Das Fulfillment im Stahlhandel ist ungleich komplizierter als in anderen Branchen. Dadurch, dass man das Produkt nicht in Pakete verpacken und verschicken kann, ist das ein Thema, was die Händler extrem gut können. Uns geht es ja eigentlich darum, den Transaktionsprozess in die Digitalisierung zu übertragen. Da zu schauen, was sind Kriterien, die wir erfüllen müssen, dass das für beide Seiten interessant ist, dass wir für beide Seiten Probleme lösen. Aber ich glaube, das ist schon noch klassisch Marktplatz-Logik. Weil die Transaktion ein bisschen komplizierter ist, braucht es mehr Services drum herum. Ich glaube aber nicht, dass das in Richtung Full-Service-Provider geht, weil das Wissen bei den Händlern über so viele Jahre gewachsen ist und die auch den letzten Kilometer im Stahl verstehen. Der ist ja der Komplizierteste, den hinzubekommen, da sind die Händler Profis.
Die Rolle des Stahlhandels in Zukunft:
Niklas: Ich glaube der Handel wird schon als Problemlöser wahrgenommen und das wird auch in Zukunft sicherlich steigen. Also das wird noch wichtiger werden. Wir sehen gerade bei Regionalhändlern auch häufig, dass die das extrem gut verstehen und das ist dem Kunden dann natürlich auch extrem wichtig, wenn sie wissen von 100 Aufträgen, der eine wo es jetzt brennt, da kriegen wir die Löcher reingebohrt oder das kriege ich jetzt direkt geliefert. Da hängt sich der Händler wirklich rein. Ich glaube das wird noch wichtiger werden. Einfach nur zu sagen, ich habe das Produkt da, die reine Verfügbarkeit, bin ich auch der Meinung, wird an Stellenwert verlieren in der Zukunft.
Preisberechnung für Maßbleche:
Niklas: Das ist das in der Tat eine sehr interessante Frage. Man kann von zwei Extremen kommen. Wir kennen das mittlerweile aus der Längenschnittberechnung ganz gut. Maßbleche fangen wir gerade erst an. Bei Längenschnitten gibt es ganz unterschiedliche Logiken, wie ich das abbilden kann. Einige sagen, ich bezahle nur das, was ich bekomme und nochmal einen Preis pro Schnitt, sagen wir mal drei Euro, dass einmal die Säge angesetzt wird. Das macht natürlich bei Produkten, wo das Reststück nicht mehr viel Wert ist, keinen Sinn. Da kann auch gesagt werden, ich bezahle das ganze Stück, kriege trotzdem das, was abgeschnitten wird plus nochmal den Sägeschnitt. Andere sagen, man zahlt einfach das, was abgeschnitten wird plus 10 %, warum auch immer. Ist über die Zeit so gewachsen.
Wir haben auch eine Logik abgebildet, die sagt “Euro je Kilogramm je Meter”. Das heißt, desto größer der Querschnitt, desto teurer der Schnitt. Das kann man in den Exzess treiben. Wir versuchen eigentlich immer, die Parallele zum Koffer-Einchecken anzustrengen. Den Koffer einzuchecken an zehn verschiedenen Flughäfen wird prozessseitig von der Kostenstruktur an zehn unterschiedlichen Flughäfen unterschiedlich aussehen. Trotzdem hat sich ja die Flugbranche auf ein einheitliches Serviceziel geeinigt. Wenn ich jetzt natürlich verhandel und sage, ich habe tausend Schnitte, wie machen wir Cost-Plus Pricing, macht sicher Sinn.
Was bringt ein Corporate einem Start-up?
Niklas: Wir machen das aktuell schon. Wir haben mit der SHS einen in der Branche etablierten Partner mit drin. Dort machen wir gemeinsame Projekte. Das hilft uns extrem weiter. Ich glaube, da ist einfach wichtig, das Verständnis, einfach loszulegen, gemeinsame Projekte zu machen und Projekte umzusetzen. Man denk als Start-up natürlich in anderen Zeithorizonten und muss schnell mal was starten, um dann zu schauen, wie das funktioniert und ob man dort Kapazitäten investiert. Ich glaube, diese Denkweise, einfach mal was auszuprobieren und hinterher zu entscheiden, wie hoch das Budget ist, ist sicherlich noch für viele sehr neu.
Ich glaube aber, dass das für Start-ups insgesamt eine sehr wichtige Unterscheidung von einem klassischen Projekt ist. Wir gehen iterativ vor. Das heißt, wir bauen schnell mal den ersten Prototypen, schauen, wie das anläuft und entscheiden dann. Wenn es angenommen oder nicht angenommen wurde, heißt das jetzt für uns, da ist kein Business Case hinter oder heißt das, wir haben etwas falsch gemacht? Das kann man ja über qualitative Wege ganz gut rausfinden. Schnell zu starten und einfach mal die Bereitschaft zu haben, ein unfertiges Produkt rauszubringen, die Bereitschaft muss da sein. Sonst wird die Kooperation mit einem Start-up schwierig.
“Digital an sich ist kein Mehrwert.”
Niklas Friederichsen, COO Mapudo
Niklas: Aus den Fehlern zieht man ja die größten Learnings raus. Ein Learning war: Online an sich ist kein Verkaufsargument im B2B-Bereich. Das kommt mir häufig auf Industrie 4.0- oder Digitalisierungsmessen zu kurz: Digital an sich ist kein Mehrwert. Der Nutzer entscheidet letztendlich, ob er es benutzt oder nicht. Von daher ist “online” oder “digital” an sich kein Mehrwert, ich muss dem Nutzer konkrete Probleme lösen. Und das schaffen wir durch diese Einkaufsplattform, aber auch durch die Projekte, die wir mit der SHS-Gruppe zusammen machen. Da nehmen wir sehr viele Learnings auf, wo wir uns sehr eng mit den Einkäufern abstimmen. Was genau fehlt denen oder welche genauen Probleme müssen wir denen lösen, dass es für sie einfacher wird. Ich glaube, das ist da wirklich der Treiber, damit das hinterher angenommen wird.
Technology Ownership bei Mapudo:
Niklas: Das ist sehr wichtig. Also wir haben die Plattform PHP-basiert in einem Symfony Framework komplett selber aufgebaut. Das war sicherlich am Anfang ein schmerzhafter Prozess. Viele Themen, die in Shopsystemen nativ abgebildet sind, mussten wir selber aufbauen, wo wir sicherlich auch am Anfang Zeit mit verloren haben. Aber für uns ist es sehr wichtig, flexibel zu sein und die Plattform in die Richtung weiterzutreiben, wie wir das aus der Businesslogik für sinnvoll halten.
Da war einfach am Anfang die Überlegung, dass wir anfangen, gegen die Plattform zu arbeiten, wenn wir da nicht wirklich die Technologie-Ownership haben. Wir merken mittlerweile, dass sich das wirklich auszahlt. Um die Hygienekriterien, Produkte finden und einen Checkout zu haben, abzubilden, zahlt sich das noch nicht so aus. Wenn es um regionale Aussteuerung geht, was für uns extrem wichtig ist, dann schon.
Die Weiterentwicklung des Mapudo Geschäftsmodells:
Niklas: Man kann auf das Problem aus zwei Dimensionen schauen. Einmal: Für welche Produkte bietet unser Marktplatz einen Mehrwert? Da sehe ich grundsätzlich einen Mehrwert für alle Produkte, die über Normen geregelt sind, die keine Herstellerartikelnummer haben, sondern über Attribute beschrieben werden müssen. Diese Logik ist für den Stahl von der Beschreibung her sehr ähnlich wie auch bei Zerspanungswerkzeug, die ich auch von verschiedenen Anbietern einkaufen kann und über Attribute beschreibe, was das Werkzeug können muss. Das ist aber vielleicht für einen Kabelanbieter oder für einen Anbieter von Chemikalien ähnlich.
Ich glaube, es macht es für uns wenig Sinn, mit Contorion oder Amazon Business in Konkurrenz zu treten. Diese Produkte zu verkaufen beherrschen andere sehr gut, sicherlich besser als wir. Jetzt gibt es natürlich Produkte, die sind dazwischen. Die können andere für sich alleine gestellt besser verkaufen, aber es macht natürlich schon Sinn, wenn ich mir mein Vorschweißflansch bestelle, da vielleicht auch noch einen Schweißzusatzstoff zu kaufen oder die passende Dichtung oder Schrauben dazu zu kaufen. Das heißt, Produkte, die eine sehr enge Verbindung mit dem Produkt auf unserer Plattform haben, kann ich mir schon sehr gut vorstellen. Wir müssen, um dem Thema Verwässerung vorzubeugen, schon schauen, wo wir als Plattform einen Mehrwert bieten können. Da wird der Fokus bei den genormten Produkten oder bei Produkten, die man über Attribute beschreibt sein. Da ist dann auch die Frage, ob wir das selbst machen müssen oder ob wir vielleicht einfach über eine Schnittstelle auch Produkte von anderen Anbietern auf unserer Plattform anbieten. Da sind kreative Lösungen gefragt.
In die Breite zu gehen und zu sagen, wir wollen auch ganz viele andere Bereiche mit anbieten, also nicht-Eisen-Metalle, ist der nächste Schritt für uns. Da sind wir auch in der Bearbeitung. Der Schritt ist nicht weit. Da ist die Logik sehr ähnlich, auch von der Anwendung. Beim letzten Interview hat Martin auch schon darüber gesprochen, dass Kunststoffe durchaus eine Rolle spielen können.
Der Stahlmarkt als Winner-takes-it-all Markt
Niklas: Im B2B ist das nicht ganz so extrem wie im B2C mit dem Winner-takes-it-all. Es gibt in vielen Produktkategorien Beispiele, wo verschiedene Anbieter sich voneinander abgrenzen und langfristig nebeneinander bestehen. Das sehe ich auch im Stahlbereich so. Ich glaube aber für die kleinlosige Bestellung, eher anonyme Bestellungen über einen Onlinemarktplatz, da wird das glaube ich schon zutreffen. Hier ist natürlich der Markt begrenzt. Wenn es natürlich eher stärker in die größeren Unternehmen, in die enge Anbindung geht, da könnte ich mir grundsätzlich schon vorstellen, dass dort eben auch mehrere Lösungen nebeneinander gut bestehen können.